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Die Agrarfrage in der ausgehenden Römischen Republik

„Die wohlhabenden Bürger, vor allem der Senatorenstand, dem durch das Claudische Gesetz [1] aus dem Jahre 218 aus standesethischen Rücksichten das Handelsgeschäft ausdrücklich untersagt und damit das Land als die ihm angemessene Einkommensquelle zugewiesen worden war, legten die unter dem Zeichen der Weltherrschaft rechtmäßig oder unrechtmäßig erworbenen Gelder meist in Grund und Boden an. Da in Italien Ackerland zum Kauf nicht unbegrenzt zur Verfügung stand, bemächtigten sich insbesondere die römischen Senatoren, aber auch andere reiche Römer und die Honoratioren der bundesgenössischen Städte des Staatslandes (ager publicus) in Mittel- und besonders in Unteritalien. Dieses Staatsland stammte zum allergrößten Teil aus Annexionen, die der römische Staat bei den im Hannibalkrieg abgefallenen Bundesgenossen vorgenommen hatte; es war damals nicht verteilt worden, weil die Verluste des Krieges die Bauernschaft dezimiert hatten und in den folgenden Jahrzehnten des 2. Jahrhunderts alle landsuchenden Römer in der groß angelegten Kolonisation Oberitaliens (bis 177) befriedigt wurden. Nach römischem Gewohnheitsrecht durften alle Bürger das Staatsland zu persönlichen Zwecken besetzen (okkupieren) und nutzen. Die Nutzung des ager (publicus) occupatorius wurde naturgemäß vor allem von den Reichen und Vornehmen wahrgenommen, die das Land zusammen mit ihrem eigenen Land (ager privatus) nun nach rationelleren Methoden, die z. T. von den Karthagern abgesehen worden waren, bewirtschafteten. Die riesigen Großgüter (latifundia) wurden vielfach von großen Sklavenscharen, welche die Kriege und der wachsende Sklavenhandel lieferten, bestellt und die Produktion auf den Grundsatz ausgerichtet, mit möglichst wenig Arbeitskräften einen möglichst großen Gewinn zu erzielen. So wurde an vielen Stellen der wenig arbeitsintensive Anbau von Ölbäumen und Wein sowie die Viehwirtschaft zu Lasten des Getreideanbaus bevorzugt. … Unter dem wachsenden Großgrundbesitz litt die Masse der Bauern sowohl deswegen, weil sie an der Nutzung des ager publicus unverhältnismäßig schwach beteiligt war, als auch durch die Aggressivität der ökonomischen Expansion, die sich auch auf die in Privatbesitz stehenden kleinen Höfe richtete. Es kamen noch andere, schwerer wiegende Gründe für den Niedergang des römischen Bauernstandes hinzu. Seit Oberitalien befriedet war, stockte die Kolonisationspolitik, die ja stets in erster Linie der militärischen Sicherheit, nicht der Versorgung der Mittellosen gedient hatte; die Kolonien waren vor allem Festungen, keine Auswandererstädte. Sehr ungünstig wirkte sich für den Bauern auch der Militärdienst aus, der jetzt in Übersee und oft über längere Zeit hindurch, in der der Hof nicht angemessen versorgt werden konnte, abgeleistet werden mußte. So trafen manche Ursachen zusammen, daß sich ein wachsendes Reservoir von unbemittelten Römern bildete, die naturgemäß meist nach Rom wanderten, weil sie dort von der Regierung Hilfe erwarteten.

In der römischen Nobilität fanden sich auch einflußreiche Personen, die der sozialen Not der landlosen Bürger abzuhelfen trachteten. Bereits in den siebziger Jahren <des 2. vorchr. Jhdts.> war durch ein Gesetz versucht worden, das Maß des okkupierten Staatslandes auf 500 Joch (ca. 125 ha) zu beschränken; doch es war kaum beachtet worden, weil in den langen Jahren der Nutzung das okkupierte Land mit dem Privatbesitz der Okkupanten verschmolzen und eine Wiederherstellung der alten Besitzverhältnisse, die das Staatsland aussonderte, wenn überhaupt, dann nur mit Hilfe einer außergewöhnlichen Rechtsgewalt möglich zu sein schien. Im Jahre 140 brachte dann der Konsul C. Laelius ein Reformgesetz ein, doch zog er angesichts des erbitterten Widerstandes des Senats seinen Antrag wieder zurück.

Erst durch Tiberius Sempronius Gracchus … wurde die Reform, von breiten Kreisen der Nobilität unterstützt, energisch vorangetrieben. Er ließ sich für 133 zum Volkstribunen wählen und nahm in seinem Tribunat, das er in einem ideellen Rückgriff auf die Ständekämpfe als eine Institution des Kampfes für die breiten Massen der Römer auffaßte, das alte Gesetz über die Beschränkung des Okkupationsrechts am ager publicus wieder auf, erweiterte aber den Maximalsatz von 500 Joch für jeden Sohn um je 250 bis zum Höchstmaß von 1000 Joch und gab darüber hinaus dieses Staatsland den Okkupanten zu Eigentum. Das übrige, frei gewordene Staatsland sollte zu je 30 Joch an mittellose Römer verteilt werden und, um künftig die landgierigen Großgrundbesitzer daran zu hindern, das verteilte Land wieder aufzukaufen, durch eine nominelle Abgabe (vectigal) weiterhin im Staatsbesitz verbleiben. Um ferner die Schwierigkeiten, an denen das ältere Gesetz gescheitert war, zu umgehen, wurde mit der Landverteilung eine Ansiedlungskommission von drei Männern betraut, die außergewöhnliche gerichtliche Vollmacht erhielt und so die Trennung des Staatslandes von dem Privatland der reichen Okkupanten garantieren konnte … Das Gesetzesvorhaben fand den stärksten Widerstand des Senats, der dann auch durch den Volkstribunen C. Octavius die Interzession gegen den Antrag einlegen ließ. Die Interzession beantwortete Ti. Gracchus unter der begeisterten Zustimmung einer von wachsender Erregung getragenen Volksversammlung mit der Absetzung des Tribunen. Als Begründung für diese unerhörte, niemals vorher auch nur in Erwägung gezogene Tat führte Tiberius an, daß Octavius nicht im Interesse des Volkes gehandelt habe. Das Gesetz wurde daraufhin durchgebracht und die Ansiedlungskommission, in der neben Tiberius auch sein Bruder Gaius und sein Schwiegervater Ap. Claudius Pulcher saßen, mit außerordentlichen Rechtsvollmachten zur Feststellung des dem ager publicus zugehörigen Landes versehen. In den folgenden Jahren war diese Kommission auch rege tätig und hat Zehntausende mit Land versorgt.

Die Gründe, die Ti. Gracchus zu der rigorosen Methode der Durchsetzung seines Gesetzes trieben, lagen nicht nur in der Sorge um die wirtschaftliche Not des Bauernstandes, sondern vor allem auch in der durch sie verursachten Schwächung des Milizwesens. Denn da der Soldat sich selbst ausrüsten mußte, war der Militärdienst an ein gewisses Vermögen - in der Regel ein Bauernhof mittlerer Größe – gebunden, und dieses hatten, wie die Vergangenheit lehrte, immer weniger Römer aufweisen können. Sein politisches Ziel war daher durchaus nicht revolutionärer Art. Er wollte lediglich dem Bauernstand wieder seine alte Stärke zurückgeben und mit ihm dem Instrument, auf dem die römische Macht ruhte, dem Heer, die alte Rekrutierungsbasis erhalten. Auch nahm er niemandem ein Stück Eigentum weg, mochten auch viele Nobiles das von ihnen okkupierte Land schon als etwas ihnen Gehöriges angesehen haben. Und doch war er ein Revolutionär. Er hatte nämlich, da er sich nicht anders durchsetzen konnte und er sein Ansiedlungsgesetz andererseits für den Bestand des Staates als unabdingbar ansah, durch die Absetzung des interzedierenden Kollegen dem Senat die politische Entscheidungsgewalt genommen und sie auf die Volksversammlung oder genauer – da die Volksversammlung passiv war, nur auf Anträge des sie leitenden Magistrats reagieren, also nicht agieren konnte -: auf den die Volksversammlung leitenden Beamten übertragen. Damit war ein zweites politisches Entscheidungszentrum neben dem Senat geschaffen und also das jahrhundertalte sozialpolitische Gefüge in Frage gestellt worden.

Um der Anklage nach dem Ablauf der Amtsperiode zu entgehen, versuchte Ti. Gracchus, an sein Tribunat, das wie alle Ämter ja ein Jahresamt war, ein zweites unmittelbar anzuschließen … Doch noch bevor er wiedergewählt wurde, inszenierten seine Gegner einen Tumult, in dem er mit vielen seiner Anhänger erschlagen wurde. Im folgenden Jahre wurden dann durch außerordentliche Gerichte weitere Gefolgsleute verfolgt und hingerichtet. Die Ansiedlungskommission hat indessen auch nach dem Tode des Tiberius noch weitergearbeitet, und offensichtlich hat sich die Nobilität mit den Ansiedlungen auch abgefunden, dies ein deutliches Zeichen dafür, daß der eigentliche Stein des Anstoßes nicht die Landverteilung, sondern die sich aus ihr entwickelnde Umschichtung des politischen Entscheidungsprozesses gewesen war. Im Jahr 129 wurde jedoch die Arbeit der Kommission durch den Entzug ihrer gerichtlichen Kompetenzen praktisch lahmgelegt, und dies wohl nicht in erster Linie aus Abneigung gegen die Landverteilung als deswegen, weil die Verteilung an die Grenzen ihrer Möglichkeiten gelangt war. …

… Die Ackergesetzgebung blieb dadurch wirkungslos, daß schon bald der nominelle Zins für das zugewiesene Staatsland beseitigt wurde und das Land in Privateigentum verwandelt wurde, es damit folglich in Zukunft auch aufgekauft werden konnte (111 v. Chr.) „ [2]

Anmerkungen

1) „Das Claudische Gesetz über ,das Schiff der Senatoren‘ … besagte, daß kein Senator und kein Sohn eines Senators größere Schiffe besitzen dürfe als solche, die 300 Amphoren tragen könnten. Schiffe solcher Tragfähigkeit waren verhältnismäßig kleine Einheiten, die gerade ausreichten, um die Waren, die man selbst produziert hatte, von den Äckern auf den nächsten Markt zu bringen.“ (Jochen Bleicken „Die Verfassung der Römischen Republik“, 3. Aufl., Paderborn 1982, S. 63)
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2) Jochen Bleicken „Geschichte der Römischen Republik“, 2. Aufl., München 1982, S. 63-67
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