In
England hörten die Radiostationen nicht auf "My
Sweet Lord" zu spielen. Die ungeheure Nachfrage führte
letztlich auch dazu,
dass der Song auch in England ausgekoppelt wurde. "My Sweet Lord" war
allgegenwärtig und auch George Harrison selbst
bezog Anfang 1971 zur Aussage des Songs Stellung: "Der einzige Sinn des
Lebens
besteht darin, mit sich ins Reine zu kommen. In jeder einzelne Seele
ist Gott.
Das Ziel ist es, das Göttliche zu zeigen und diese Befreiung
ist das, woran ich
glaube. Das ist es, was ich unbedingt will: mich selbst von allem Chaos
und
Körperlichkeit befreien und mir Gott bewusst sein. Das ist
mein persönlicher
Ehrgeiz und alles andere ist zweitrangig."
Auf
der Welle des Erfolgs war auch in der Londoner Tageszeitung "The Times"
eine
Rezension von "All Things Must Pass“" zu lesen. Zu dieser
Zeit hatten auch
George Harrisons ehemalige Bandkollegen ihre ersten Soloalben
veröffentlicht
und so kam der Autor des Artikels, Richard Williams, zu dem Schluss,
dass sich "All Things Must Pass" als bestes aller bisher erschienenen
Soloalben der
Ex-Beatles auszeichne, da es vermutlich das Album sei, welches am
ehesten in
der Tradition stünde, in die Beatles ihre Karriere starteten.
Williams beendete
seine Einschätzung mit einer These, die wohl viele schon
dachten, die nun aber
ganz offensichtlich war: "Harrison stand ständig im Schatten
der Egos von
McCartney und Lennon. Aber von Zeit zu Zeit gab es Hinweise auf
etlichen ihren
Alben, dass er mehr war, als das, was ihm zugestanden wurde."
Single
und Album gelangten am 30. Januar 1971 gleichzeitig auf den ersten
Platz der
britischen Hitlisten. Auch in Deutschland erreichte "My Sweet Lord" im
gleichen Monat Platz 1. In England sickerten
Zahlen durch, dass die Single die Marke von 200.000 hinter sich
gelassen hatte
und täglich um die 30.000 Stück absetzte. In den USA
wurden bis dahin satte
zwei Millionen Exemplare verkauft. Das 3-fach-Album stand diesem Erfolg
in
nichts nach. Es belegte sieben Wochen hintereinander die
Spitzenposition.
Beinahe
im Handumdrehen war George Harrison nun als Musiker, Komponist, Texter
und
Produzent anerkannt. Er hatte mit "All Things Must Pass" eine Fusion
von
kompositorischer Meisterschaft, instrumentaler Eleganz,
Atmosphäre und thematischer Geschlossenheit erreicht, die im
Bereich der Rockmusik bis heute nur ganz selten übertroffen
wurde. Dabei war
der Schöpfer dieses Epos im Vorfeld in höchstem
Maße unsicher, wie das Album
von der breiten Masse aufgenommen werden würde. Gleichsam war
er überzeugt eine
gute Platte gemacht zu haben, da ihm vergleichsweise Unmengen an
Liedern zur
Verfügung standen und dazu überschäumende
Energie um die schlummernden
Songjuwelen umzusetzen. Endlich alleinverantwortlich die eigene Musik
aufzunehmen – das war für ihn die befreiende
Erfüllung eines Traums.
Ende
Februar war "My Sweet Lord" auch in
England die Nummer Eins. Harrisons Management und die Medienlandschaft
wurden
derart vom Erfolg des Song überrollt, dass gar kein
unterstützender
Promotion-Film gedreht wurde. Als "Top Of The Pops" den Spitzenreiter
der
Charts in ihrer Sendung präsentierte, ließ man
schlichtweg das Studiopublikum
zum Playback des Songs tanzen.
Der
Gerichtsprozess, den die Ex-Beatles gegeneinander führten,
hatte nun schon zehn
Verhandlungstage hinter sich. Im März verkündete das
Gericht, dass der Business
Manager der Beatles, Allen Klein, mit sofortiger Wirkung nicht mehr im
Namen
der Beatles handeln dürfe, sondern lediglich stellvertretend
für John Lennon,
Ringo Starr und George Harrison. Paul McCartney hatte drei Monate zuvor
ein
Verfahren gegen Klein eröffnet, welches Jahre später
auch erfolgreich war. Nach
Bekanntgabe der neuen Sachlage kam es zu unschönen Szenen.
Wutentbrannt fuhr
John mit Ringo und George zu Pauls Wohnung in der Londoner Cavendish
Avenue,
kletterte (möglicherweise mithilfe der anderen Beiden) auf die
umgrenzende
Mauer und warf zwei Steine durch ein Fenster des Hauses.
Einige
Tage darauf kochte wieder das Gerücht, Klaus Voormann
würde der Bassist bei den
neu formierten Beatles (die aber nun "The Ladders" heißen
sollten). Der "Daily
Mirror" meldete, dass es am 19. März im Apple-Büro
ein Geschäftstreffen von
John, George, Ringo und Klaus gegeben habe, bei dem die gemeinsame
Zukunft
diskutiert worden sei. Apple Pressesprecher Les Perrin dementierte
postwendend.
Voormann entfloh dem medialen Zugriff und zog von
Hampstead ins ruhige Henley an der Themse, wo er auf George Harrisons
Anwesen
Friar Park für längere Zeit ein neues Zuhause fand.
Es
gab aber tatsächlich neue gemeinsame Aufnahmen von Lennon,
Harrison und Voormann.
Nach einer ungezwungenen Jam Session in New York im Juni wurde George
von John
eingeladen, ab der kommenden Woche an den Aufnahmen zu Lennons
später "Imagine"
genannten LP teilzunehmen. George sagte zu und bat seinerseits Klaus
Voormann
telefonisch darum, auch an dem Projekt mitzuwirken. Die Drei spielten
gemeinsam
den Anti-McCartney-Song "How Do You Sleep?"
ein, der in seiner Ursprungsfassung mehrfach unter die
Gürtellinie zielt. Auf
Allen Kleins Anraten bezüglich möglicher rechtlicher
Schwierigkeiten entschärfte
Lennon den Text. Dennoch bleibt der Text mehr als bissig: McCartney
wird als
Fahrstuhlmusik produzierendes Muttersöhnchen tituliert, dessen
einziger
Verdienst die Komposition "Yesterday"
sei. Es macht den Anschein, als habe George Harrison an der Aufnahme
seine
stille Freude gehabt, der er steuert eines seiner
großartigsten
Slidegitarren-Soli bei. Auch beim Film "Gimme Some Truth", der die
"Imagine"-Aufnahmen dokumentiert ist dieser Eindruck nicht von der Hand
zu
weisen. Beim gemeinsamen Frühstück machen sich Lennon
und Harrison über die
(noch) relativ bescheidenen Erfolge ihres ehemaligen engen Freundes
Paul
McCartney lustig: Beatle Ed (Paul) würde sich ja ganz gut in
der schwedischen
Hitparade machen ...
Im
vergangenen dreiviertel Jahr traf George nach längerer Pause
zwei Mal wieder
mit seinem väterlichen Freund und Mentor Ravi Shankar
zusammen. Die Verbindung
zwischen den beiden Musikern war mittlerweile sehr stark. In einem 1973
geführten Interview erklärte Shankar "Für
mich ist er wie ein Sohn, wie ein
jüngerer Bruder, wie ein Schüler – alles in
einem." Im September 1970
unterstützte George Ravi Shankars Konzertreihe "Festival Of
Arts Of India".
Beim Konzert in der Londoner Festival Hall kam es zu einem der seltenen
öffentlichen Auftritte von Ravi Shankar und George Harrison,
bei dem Letzterer
allerdings nicht als ausführender Musiker in Erscheinung trat.
Im
Juni 1971 nun besuchte George Ravi Shankar in Los Angeles, als dieser
mit den
Aufnahmen zu seinem neuen Album beschäftigt war.
Bedrückende Nachrichten in
Presse Fernsehen über das Elend der Flüchtlinge in
Bangla Desh sind auch George
Harrison nicht entgangen. Allerdings war es erst das
persönliche Schicksal Ravi
Shankars, der Teile seiner Familie in den Flüchtlingswirren
verlor, das
auslösende Moment, welches George bewegte, der Bitte seines
Freundes um Hilfe
nachzukommen. Erst danach informierte er sich über die
Hintergründe:
Ost-Pakistan wolle die Unabhängigkeit von westlichen Teil des
Landes (von dem
ein hohes Maß an Unterdrückung ausging) und sich
künftig Bangladesch nennen.
Letzter Auslöser für die Unruhen war ein
Sprachproblem. Bengali ist seit jeher
die Muttersprache des heutigen Bangladesch. 1971 beschloss nun die
Regierung in
Islamabad Urdu als Landessprache für beide Teile Pakistans
festzulegen.
Ravi Shankar, selbst Bengali, bat um Rat, wie man den Blick der Öffentlichkeit auf den dort wütenden Bürgerkrieg und gleichzeitig Geldmittel sammeln könnte um wenigstens zu einem Teil die Not zu lindern. Tausende von Flüchtlingen fielen täglich den Unruhen zum Opfer. George Harrison kam gemeinsam mit Ravi Shankar auf den Gedanken, ein Wohltätigkeitskonzert für Bangladesch zu organisieren. Flankierend zum Konzert nahm George in den ersten Julitagen die Single "Bangla Desh" auf, die eindringlich um Hilfe für das leidende Volk von Bangladesch bittet:
My friend came to me /(Mein Freund kam zu mir / Traurigkeit in seinen Augen / Bat mich um Hilfe / Bevor sein Land stirbt)
und im späteren Verlauf
Bangla Desh, Bangla Desh /Eile
war geboten, nachdem Harrison erfuhr, dass die Amerikaner
Waffen an die Pakistanis schickten, die letztlich nur daran
interessiert waren,
die verhassten Bengalis abzuschlachten. Mittlerweile hatte sich George
mit
Patti für mehrere Monate in Los Angeles eingemietet. Die
meiste Zeit hielt sich
George jedoch in New York auf, denn nun brachen arbeitsreiche Wochen
an.
Nachdem George Harrison letzte Hand an die "Bangla
Desh"-Single und den Soundtrack des Apple-Films "Raga" gelegt hatte,
ging es
nun um die Organisation des Konzerts.
Harrison
legte als Veranstaltungsort relativ schnell den New
Yorker Madison Square Garden fest. In seinen Erinnerungen
schwärmt Ravi Shankar
von Georges spontanen und uneigennützigen Einsatzwillen und
der Leichtigkeit,
wie dieser seine musikalischen Mitstreiter zusammenbrachte: "Er sagte:
Kein
Problem. Wir machen etwas ganz Großes daraus (...) Umgehend
– wie Zauberei –
hängte er sich ans Telefon, buchte den Madison Square Garden,
telefonierte mit
seinen Freunden, Eric Clapton, Bob Dylan ... es war wirklich wie
Zauberei.
George rief Ringo in Spanien an, der dort gerade den Film "Blindman"
drehte, sprach mit Leon
Russell und nahm mit Allen Klein Kontakt auf, der sich um die
geschäftliche
Seite kümmern sollte." Ganz so einfach schien es aber nicht zu
sein, zieht man
Äußerungen George Harrisons von 1987 heran, als er
sagte, dass er während der
zweimonatigen Vorbereitungsphase Tag und Nacht am Telefon hing um
für dieses
Ereignis Musiker zu verpflichten. Aber Harrison schaffte es in
rekordverdächtiger Zeit. War es Anfangs noch schwierig Musiker
zu rekrutieren,
so hatte George, je näher der Tag des Konzerts
rückte, später die Bereitschaft
so Vieler, dass sogar Absagen erteilt werden mussten. Etliche Musiker
flogen
Tausende von Kilometern und sahen keinen einzigen Cent dafür.
Mitunter sagten
Einige sogar andere Auftritte ab, nur um beim Konzert für
Bangladesch dabei
sein zu können. Jeder Teilnehmer waren mit ganzem Herzen bei
der Sache.
Die
schnell auf den Markt gebrachte Single Bangla Desh
erreichte im September Platz 10 in England. Die B-Seite enthielt im
Andenken an
Georges Mutter den Song "Deep Blue".
Wichtiger war jedoch, die Aufmerksamkeit auf Bangladesch zu lenken.
Am
12. Juli 1971 traf sich Harrison im Londoner Savile Row mit
Mitgliedern der Apple-Band Badfinger und informierte sie über
Einzelheiten des
Konzerts, bei dem sie George und übrigen Musiker begleiten
sollten. Wieder in
New York angekommen, verabredet sich George mit John Lennon. Als
Gegenangebot
für seine Mitwirkung am "Imagine"-Album lud George John ein,
beim Konzert
teilzunehmen. John bat sich Zeit zum Überlegen aus, nahm aber
schließlich nicht
am Konzert teil. Darauf angesprochen, kommentierte er später
lakonisch: "Bangladesch war Kacke." Viel ist über Lennons
Absage spekuliert worden. Der
gemeinsame Nenner, die größte Wahrscheinlichkeit
scheint zu sein, dass George
irgendwann unmissverständlich klar machte, dass er Yoko nicht
dabei haben
möchte. Er war der Ansicht, Yoko passe nicht zum restlichen
Aufgebot und hätte
eine Zugkraft gleich Null. John trotzte und erklärte, dass er
auch nicht käme,
wenn Yoko nicht auftreten dürfe. Auch zwischen dem als
unzertrennlich geltenden
Paar soll es im Zuge dieser Entscheidung zum Streit gekommen sein: Yoko
reiste
zurück nach England, während John nach Paris flog.
Georges
Hingabe zur Sache ging soweit, dass er, alle Animositäten
vergessend, sogar Paul McCartney bat, das Konzert zu
verstärken. McCartney,
1971 noch tief getroffen vom Beatles-Bruch und allem damit verbundenen
Ärger, erinnerte
sich drei Jahre später mit diesen Worten: "George kam auf mich
zu und fragte,
ob ich beim Konzert spielen wolle. Ich dachte nur: Verflucht, was soll
das? Wir
haben uns gerade getrennt und nun vertragen wir uns wieder? Das war
alles ein
bisschen verrückt." McCartneys Absage erscheint heute halbwegs
plausibel und
nachvollziehbar. Schließlich verbündeten sich die
anderen drei Beatles vor
allem juristisch gegen ihn -
und nun war
er plötzlich erwünscht. Im Gegensatz dazu war Lennons
Verhalten kindisch.
Gerade er, der politisch aktive Beatle, war zu stolz um dem Not
leidenden Volk
von Bangladesch zu helfen.
Ungeachtet
dieser zwei kapitalen Absagen blieb die Besetzung
hochkarätig genug: Ravi Shankar, Ringo Starr, Eric Clapton,
Bob Dylan (dessen
Auftritt vor lauter Nervosität bis zuletzt auf der Kippe
stand), Billy Preston,
Leon Russell (bekannt durch Joe Cockers "Mad Dogs And
Englishmen"-Tour), die "Apple"-Band Badfinger, Klaus Voormann und
Sessionmusiker erster Güte. George
Harrison beschrieb die Vorbereitungen zum Konzert als "pures
Adrenalin".
Ehrgeizig, mit viel Spontaneität und Selbstvertrauen ging er
das Projekt an.
Eine Sache, die er von John Lennon gelernt hatte: " [...] wenn er
hinter einer
Sache stand, dann machte er es einfach. Und als ein Freund von John
habe ich
selbst viel von dieser Eigenschaft mitbekommen.
Gemäß der Einstellung 'Wir
probieren es einfach – wir packen’s an!' "
Innerhalb
von sechs Stunden waren die 40.000 Karten für die
Nachmittags- und Abendvorstellung am 1. August 1971 ausverkauft. Auf dem Schwarzmarkt
wurden für
die 7.50 $-Tickets bis zu 600 $ geboten. George nutzte
sämtliche mediale
Möglichkeiten um den Erlös zu erhöhen. So
verpflichtete er Phil Spector, das
Konzert für eine spätere Veröffentlichung
aufzuzeichnen und auch ein Kamerateam
wurde angeheuert um diese denkwürdige Veranstaltung zu
konservieren. In seiner
einleitenden Ansprache fand George die richtigen Worte um den ernsten
Anlass
des Konzerts zu unterstreichen. Ummittelbar darauf eröffnete
Ravi Shankar das
Konzert mit einem "Bangla Dhun" betitelten Stück. Shankar war
sich
bewusst, dass nicht er die Massen anzog, sondern die großen
Namen der
Rockmusik. Doch das Publikum blieb höflich und spendete (aus
Unwissenheit)
bereits nach dem Stimmen der Instrumente Applaus. Ravi Shankar nahm
dies gelassen: "Wenn euch das Stimmen schon so
gefällt, werdet ihr von der Performance
begeistert sein." Heute allerdings wird der durchschnittliche
Musik-Konsument
wahrscheinlich die Skip-Funktion des CD-Players nutzen und den
indischen Teil des Konzerts
überspringen.
Aber
auch 1971 war der Jubel um ein Vielfaches größer,
als die
westlichen Musiker die Bühne betraten und das Set mit einer
packenden Version
von Harrisons "Wah Wah" eröffneten. Die Zeit für
Proben war im Vorfeld der
beiden Konzerte äußerst begrenzt. Dennoch waren die
Livefassungen der bekannten
Songs bemerkenswert authentisch und energiegeladen. Zwei Schlagzeuger,
zwei
Keyboarder und eine wahre Armada von Gitarristen waren ganz nach dem
Geschmack
von Phil Spector, der Mann, der den Begriff "Wall Of Sound"
prägte. Es gab im Konzert jedoch auch kontemplative Momente,
so z.B. bei "My Sweet Lord", das lediglich von George
Harrisons akustischer Gitarre, Eric Claptons Solo und den Stimmen der
vielen
Backgroundsänger getragen wird. Man braucht kein
Harrison-Experte zu sein um
entweder beim Hören der Aufnahmen oder Betrachten des
Konzertfilms zu erkennen,
wie ernst er die Zeilen meint, die er in "My
Sweet Lord" sang. Zwischendurch standen zwei Musiker im Rampenlicht,
deren
Instrumente üblicherweise nur in zweiter Reihe standen: der
Organist Billy
Preston, der mit einer mitreißenden Version seines Songs
"That’s The Way God Planned It" inklusive
spontaner Tanzeinlage überzeugen konnte, bevor dann unter
ohrenbetäubenden
Ovationen Ringo Starr für seinen aktuellen Hit "It
Don’t Come Easy" (Nr. 1 in den USA und in Deutschland
immerhin
Platz 5) das Mikrofon übernahm. Allein zwei Beatles gemeinsam
auf der Bühne zu
sehen, setzte schon ein Jahr nach der Trennung der Gruppe ungeheure
Emotionen
frei – auch wenn Ringo Starrs Intonationssicherheit deutliche
Schwächen zeigte.
Leon
Russell sang eine starke Version des Stones-Klassikers "Jumping Jack
Flash", der im Medley mit "Youngblood" (welches übrigens zu
George
Harrisons Repertoire in frühen Beatles-Tagen zählte)
verbunden war. Im Duett
mit George Harrison bei "Beware Of
Darkness" wirkte Russell mit seinem breiten amerikanischen Akzent
jedoch
leicht fehl am Platz. Sehr reizvoll präsentierte sich "Here
Comes The Sun" in einer rein akustischen Fassung, bei der
George vom Badfinger-Gitarristen Pete Ham begleitet wurde.
Währenddessen leerte
sich die Bühne um für den folgenden Gast Platz zu
machen.
Das
"Concert For Bangla Desh" bot Überraschungen in mehrfacher
Hinsicht: zunächst war dies der bereits erwähnte
gemeinsame Auftritt von George
Harrison und Ringo Starr. Darüber hinaus wurde Eric Clapton
frenetisch
bejubelt. Die Mehrheit wusste von dessen Heroin-Abhängigkeit,
aber niemand
wusste, ob es jemals wieder eine Gelegenheit geben würde,
Clapton auf einer
Bühne sehen zu können. Bis zu den Proben war
völlig unklar, ob Clapton es schaffen würde. Die
größte Begeisterung entfachte allerdings Bob Dylan.
Nach seiner Ankündigung brauchte das
Publikum Minuten, um wieder zur
Ruhe zu kommen. Warum diese Hysterie? Der amerikanische "Sprecher
seiner
Generation" hatte es satt, als solcher bezeichnet zu werden und lebte
seit
Jahren zurückgezogen vom Musikgeschäft. Nur ein
Auftritt auf der Isle Of Wight
(1969) lag in dieser selbstgewählten Auszeit. Selbst George
Harrison war bis
zum Schluss unsicher, ob Dylan tatsächlich die Bühne
betreten würde: George
hatte eine handschriftliche Namensliste auf seine Gitarre geklebt
– hinter dem
Namen "Bob" stand ein Fragezeichen. Noch am Abend vor dem Konzert
reagierte
Dylan beim Anblick der Medienaufmarsches beinahe hysterisch und
erklärte, dass das nicht seine Sache sei.
Aber
es kam eben doch so, wie George Harrison gehofft hatte. Bob Dylan,
dezent
begleitet von George auf seiner cremeweißen Fender
Stratocaster, Ringo am Schellenring und dem allgegenwärtigen
Leon Russell am Bass, legte einen großartigen
Auftritt hin. Er griff dabei auf seine früheren Erfolge wie
"Blowing In The Wind", "Mr. Tambourine Man" oder "Just Like A Woman"
zurück. Verzichtet
wurde auf "If Not For You", das während
der Proben noch gespielt wurde. Der Song hätte beim Konzert
selbst –
möglicherweise mit zwischen Harrison und Dylan aufgeteilten
Strophen – äußerst
interessant werden können. In der Nachmittagsvorstellung stand
auch "Love Minus Zero / No Limit" mit auf dem
Programm. Dieser Titel fand nicht den Weg auf das später
veröffentlichte
3-LP-Boxset. Ebenso davon betroffen war Harrisons Live-Version von
"Hear Me Lord". Dies war dann auch
verständlicherweise ein Kritikpunkt im Zuge des Erscheinens
der LP-Box. Während
man auf den lang anhaltenden Begrüßungsapplaus
für Bob Dylan scheinbar nicht
verzichten konnte und auch sonst etwas geschickter hätte
editieren können,
blieben die beiden o.g. Songs auf der Strecke.
Wie
auch immer: Die komplette Band kehrte für die letzten beiden
Stücke "Something" und "Bangla Desh" zurück.
Möglicherweise ist es auf Harrisons bescheidene
Art zurückzuführen, dass er die Bühne
verließ, bevor der letzte Takt von "Bangla Desh" erklang. Es
lag ihm
insbesondere bei diesem Benefizkonzert wenig daran, bejubelt zu werden
und im
übertriebenen Maße im Mittelpunkt zu stehen. Noch
später betonte George in Interviews,
dass alles Ravi Shankars Idee gewesen sein und dass er das Ganze
lediglich mit
ein wenig Hilfe seiner Freunde organisiert habe.
Am
selben Abend fand noch ein Feier für alle Mitwirkenden im New
Yorker Club "Ungano’s" statt. Auch andere Prominente
gesellten sich dazu, so auch The Who,
die sich gerade für zwei Auftritte in der Stadt befanden.
Amüsanter Höhepunkt
war eine Version von "Da Do Ron Ron" –
dargeboten von George Harrison und Billy Preston. Später kam
Phil Spector dazu
und sang eine sehr eigenwillige Interpretation des Songs. Am Schlagzeug
saß
Keith Moon, und nach bewährter Who-Manier beförderte
er das Schlagzeug (welches
der Band Badfinger gehörte) mit Fußtritten ins
Publikum.
George
Harrison war voller Enthusiasmus und schrieb am Tag nach den beiden
Konzerten "The Day The World Gets Round", welches
damit den Anfang der Arbeit an seinem kommenden Studioalbum "Living In
The
Material World" darstellte (siehe Rezension). Auch die Presse sparte
nicht mit Lob. So pries
beispielsweise der New Musical Express das Konzert als "das
größte
Rockspektakel des Jahrzehnts". Zugleich begannen George und Phil
Spector mit
der Produktion des Konzertmitschnitts. Die beiden waren eine Woche
lang Tag und Nacht damit beschäftigt und hatten sich
ähnlich der
Turbo-Produktion von Lennons "Instant
Karma!" vorgestellt, das Album bereits Mitte August
veröffentlichen zu
können. Doch oft kommt es anders als man denkt. Capitol
Records
stellten sich als Quertreiber par excellence heraus. Die Plattenfirma
verlangte
für anfallende Herstellungs- und Marketingkosten ein nicht
unerhebliches
Entgeld. Der verärgerte George argumentierte zu Recht, dass
Spector das Album
kostenlos abmischte, Apple das aufwändige Booklet zur
Verfügung stellte und
dass die verschiedenen Plattengesellschaften ihren Künstlern
gestatteten, auf
dem Album zu erscheinen. Harrison, vertreten von Allen Klein, sogar so
weit,
dass er androhte, mit dem Projekt zur Konkurrenz von CBS (heute Sony
Music) zu
gehen. Capitol Records fügten sich im letzten Moment und waren
zu einer
Vorschusszahlung von 3,75 Mill. US-Dollar bereit. Der Sorgen war
Harrison damit aber
nicht entledigt. Nun stritt man sich darüber, zu welchem
Verkaufspreis das
Box-Set auf den Markt kommen sollte, wobei Allen Klein auf einem
möglichst
niedrigen Preis bei maximaler Ausschöpfung des
Benefiz-Beitrags und
gleichzeitiger Gewährleistung der Integrität der
Künstler bestand. Seiner
Verärgerung machte George Harrison in einem Interview in der
amerikanischen
Dick Cavett-Show Luft: "Da hat man nun eine Menge Geld zur
Verfügung, dann
kommt das nächste Problem: Wohin damit? Das Album
hätte schon vor einem Monat
draußen sein sollen." Der Erlös der
Ticketverkäufe – eine gute Viertelmillion
Dollar – wurde übrigens bereits am 12. August 1971
an die UNICEF überwiesen.
Am
6. September, einen Tag nachdem John Lennon sich in einem Interview im
New
Yorker St. Regis Hotel abfällig über George
äußerte ("Er ist sehr engstirnig
und hat nicht wirklich einen weiten Horizont. Paul ist da viel offener
[...]"),
traf er in New York in eben jenem Hotel mit John und Yoko zusammen. Die
beiden
waren mit Dreharbeiten zu ihrem Film "Imagine" beschäftigt.
George, der von den
Äußerungen vom Vortag offensichtlich nichts wusste,
sollte in einer Filmszene
Arm in Arm mit Yoko das Hotelzimmer der Lennons betreten und zum
Fenster gehen
(auch andere Prominente wie Fred Astaire und Jack Palance hatten die
gleiche
Aufgabe). Schon ein starkes Stück, sagte Yoko Ono in dem
Interview sogar über
George, er sei intellektuell nicht kultiviert.
Im
Oktober traf sich Harrison mit dem britischen Finanzminister Patrick
Jenkins in
einem erfolglosen Versuch, die Einnahmen aus dem Verkauf des "Concert
For
Bangla Desh"-Albums (damaliger Arbeitstitel "George Harrison And
Friends")
nicht zu versteuern. Jenkins erklärte: "Tut mir Leid! Ihr
Idealismus in allen
Ehren, aber Großbritannien braucht auch das Geld."
In
den USA tauchten unterdessen schon illegale Mitschnitte des Konzertes
auf.
George trat die Flucht nach vorn an und kündigte die
Veröffentlichung des
Albums für November an. Umgehend wurden die
Plattengeschäfte mit Postern
beliefert, die an das Gewissen der Musikfans appellierten: "Rette ein
hungerndes Kind, kaufe keinen Bootleg!"
Ende
November feierte der Film "Raga" in New York Premiere, zu der sowohl
George
Harrison als auch John Lennon mit ihren Frauen erschienen. Eine im
Sommer 1968
gedrehte Szene zeigt dabei eine Sitar-Lehrstunde, die George Harrison
von Ravi
Shankar erhielt. Eine wohltuende Ablenkung von den ärgerlichen
Auseinandersetzungen um das "Bangla Desh"-Album. Auch der
November-Termin
konnte nicht verwirklicht werden, so dass die LP-Box erst am 20.
Dezember 1971
in den USA veröffentlicht wurde. Zur gleichen Zeit
unterstrichen verschiedene
Auszeichnungen Georges derzeitigen Stellenwert in der Rockmusik ("My
Sweet Lord" als bestverkaufte Single
des Jahres und George als "Top Male Vocalist 1971", dazu drei weitere
Verleihungen im folgenden Jahr: zwei für "My
Sweet Lord" und einen "Child Is The Father Of The Man"-Award
der UNICEF für
sein Bangladesch-Engagement.
Mit
1972 brach ein vergleichsweise ruhiges Harrison-Jahr an, welches
allerdings mit
einer faustdicken Überraschung für George begann: Bei
seiner Rückkehr nach
Henley im Januar stellte er fest, dass sich auf dem Gelände
von Friar Park ein
Filmteam für Dreharbeiten zu einem zweitklassigen
Softporno-Streifen
niedergelassen hatte. Harrison schien es mit Humor zu nehmen und so kam
der "Au
Pair Girls" genannte Film (mit dem britischen Komödianten
Richard O’Sullivan)
im Sommer des Jahres in die Kinos. Ende Februar, kurz nach seinem 29.
Geburtstag, war George Harrison mit seiner Frau Patti in einen
Autounfall
verwickelt. Sie fuhren gerade gegen Mitternacht mit ihrem 600er
Mercedes in der
Umgebung von Maidenhead, als die Straßenbeleuchtung ausfiel.
Bei einem neu
eröffneten Kreiselverkehr kollidierten sie mit einer Laterne.
George und Patti
trugen beide Kopfverletzungen davon, die genäht werden
mussten. Während George
das Krankenhaus nach der Behandlung verlassen konnte, wurde Patti zur
Beobachtung in ein Schwesternheim überwiesen. Zu diesem
Zeitpunkt, im
verflixten siebten Ehejahr, steckte die Beziehung zwischen dem
einstigen
Traumpaar in ernsten Schwierigkeiten. Aber davon später mehr.
Im März hatte "The Concert For Bangla Desh" die Position 2 der amerikanischen und wenig später die Nr. 1 der englischen LP-Charts erreicht. 1991, zum zwanzigsten Jahrestag des "Concert For Bangla Desh" erschien das Album erstmals auf CD. In einem Promotion-Interview zur Wiederveröffentlichung bezifferte George Harrison den Gesamterlös auf 13,5 Millionen US-Dollar – summiert aus Ticketverkauf, dem Einspielergebnis des Konzertfilms im Kino und den abgesetzten Alben. Auf diese Zahl ging George noch genauer ein: "Ich weiß, dass das heutzutage nicht viel ist – 13,5 Millionen Dollar sind sehr wenig im Vergleich zu Dingen wie Live Aid. Aber man sollte sich daran erinnern, dass das eine Zeit war, in der niemand eine Ahnung von Benefizkonzerten hatte. Etwas in dieser Art gab es bis dahin noch nicht und damals waren 13,5 Millionen sicher mehr wert als heute." Das größte Problem bestand damals darin, dass die Finanzbehörden das Geld über Jahre hinweg blockierten, weil ständig darüber Uneinigkeit herrschte, welcher Betrag der hungernden Bevölkerung von Bangladesch zugeführt werden und wie hoch der Steuersatz sein sollte. Außerdem warf George später Allen Klein vor, er habe nachhaltige Fehler in der Organisation gemacht. So habe er sich viel zu spät, nämlich erst nach den Konzerten, mit der UNICEF in Verbindung gesetzt. Irgendwann war auch die Geduld von George Harrison erschöpft und so bezahlte er den Steueranteil im Juli 1973 aus eigener Tasche. Angesprochen darauf, wie sehr ihn die Querelen um die Gelder belasteten, konstatierte er sicherlich mit einem Augenzwinkern, aber ernst genug: "Yeah, das reicht aus um durchzudrehen und sich umzubringen."
Wie bereits erwähnt, hat man sich mit der Verpackung des Konzertmitschnitts viel Mühe gegeben. Die Box enthält neben den drei Schallplatten ein LP-formatiges Booklet mit 64 Seiten aus schwerem Papier. Dass die Künstler sich in den Dienst der Sache stellten, das zeigt auch das Frontcover. Nicht etwa eine Aufnahme vom Konzert ist zu sehen, sondern das Foto eines ausgemergelten Flüchtlingskindes. EMI/Capitol war alles andere als einverstanden damit, da es aus ihrer Sicht eher abschreckend wirken würde. George Harrison setzte sich allerdings durch.