Wings Wild Life
Veröffentlicht:
03. Dezember 1971
LP: Apple 1C 062 - 04946
(Deutschland)
CD: EMI 0777
7 89237 2 5
(Digitally Remastered)
Titel:
Mumbo / Bip
Bop / Love Is Strange / Wild Life / Some People Never Know
/ I Am Your Singer / Bip Bop Link (Instr.)
/ Tomorrow / Dear Friend / Mumbo Link (Instr.) /
Bonus
Tracks auf
der remasterten CD: Give Ireland BackTo The Irish / Mary Had A
Little Lamb / Little Woman Love / Mama's Little Girl
Heutzutage
würde es
ein Künstler vom Format eines Paul McCartney niemals wagen,
ein
amateurhaftes Werk wie "Wings Wild Life" zu veröffentlichen.
Doch
es wäre auch falsch, diese Platte durchweg als peinliche
Ausschussware zu bezeichen. Aber der Reihe nach:
Nach den ersten wirklichen Solo-Erfahrungen von "McCartney" und "Ram"
sowie einer latent vorhandenen Orientierungslosigkeit durch das
Beatles-Ende und den damit verbundenen Verwerfungen war Paul nun an
einem Neuanfang mit einer Band interessiert. Die Zusammenarbeit mit
Session-Musikern (wie auf "Ram" geschehen) missfiel dem
harmoniesüchtigen Ex-Beatle. Einzig Denny Seiwell und Hugh
McCracken erschienen ihm geeignet, Mitglieder der noch zu formierenden
Band zu werden. Doch McCracken entschied sich nach ersten Proben gegen
die Idee und verließ die McCartneys. Ja, McCartney
in der
Pluralform, denn dass Linda in der noch namenlosen Band mitwirken
sollte, war für sie selbst eine mehr als harte
Herausforderung,
für Paul jedoch von zentraler Bedeutung. Aber sie tat ihrem
Mann
den Gefallen. Nun fehlte noch ein Gitarrist, der am besten auch noch
ein guter Sänger und Songschreiber sein sollte. Diesen fand
Paul
McCartney in Denny Laine, den er bereits von früher kannte,
als
Laines Band The Moody Blues zusammen mit den Beatles auf Tour war.
Damit war die erste Inkarnation der Wings komplett: Paul und Linda
McCartney und der doppelte Denny: Laine und Seiweill. Nun musste nur
noch ein Name her. Der Legende nach hofften Paul und Linda McCartney
nach der schwierigen Geburt von Tochter Stella im September 1971 auf
Beistand von Schutzengeln. Ihnen gefiel die Vorstellung von Engeln mit
Flügeln und so gaben sie der neuen Gruppe den Namen "Wings".
Die "Wings Wild Life" prägende Attitüde der
McCartneys wird gleich beim Eröffnungsstück "Mumbo"
deutlich. Dieser - von Pauls nicht zu verstehenden Gekrähe
abgesehen - instrumentale Song war im Prinzip nichts anderes als eine
lockere Jam Session. Die Band spielte einige Minuten vor sich hin, bis
Paul schließlich dem Toningenieur Tony Clark die Anweisung
gab, die Bandmaschine mitlaufen zu lassen. Auf diese Weise ist "Mumbo"
in einem Take auf das Album gekommen. Gewiss haben die Beatles das in
ihrer Anfangszeit nicht unähnlich gemacht, doch mit Pauls Ruf
des genialen Melodienschmieds ließ sich das kaum vereinbaren.
Auch erweckt "Mumbo" nicht den Eindruck, hier würde sich eine
der erfolgreichsten Bands der 70er Jahre in den Startlöchern
befinden. Mit "Bip Bop" geht es recht belanglos weiter. Die
Inspiration dazu geht zurück auf Töchterchen Mary,
die nicht aufhörte, die Worte "Bip Bop" zu brabbeln. Private
Filmaufnahmen aus dieser Zeit zeigen Paul und Linda auf dem
Gelände ihrer schottischen Farm. Dort stimmen sie dieses Lied
an, während Mary fröhlich um sie herumtollt.
Der dritte Titel, "Love Is Strange" lässt sich schon eher als
"Song" bezeichnen. Das Stück stammt allerdings nicht aus Paul
McCartneys Feder, sondern war eine Hitsingle u.a. für die
Everly Brothers (1965). Dargeboten wird "Love Is Strange" im
Reggae-Gewand. Dieser aus Jamaica stammende Musikstil begeisterte vor
allen Dingen Linda McCartney. Aber auch Paul mochte Reggae und
unternahm mit seiner Frau etliche Urlaubsreisen nach Jamaica.
Kurzzeitig wurde erwägt, "Love Is Strange" als Single
auszukoppeln,. Jedoch verwarf man diese Idee mit der
Begründung, das dies nicht der ideale Weg sein, die Wings in
den Singlemarkt einzuführen. Tatsächlich wurde kein
einziger Song von "Wings Wild Life" als Single veröffentlicht.
Der Titelsong bringt es beinahe auf stolze sieben Minuten Laufzeit -
Ausmaße, die an "Hey Jude". Aber auch "Wild Life" erreicht
nicht im Geringsten die Qualität und den Ausdruck des
McCartney-Meisterwerks von 1968. Dennoch ist "Wild Life"
geprägt von einer nicht uninteressanten melancholischen
Grundstimmung. Der Text war inspiriert durch einen mehrere Jahre
zurückliegenden Besuch Pauls in einem Park nahe Nairobi. Hier
klingen erstmals die Tierschützer Paul und Linda McCartney an:
"While take a walk thru an
African park one day,
I saw a sign say, "The
animals have the right of way".
Wild life, whatever happened to,
Wild life, the animals
in the zoo?
We're breathing a lot,
A lot of political
nonsense in the air."
Eigentlich eine überzeugende Kritik am Umgang des Menschen mit
der Tierwelt.
Der Song selbst jedoch ist viel zu lang geraten. Spätestens
nach drei Minuten entwickelt er sich nicht weiter, bleibt aber der
Höhepunkt der ersten originalen LP-Seite. Dreht man die
Scheibe um bzw. lässt die CD weiterlaufen, so erklingt
abermals ein gut sieben Minuten langes Werk: "Some People Never Know".
Man möchte beinahe sagen, dass diese von akustischen
Instrumenten geprägte Nummer ein Rohdiamant darstellt. Eine
durchaus schöne Melodie und ein gelungener Mittelteil - doch
erneut viel zu lang geraten. McCartney hätte hier vielleicht
mehr Wert auf Feinschliff und Reduktion auf das Wesentliche legen
sollen. Nun, weiter geht's: Bei "I Am Your Singer" steht Linda als
Sängerin im Mittelpunkt. Einerseits erneut eine
hübsche, kleine Melodie. Doch auch hier ein Aber: Lindas
amateurhafte gesangliche Qualitäten schmälern das
Hörvergnügen, so dass man recht erleichert ist, dass
"I Am Your Singer" die drei Minuten-Marke nicht überschreitet.
Eine nette, nicht mal einminütige Spielerei McCartneys auf
seiner (vermutlich 12-saitigen) Akustikgitarre ist "Bip Bop (Link)".
Dieses Versatzstück ist übrigens erstmals 1988
für die CD-Erstauflage namentlich erwähnt
worden.
Der beste Song auf "Wings Wild Life" ist sicher "Tomorrow". Hier hat
McCartney alles auf den Punkt gebracht: Eine eingängige
Melodie, eine unter den "ad hoc"-Umständen clevere
Instrumentierung, ein netter Text und eine packende Schlusssequenz
(beginnend mit
"Oh, baby, don't let me
down tomorrow"). War es bei "Tomorrow" schon
das dominante Instrument, so wird auch "Dear Friend" vom Piano
McCartneys getragen. Einfache, absteigende Akkordfolgen erzeugen
abermals eine Atmosphäre voll Melancholie. Der ebenfalls in
einem Take aufgenommene Song ist bereits während der
"Ram"-Periode erstmals geprobt, aber nun für "Wings Wild Life"
vollendet worden. "Dear Friend" kann als
ein symbolischer "Offener Brief" an John Lennon gesehen werden, und zwar im Bezug auf die
bitterbösen gegenseitigen Angriffe und Beschuldigungen in den
Wirren der relativ frischen Beatles-Trennung. "Dear Friend" ist eine
versteckte Bitte McCartneys, die zum Frieden ausgestreckte Hand
anzunehmen:
Dear friend, what's the
time?
Is this really the
borderline?
Does it really mean so
much to you?
Are you afraid, or is it
true?
Dear friend, throw the wine,
I'm in love with a
friend of mine.
Really truly, young and
newly wed.
Are you a fool, or is it
true?
Doch auch "Dear Friend" krankt ein wenig daran, zu lang geraten zu
sein. Die Botschaft allerdings, dass es die Angelegenheit nicht wert ist,
einander weh zu tun, lässt darüber hinwegsehen. Das
Album wäre so eigentlich zu einem würdigen Abschluss
gekommen. Doch Paul beabsichtigte, den Livecharakter von "Wings Wild
Life" noch einmal zu unterstreichen, indem er einen kurzen, rau
rockenden Session-Schnipsel hinten anhängte. Auch "Mumbo
(Link)" wurde erstmals 1988 für die CD-Ausgabe erstmals
namentlich erwähnt.
Die remasterte CD von "Wild Life" wartet mit gleich vier Bonus-Titeln
auf. Der erste davon ist sicherlich der umstrittenste, denn er zeigt
Paul McCartney als Polit-Barden. Das war man von ihm nicht gewohnt, auf
diesem Terrain war vielmehr John Lennon zuhause. Nach außen
hin mag es so ausgesehen haben, dass McCartney damit bewusst gegen
seinen Ruf als oberflächlicher Softie steueren wollte. Doch
"Give Ireland Back To The Irish" zu schreiben und aufzunehmen, war ein
aufrichtiges Anliegen. McCartney (dessen Familie irischen Ursprungs
ist) war stets von der Rechtmäßigkeit und Fairness
der englischen Regierung und deren Streitkräfte
überzeugt. Als er jedoch erfuhr, welches Massaker britische Soldaten Anfang 1972
in
der nordirischen Stadt Derry bei einer Demonstration für
Bürgerrechte an 13 Zivilisten verübten,
verspürte Paul den Drang, sofort einen Song darüber
zu schreiben und schnellstmöglich zu veröffentlichen.
Ehrenwerte Absichten, doch das musikalische Endergebnis war mehr als
unbefriedigend und bestätigt John Lennon als denjenigen, der
für politisch motiviertes Songwriting prädestiniert
war. Lennon hatte sich mit dem Polit-Album "Some Time In New York City"
auch nicht mit Ruhm bekleckert, doch unterm Strich zeigte sich, dass
McCartney nicht einmal ansatzweise dazu in der Lage war (und ist, wie
das wenig überzeugenden "Freedom" von 2001 belegt),
eindringliche Songs wie "Give Peace A Chance", "Power To The People" oder gar "Imagine" zu
schreiben. Doch der gute Wille zählt nicht wenig und als "Give
Ireland Back To The Irish" als erste Wings-Single
veröffentlicht wurde, erfolgte sogleich ein Bann der BBC. Den
Song nicht zu spielen, brachte ungeheuer viel Publicity. Anfang
November 1971 fand in London eine Party anlässlich der
Veröffentlichung von "Wings Wild Life" statt. Die
Gästeliste war beeindruckend: Jimmy Page, Elton John, Ronnie
Wood, Keith Moon und John Entwistle - um nur einige zu nennen. Doch
erst nach der Veröffentlichung (und der damit verbundenen Zensur) von "Give Ireland Back To The
Irish" am 25. Februar 1972 waren die Wings richtig im Gespräch.
Es gibt weit verbreitete Gerüchte, Paul wollte nach dem
kontrovers diskutierten und von der Kritik zerrissenen
"Give Ireland Back To The Irish" absichtlich etwas harmloses wie das
Lied "Mary Had A Little Lamb" herausbringen. Doch Paul McCartney war in
seinen Entscheidungen seinerzeit sehr unbekümmert: Das auf
einem Kinderreim basierende Stück "Mary Had A Little Lamb"
entstand im Dezember 1971 und wurde in den folgenden Wochen ein Favorit
von Pauls Tochter Mary. Im März 1972 entschied sich Paul, eine
ordentlich produzierte Aufnahme davon zu machen. Was vielleicht im
privaten Rahmen hätte bleiben sollen, war nun
tatsächlich die zweite Single der Wings. Warum das alles? Weil
Paul in erster Linie Mary einen Gefallen tun wollte und dann in seiner
sympathischen Naivität davon überzeugt war, der Song
würde sich perfekt als neue Wings-Single eignen. Ohne
Hintergedanken im Bezug auf "Give Ireland Back To The
Irish".
"Little Woman Love" wurde während der "Ram" Sessions
aufgenommen. Diese nette, schmissige Nummer mit einem
treibenden Piano war nur die B-Seite von "Mary Had A Little Lamb". Eine
der vielen Fehlentscheidungen in Fragen der Single-Auskopplungen in
McCartneys Solokarriere, denn "Little Woman Love"
hätte sicherlich mehr Charts-Potenzial gehabt, als "Mary Had A Little Lamb".
"Mama's Little Girl" schließlich reicht schon hinein in die
Aufnahmen zum folgenden Wings-Album "Red Rose Speedway". Dieser von
akustischen Gitarren geprägte Titel, leicht
country-angehaucht, hat mehr Struktur als vieles, was zuvor aufgenommen
wurde. Paul McCartney war aber nach wie vor noch recht weit von seinen
alten Qualitäten als Songschreiber entfernt.
Das Album "Wings Wild Life" schaffte es in den Charts gerade mal in die
Top-10 und auch die Singles waren nicht sonderlich erfolgreich: Die
höchsten Notierungen gab es im Vereinigten Königreich, so erreichte "Give Ireland Back To The
Irish" gerade mal Rang 16 und "Mary Had A Little Lamb" Platz 9.
Anspieltipps:
Dear Friend / Tomorrow
Bewertung:
+
Pressestimmen:
"A dream album for airline
hostesses, but musically (...) there's too many maracas around, and not
enough balls." - New Musical Express, 11. Dezember
1971