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Arbeitsgruppe der Ortschronisten der Ostfriesischen Landschaft


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Letzte Aktualisierung
am: 28.07.2017

Leitung:
Dr. Paul Weßels

Webmaster
H.-Jürgen Adams


 

 

Protokoll des Treffens der Arbeitsgruppe de Ortschronisten vom 07. November 2008 in den Räumlichkeiten der Ostfriesischen Landschaft in Aurich

28 Teilnehmer
Protokoll: Dr. P. Weßels
Referent: Rudolf Nassua

TOP 1: Als Nachfolger für den als Sprecher zurückgetretenen Prof. Dr. Parisius wurde Dr. P. Weßels gewählt.

TOP 2: Vortrag Rudolf Nassua: Arbeiterräte, Bauern- und Landarbeiterräte, Soldatenräte in Ostfriesland

In Wilhelmshaven, damals zu Ostfriesland gehörend, kam es im Oktober 1918 zur Meuterei durch Matrosen der Hochseeflotte und in der Folge zum politischen Umsturz in Deutschland. Spontan bildeten sich auch in Ostfriesland Arbeiterräte und Soldatenräte, die ihre Aufgaben hervorragend erfüllten und fälschlicherweise durch die Dolchstoß-Legende diffamiert wurden.

Die Reichsregierung rief am 09.11.1918 zur Gründung von Orts- und Bauernräten auf. Vom  Staatssekretär des Reichsernährungsamtes und dem preußischen Staatskommissar für Volksernährung wurde Anfang Dezember 1818 die Wahl von paritätisch besetzten Bauern- und Landarbeiterräten für jede Gemeinde angeordnet, die dann Kreisbauern- und Landarbeiterräte zu wählen hatten.

Auf nationaler Ebene gab es zwei Rätekongresse (16.12.1918 und 08.04.1919), während andererseits am 19.01.1919 die Nationalversammlung gewählt wurde und am 11.08.1919 die Reichsverfassung in Kraft trat. Mit der Installation der gewählten Parlamente verloren die Räte ihre Legitimation.

Die junge Republik drohte angesichts der andauernden Blockade durch die Siegermächte und der unzureichenden Ernährungssituation in Anarchie zu versinken. Die Einrichtung von Bauern- und Landarbeiterräten sollte das verhindern helfen. Tatsächlich ging es außerdem auch um die Verhinderung eigenmächtiger Eingriffe der Arbeiter- und Soldatenräte – z.B. durch besondere „Hilfsorganisationen“.

 Ein aus mindestens sechs Personen bestehender Bauern- und Landarbeiterrat sollte in jeder selbständigen Gemeinde gewählt werden, Auf Kreis- und Bezirksebene mussten entsprechende Räte gebildet werden. Aufgaben waren neben der Gewährleistung der Lebensmittelversorgung und der Bekämpfung des Schleichhandels die Erhaltung der landwirtschaftlichen Betriebe, die Mitwirkung bei der Aufnahme entlassener Kriegsteilnehmer und der Beschaffung von Arbeit und Wohnung sowie die gegenseitige Hilfe zum Schutz von Personen und Eigentum. Die Wahl der Bauern- und Landarbeiterräte durch zwei Gruppen (hauptberufliche Landwirte und nichtlandwirtschaftliche Landbevölkerung) wurde allgemein, gleich, geheim und direkt durchgeführt. Wahlberechtigt waren Männer und Frauen, die das 20. Lebensjahr vollendet hatten.

Ordnungsgemäß gewählte Kreis-Bauern- und Landarbeiterräte aus 38 Landkreisen der Provinz Hannover riefen am 01. April 1919 zur Bildung eines Provinzial-Bauern- und Landarbeiterrates auf. Auf der Kreisebene sollten je ein Arbeitgeber und ein Arbeitnehmer und auf der Bezirksebene zwei Arbeitgeber und zwei Arbeitnehmer als Delegierte für die konstituierende Sitzung gewählt werden.

In Ostfriesland fühlte sich der 1849 gegründete Landwirtschaftliche Hauptverein (LHV) verpflichtet, die Interessen der ostfriesischen Landwirte auch im politischen Raum zu vertreten. Mit seiner Unterstützung wurde am 23. November 1918 zur Bildung von Orts-Bauern- und Landarbeiterräten aufgerufen. Ein Kreis-Bauern- und Landarbeiterrat wurde nicht gebildet, weil man sich durch den Arbeiter- und Soldatenrat gut vertreten fühlte. Bei der ersten (konstituierenden) Sitzung des Bezirks-Bauern- und Landarbeiterrats am 28. März 1919 in Aurich waren 24 Mitglieder anwesend, Der Reichstagsabgeordnete Jan Fegter (Norden) wurde zum Vorsitzenden, Garels (Leer) zu seinem Stellvertreter und Groot (Westermarsch) zum Geschäftsführer gewählt.

In Ostfriesland waren die Interessen der beteiligten Groß- und Kleinbauern, Tagelöhner und Arbeiter aber sehr unterschiedlich, weshalb es dem landwirtschaftlichen Hauptverein nicht gelang, eine einheitliche, schlagkräftige politische Interessenvertretung für den Regierungsbezirk aufzubauen. Auf Betreiben des Auricher Rechtsanwalts Dr. Wilhelm Schapp erfolgte in Konkurrenz zum LHV am 10. September 1919 die Gründung des Ostfriesischen Landbundes. Dieser scheiterte aber bis 1925 mit seinem Konzept, den Landwirten durch die Gründung diverser Genossenschaften zu helfen.

Der Landrat des Kreises Emden, von Frese, wollte durch die Bildung von Bauern-, Handwerker- und Landarbeiterräten ein Gegengewicht zu den im Emden sehr starken Arbeiterräten schaffen. Neben dem Gemeinde-Bauernrat sollte es einen Kreis-Bauernrat und für den Regierungsbezirk den Bezirks-Bauernrat geben.

Landrat von Frese genehmigte im Frühjahr 1919 Hausdurchsuchungen, Beschlagnahmungen von Lebensmitteln und Schleichhandelswaren durch den Arbeiterrat Emden zusammen mit den Gemeindevorstehern und den Obleuten der Gemeinde-Bauern- und Landarbeiterräte.

Der Arbeiter- und Soldatenrat Leer lud für die Wahl von Bauernräten ab Ende November 1918 zu öffentlichen Versammlungen in den Gemeinden des Landkreises ein. Bauern und Landarbeiterräte gab es u.a. in Hesel/Neudorf,  Nüttermoor/ Heisfelde, Breinermoor/ Folmhusen, Rhaude/ Rhaudermoor, Detern/Ammersum und  Filsum. In einem Ende Januar 1919 gebildeten Kreis-Bauern- und Landarbeiterrat war jeder gewählte Gemeinderat mit ein einem Obmann vertreten. Der Kreis Leer wurde in sechs Bezirke gegliedert, an deren Spitze Obmänner standen. Der Bauern- und Landarbeiterrat Leer bestritt ein Weisungsrecht durch den Arbeiter- und Soldatenrat Leer. Ein eskalierender Machtkampf wurde mit einem Kompromiss beendet.

Im Kreis Aurich regten die Gemeindevorsteher die Bildung eines Bauernrates an, der sich dem Arbeiter- und Soldatenrat anschließen sollte. Im Auricher Arbeiterrat besetzten die Vertreter der Landwirtschaft ein Drittel seiner Sitze. Die Landwirte machten auch mit dem Auricher Soldatenrat und seiner Sicherheitswehr gute Erfahrungen.

Im Kreis Norden gab es in Dornum, Hagermarsch, Lintelermarsch, Lütetsburg, Nesse, Neßmersiel, Landbauernschaft Süderneuland I, Upgant-Schott, Westerende, Westermarsch I, Osteel, Westermarsch II und Schwittersum Bauern- und Landarbeiterräte. Der Kreis-Bauern- und Landarbeiterrat wurde erst am 08. Januar 1919 gewählt.

In Wittmund wurde Ende 1918 ein Kreis-Bauern- Arbeiter- und Soldatenrat gegründet, der aber nach Feststellung des Landrat im März 1919 nicht ordnungsgemäß gewählt worden sei, weshalb am 15. März 1919 neu gewählt wurde.

Spätestens mit der Verabschiedung der Weimarer Verfassung fehlte den Räten die politische Legitimation, auch wenn sie hier und dort noch weiter existierten.

(Rudolf Nassua, Alle Macht den Räten : Arbeiterräte, Bauern- und Landarbeiterräte, Soldatenräte in Ostfriesland 1918 bis 1919, Norderstedt (Books on Demand), 2007)