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Arbeitsgruppe der Ortschronisten der Ostfriesischen Landschaft


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Letzte Aktualisierung
am: 28.07.2017

Leitung:
Dr. Paul Weßels

Webmaster
H.-Jürgen Adams


 

 

Protokoll des Treffens der Arbeitsgruppe der Ortschronisten vom 22.01.10 in der Ostfriesischen Landschaft, Aurich

22 Teilnehmer

Referentin: Gisela Händel

Protokoll: P. Weßels

Gesprächsführung Prof. B. Parisius

Dr. Weßels eröffnete die Sitzung mit einer Begrüßung der Anwesenden und dem Hinweis auf den nächsten Termin der Ortschronisten am 19.02. im Museum Leben am Meerin Esens.

Giesela Händel, geb. Simon: Flüchtlingsschicksal

Zusammenfassung des Vortrags: Frau Händel wurde am 01.08.1932 in Naugard, Kreis Naugard Hinterpommern bei Stettin (heute Nowogard, Povinat Goleniowski in der polnischen Woiwodschaft Westpommern) geboren.

Mit zehn Jahren wurde Giesela Simon als „Jungmädchen“ schon regelmäßig zum Aufwickeln von Verbänden und zum Austeilen von Essen und Getränken bei der Durchfahrt von Verwundeten-Zügen durch ihren Ort herangezogen. Seit Ende 1944 kamen die ersten deutschen Flüchtlinge aus Ostpreußen in ihren Ort. Im Februar flüchtete sie als Zwölfjährige mit ihrem Großvater, ihrer Mutter und Schwester vor der heranrückenden Roten Armee durch die Winterkälte in Richtung Nord-Westen. Die Familie traf an der Ostsee auf einen großen Flüchtlingstreck, in den sie sich eingliederten, und gehörte zu den letzten, die in Swinemünde die noch intakte Brücke überqueren konnten. Dort wurden sie am 12. März 1945 Opfer des verheerenden Luftangriffs einer alliierten Bomberflotte, bei dem bis zu 23.000 Menschen ums Leben gekommen sein sollen. Der Großvater starb bei diesem Angriff, aber die Restfamilie konnte weiter ziehen und schließlich in Anklam einen Zug besteigen. Am 21. März 1945 gelangten sie auf dem Reichsbahnhof in Aurich an, am „Ende der Welt“. Die Registrierung erfolgte in Ahrenholz-Garten, dann wurde die Familie mit der Kleinbahn nach Schirum gebracht. Dort nahm der Ortsbauernführer Adolf Röben nur die Mutter und die jüngere Tochter zu sich ins Haus im Schirumer Leegmoor, die ältere Tochter blieb allein zurück und wurde schließlich vorläufig von einer Frau mit neun Kindern aufgenommen. Zwei Tage später kam sie zur Familie des Briefträgers Christian Löschen, bei dem sie als Arbeitskraft gern gesehen war, aber ansonsten schlecht behandelt wurde.

Schließlich fand die Mutter nach einigen Monaten ein 15m2-Zimmer ohne Ofen bei Familie Folkerts an Middelburger Brücke. Sie besserte die Unterstützung durch Näh- und Schneiderarbeiten auf. Der Vater war in Norwegen in Kriegsgefangenschaft, kehrte von dort 1947 zurück und zog auch in das Zimmer mit ein. Gemeinsam wurde ein Stück Torfmoor in Collrunge, später Wiesens, gepachtet und abgegraben, um Winterbrand zu haben. Bei einem benachbarten Bauern wurde einer von drei Öfen beschlagnahmt, damit die Familie heizen konnte. Durch die Pacht von Gartenland konnte die Ernährungssituation wesentlich verbessert werden. Der Vater arbeitete als Tischler, wurde in Aurich zum Kohleschippen eingeteilt und schließlich Angestellter der Stadt Aurich.

Giesela Simon besuchte in Aurich bis Ostern 1950 die Realschule, arbeitete nachmittags in einer Gärtnerei und bei den Bauern. In ihrem letzten Schuljahr lernte sie ihren späteren Mann kennen, der kurz darauf zum Bundesgrenzschutz kam und an vielen verschiedenen Orten in Deutschland stationiert wurde. Giesela Simon kam, nachdem sie die Realschule erfolgreich abgeschlossen hatte und keine Lehrstelle finden konnte, für ein Jahr an eine Schule des dänischen Roten Kreuzes für weibliche Flüchtlinge in Salzgitter/Schäferstuhl. Von hier aus erhielt sie ein Stipendium für einen pädagogischen Kurs an der Universität Braunschweig, wechselte aber auf Anraten des dortigen Rektors bald in eine Handweberlehre nach Osnabrück. Hier arbeitete sie noch drei Jahre als Gesellin, bis sie ihren Mann in Aurich heiratete, der hier im Anschluss an den Bundesgrenzschutz eine Anstelllung bei der Bundespost erhielt. In der Ehe wurden drei Kinder geboren. Von 1956 bis 1970 war Gisela Händel Hausfrau und Mutter und pflegte den kranken Schwiegervater. Um den Hausneubau finanzieren zu können, in dem auch der Schwiegervater zwei Zimmer erhielt, nahm Frau Händel den Handarbeitsunterricht an der Kirchdorfer Grundschule, an der katholischen Grundschule sowie an der Sonderschule Aurich auf. Beide Grundschulen wurden geschlossen. Von 1971 bis 1979 war Frau Simon Vertragslehrerin  in den Fächern Textilarbeit und Hauswirtschaft an der Sonderschule Aurich. Im November 1973 legte sie die Meisterprüfung für Hauswirtschaft an der BBS in Emden ab. Von 1976 bis 1978 nahm sie erfolgreich an einem Fernstudienkurs Erziehungswissenschaften der Universität Osnabrück teil. Seit September 1979 wurde sie Lehrerin für Fachpraxis an der BBS II in Aurich, absolvierte das zweite Staatsexamen, wurde verbeamtet und 1997 pensioniert.

Vortrag und anschließendes Gespräch wurden von Astrid Parisius zur Dokumentation im Staatsarchiv aufgezeichnet. Ein Protokoll eines früheren Gesprächs mit Frau Händel findet sich in: Rudolf Nassua, Ostfriesland 1945 – 1949. Besatzung, Neuanfang, Aurich (Selbstverl.) 2005, S. 341-343.