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Protokoll der Sitzung der Arbeitsgruppe der Ortschronisten der Ostfriesischen Landschaft vom 27.5.2000 in der Wilhelmine-Siefkes-Schule in Leer
Thema: Leer im Nationalsozialismus
Referentin: Menna
Hensmann
Menna Hensmann ist für zwei Jahre von der Stadt Leer in einer AB-Maßnahme zur Erstellung einer Stadtchronik der Jahre 1933 bis 1945 eingestellt gewesen.
Ausgangspunkt der Arbeit war die
Initiative einer Gruppe von Zeitzeugen, die unter Leitung von Elisabeth Grüßing an die Stadt Leer herantrat und darum bat, bei ihrem Bemühen um eine Aufarbeitung der Lokalgeschichte Leer der Jahre 1933 bis
1944 Unterstützung zu finden. Die Stadt hat die Initiative aufgegriffen und sich zur Beschäftigung eines Historikers unter der Maßgabe bereit erklärt, daß eine Chronik der Stadt Leer für diese Jahre erstellt
werden sollte.
Die Zeitzeugensitzungen selbst konnten für die Dokumentation nicht genutzt werden. Allerdings wurden der Stadt von dieser Gruppe alle Interviews und gesammelten Unterlagen zur Verfügung
gestellt. Die Treffen der Zeitzeugen fanden von 1995 bis Sommer 1999 statt. Dann kam es allerdings zum Dissens über die Rolle der Wehrmacht. Deshalb beschloss man, die Sitzungstätigkeit einzustellen, bevor es
zum völligen Zerwürfnis kommen würde. Die Zeitzeugen stehen aber noch immer den Schulen und interessierten Gruppen für Gespräche zur Verfügung.
Im Oktober 1997 nahm Frau Menna Hensmann die Arbeit mit
einer Sichtung der Literatur und der vorhandenen Unterlagen auf. Beschäftigt war sie bei der Stadt Leer bis Oktober 1999.
Das Material wurde nach Schwerpunkten gegliedert: z. B. jüdische Geschichte 1922
bis April 1940, katholischer Kirche (Hermann Lange, Pfarrer Schniers), Verwaltungsgeschichte, Zeitzeugenberichte. Einige Bereiche konnten nicht berücksichtigt werden, weil es keine Unterlagen gab oder weil die
Zeit zur Sichtung fehlte (z.B. Schul- und Bildungswesen, Gesundheitswesen). Die Polizeiakten waren nicht aufzufinden und sind entweder noch nicht registriert oder vernichtet. Ebenso steht es mit den Akten der
Parteiorganisation. Im Keller des Rathauses lagern noch packetweise verschnürte, nicht erfasste Aktenbündel. Es war ausdrückliche Aufgabenstellung, sich nur auf das bei der Stadt Leer vorhanden Material zu
konzentrieren. Besuche in anderen Archiven waren nicht erwünscht.
Nach der ersten Sichtung und Klärung des Arbeitsumfangs entschloss sich Menna Hensmann zur Erstellung einer Quellendokumentation und sah von
dem Plan einer historischen Darstellung der Geschichte der Jahre 1933 bis 1945 ab. Viele Teilbereiche waren kaum bearbeitet, zu vielen Bereichen fehlten Unterlagen. Für eine historische Aufarbeitung wäre mehr
Zeit notwendig gewesen. Etwa nach einem Jahr Arbeit bei der Stadt Leer
wurde Frau Hensmann auch die sog. „Judenkartei“ überreicht, die bis dahin im Haus unter Verschluss war. Diese Kartei wurde
vollständig in die Dokumentation aufgenommen. Außerdem enthielt die Datei viele Namen von Zwangsarbeitern, die gleichfalls komplett Eingang in die Dokumentation fanden. Es handelt sich dabei nur auf den ersten
Blick um trockene Listen. Bei näheren Hinsehen erweisen sie sich als sehr interpretationsfähig. Unterlagen aus der Organisation der NSDAP in der Stadt Leer sind nicht aufgefunden worden. Die Dokumentation ist
in zwei Teile aufgeteilt:
Präsentation schriftlicher Quellen aus dem Stadtarchiv
Wiedergabe der Zeitzeugeninterviews.
Die Anordnung der Dokumente ist thematisch geordnet und abschnittweise
chronologisch aufgebaut. Die Dokumente werden jeweils mit ihren Fundstellen wiedergegeben. Handelt es sich um bisher noch nicht im Stadtarchiv verzeichnete Aktenstücke, so wurde zur Kennzeichnung die alte
Aktennummer verwendet. Bei der Auswahl der Dokumente mußte teilweise eine Auswahl getroffen werden, teilweise sind alle zu einem Thema aufgefundenen Dokumente wiedergegeben. Menna Hensmann hat sich dabei
bemüht, auf die aussagekräftigsten Unterlagen zurückzugreifen. Lücken wurden auch als solche gekennzeichnet und sollen dem Leser und Interessierten Anlass geben zu weiteren Nachforschungen im Stadtarchiv
Leer.
Bei den Interviews wurden die Gespräche komplett übernommen. Die Zeitzeugen waren durchweg sehr offen und entgegenkommend. Ein Gespräch dauerte ungefähr drei bis vier Stunden und fand auf ein bis
zwei Zusammentreffen statt. Die Übertragung erfolgte als genaues Wortprotokoll. Viele Gespräche wurden auch auf Plattdeutsch geführt. Für die Bearbeitung eines Interviews einschließlich nachfolgender treffen
zur Abstimmung des Textes waren etwa zwei Wochen notwendig.
Im Anhang der Dokumentation gibt es eine Auflistung der Schulen und Lehrer, soweit deren Namen über das Stadtarchiv in Erfahrung zu bringen
waren. Lücken sind durch fehlende Unterlagen begründet.
Den Abschluss bildet ein Namensverzeichnis, Auf einen Sach- und Ortsindex wurde verzichtet.
Bezüge zu den kleinen Nachbarorten der Stadt Leer und
dem Landkreis ergeben sich zwar an einigen Punkten (Liste der Fremdarbeiter und der jüdischen Bevölkerung, Liste der beschlagnahmten jüdischen Güter, Zeitzeugeninterviews), im wesentlichen konzentriert sich
die Arbeit aber auf die Stadt Leer.
Alle Kapitel werden durch kurze Kommentare eingeleitet. Auf weitergehende Darstellung und Interpretation sowie auch auf eine Einarbeitung der Sekundärliteratur wurde
verzichtet. Das lag außerhalb ihres ausdrücklichen Arbeitsauftrages und auch außerhalb ihrer zeitlichen Möglichkeiten. Im Grunde ist mit dieser Dokumentation erst die Grundlage zur Aufarbeitung der Stadtgeschichte
Leers von 1933 bis 1945 geliefert. Menna Hensmann hat privat eine wissenschaftliche Arbeit auf der Grundlage der aufgearbeiteten Materialien begonnen, aber nicht vollständig ausgeführt. Sie hat der Stadt Leer
und dem Arbeitsamt den Plan der Einstellung einer Archivpädagogin vorgetragen, um einerseits Schulklassen die Arbeit an der Stadtgeschichte mit Originaldokumenten zu ermöglichen, andererseits historische
Stadtführungen durchführen zu können und außerdem weiterhin an einer Chronik der Stadt Leer in diesen Jahren arbeiten zu können, aufbauend auf der Arbeit der letzten zweieinhalb Jahre.
Die Dokumentation
wird voraussichtlich im Juni – erweitert um Faksimiles und Fotos komplett fertiggestellt – einschließlich des Layouts. (Relativ wenig Fotos, Aufrufe in der Presse waren relativ unergiebig.) Sie hat
zur Zeit einen Umfang von 630 Seiten. Menna Hensmann hat einige Jahre als Journalistin gearbeitet und wollte es sich nicht nehmen lassen auch das Layout mitzubestimmen. Sie hat sich für ein modernes
Zeitschriftenlayout entschieden, daß in die Seite aufgelockert in Spalten gliedert und viele Kästen enthält. Es entspricht modernen Lese- und Sehgewohnheiten, zwischen Spalten und Kästen zu springen, bei
bedarf spezielle Informationen anzurufen. Im übrigen sollte Raum für persönliche Kommentare und Zusätze blieben.
Die Dokumentation ist damit so, wie sie vorliegt, durchkorrigiert, überarbeitet, nachgesehen
und druckfertig. Sie ist der Stadt aber noch nicht abschließend vorgelegt worden und es ist noch nicht bekannt, ob und wo die Empfindlichkeiten sein werden, ob man auf Streichungen und Kürzungen bestehen wird.
Menna Hensmann selbst ist zum Stillschweigen verpflichtet worden und darf nichts über die von der Stadt autorisierte Publikation hinaus nach außen bringen.
Es entstehen der Stadt dadurch keine große
Kosten für die Vorbereitung des Drucks. Nach dem Willen der Stadt Leer soll die Dokumentation wohl erscheinen, man wird aber wahrscheinlich nicht bereit sein, viel Geld in den Druck zu investieren.
In
der sich an die Vorstellung anschließenden Diskussion wurde auf die Bedeutung der Publikation für die Stadt- und Regionalgeschichte hingewiesen und betont, daß es sich die Stadt Leer gerade auch im Hinblick
auf die peinliche Diskussion um das Bild des Bürgermeisters Drescher es sich kaum erlauben könne, die Dokumentation in ihrem Archiv zu verschließen, wie es in vielen anderen Stadtarchiven der Fall sei.
Außerdem seien die meisten Namen der Verantwortlichen mittlerweile nachlesbar: Michael Rademacher, Wer war wer in Gau Weser-Ems. Die Amtsträger der NSDAP und ihrer Organisationen in Oldenburg, Bremen,
Ostfriesland sowie der Region Osnabrück-Emsland, o.O., o.J.
Hingewiesen wurde gleichfalls auf ein gerade neu erstelltes Findbuch zur jüdischen Geschichte in den Staatsarchiven Oldenburg, Osnabrück und
Aurich. Dies Verzeichnis betrifft mit Ausnahme der Stadt Oldenburg nicht die Stadtarchive. Deshalb ist die anstehende Publikation von Menna Hensmann eine wichtige Ergänzung zu diesem Findbuch. Das Verzeichnis
beginnt in der frühen Neuzeit und reicht bis 1945. Es ist gegliedert nach Sachtiteln, Namen und Ortschaften. Über die Bearbeiter (Oldenburg) kann Kontakt hergestellt werden.
Das Layout fand allgemeine
Anerkennung, insbesondere weil es bei aller Modernität nicht zu unübersichtlich geraten sei.
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