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Arbeitsgruppe der Ortschronisten der Ostfriesischen Landschaft


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Leer im Nationalsozialismus
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am: 28.07.2017

Leitung:
Dr. Paul Weßels

Webmaster
H.-Jürgen Adams


 

 

Protokoll der Sitzung der Arbeitsgruppe der Ortschronisten der Ostfriesischen Landschaft vom 27.5.2000 in der Wilhelmine-Siefkes-Schule in Leer

Thema: Leer im Nationalsozialismus

Referentin: Menna Hensmann

Menna  Hensmann ist für zwei Jahre von der Stadt Leer in einer AB-Maßnahme zur Erstellung einer Stadtchronik der Jahre 1933 bis 1945 eingestellt gewesen.

Ausgangspunkt der Arbeit war die Initiative einer Gruppe von Zeitzeugen, die unter  Leitung von Elisabeth Grüßing an die Stadt Leer herantrat und darum bat, bei ihrem Bemühen um eine Aufarbeitung der Lokalgeschichte Leer der Jahre 1933 bis 1944 Unterstützung zu finden. Die Stadt hat die Initiative aufgegriffen und sich  zur Beschäftigung eines Historikers unter der Maßgabe bereit erklärt, daß eine Chronik der Stadt Leer für diese Jahre erstellt werden sollte.

Die Zeitzeugensitzungen selbst konnten für die Dokumentation nicht genutzt werden.  Allerdings wurden der Stadt von dieser Gruppe alle Interviews und gesammelten Unterlagen zur Verfügung gestellt. Die Treffen der Zeitzeugen fanden von 1995 bis Sommer 1999 statt. Dann kam es allerdings zum Dissens über die Rolle der  Wehrmacht. Deshalb beschloss man, die Sitzungstätigkeit einzustellen, bevor es zum völligen Zerwürfnis kommen würde. Die Zeitzeugen stehen aber noch immer den Schulen und interessierten Gruppen für Gespräche zur Verfügung.

Im  Oktober 1997 nahm Frau Menna Hensmann die Arbeit mit einer Sichtung der Literatur und der vorhandenen Unterlagen auf. Beschäftigt war sie bei der Stadt Leer bis Oktober 1999.

Das Material wurde nach Schwerpunkten gegliedert: z. B.  jüdische Geschichte 1922 bis April 1940, katholischer Kirche (Hermann Lange, Pfarrer Schniers), Verwaltungsgeschichte, Zeitzeugenberichte. Einige Bereiche konnten nicht berücksichtigt werden, weil es keine Unterlagen gab oder weil die Zeit  zur Sichtung fehlte (z.B. Schul- und Bildungswesen, Gesundheitswesen). Die Polizeiakten waren nicht aufzufinden und sind entweder noch nicht registriert oder vernichtet. Ebenso steht es mit den Akten der Parteiorganisation. Im Keller des  Rathauses lagern noch packetweise verschnürte, nicht erfasste Aktenbündel. Es war ausdrückliche Aufgabenstellung, sich nur auf das bei der Stadt Leer vorhanden Material zu konzentrieren. Besuche in anderen Archiven waren nicht erwünscht.

Nach der ersten Sichtung und Klärung des Arbeitsumfangs entschloss sich Menna Hensmann zur Erstellung einer Quellendokumentation und sah von dem Plan einer historischen Darstellung der Geschichte der Jahre 1933 bis 1945 ab. Viele  Teilbereiche waren kaum bearbeitet, zu vielen Bereichen fehlten Unterlagen. Für eine historische Aufarbeitung wäre mehr Zeit notwendig gewesen. Etwa nach einem Jahr Arbeit bei der Stadt Leer

wurde Frau Hensmann auch die sog.  „Judenkartei“ überreicht, die bis dahin im Haus unter Verschluss war. Diese Kartei wurde vollständig in die Dokumentation aufgenommen. Außerdem enthielt die Datei viele Namen von Zwangsarbeitern, die gleichfalls komplett Eingang in die  Dokumentation fanden. Es handelt sich dabei nur auf den ersten Blick um trockene Listen. Bei näheren Hinsehen erweisen sie sich als sehr interpretationsfähig. Unterlagen aus der Organisation der NSDAP in der Stadt Leer sind nicht  aufgefunden worden. Die Dokumentation ist in zwei Teile aufgeteilt:

Präsentation schriftlicher Quellen aus dem Stadtarchiv

Wiedergabe der Zeitzeugeninterviews.

Die Anordnung der Dokumente ist thematisch geordnet und  abschnittweise chronologisch aufgebaut. Die Dokumente werden jeweils mit ihren Fundstellen wiedergegeben. Handelt es sich um bisher noch nicht im Stadtarchiv verzeichnete Aktenstücke, so wurde zur Kennzeichnung die alte Aktennummer  verwendet. Bei der Auswahl der Dokumente mußte teilweise eine Auswahl getroffen werden, teilweise sind alle zu einem Thema aufgefundenen Dokumente wiedergegeben. Menna Hensmann hat sich dabei bemüht, auf die aussagekräftigsten Unterlagen  zurückzugreifen. Lücken wurden auch als solche gekennzeichnet und sollen dem Leser und Interessierten Anlass geben zu weiteren Nachforschungen im Stadtarchiv Leer.

Bei den Interviews wurden die Gespräche komplett übernommen. Die  Zeitzeugen waren durchweg sehr offen und entgegenkommend. Ein Gespräch dauerte ungefähr drei bis vier Stunden und fand auf ein bis zwei Zusammentreffen statt. Die Übertragung erfolgte als genaues Wortprotokoll. Viele Gespräche wurden auch  auf Plattdeutsch geführt. Für die Bearbeitung eines Interviews einschließlich nachfolgender treffen zur Abstimmung des Textes waren etwa zwei Wochen notwendig.

Im Anhang der Dokumentation gibt es eine Auflistung der Schulen und  Lehrer, soweit deren Namen über das Stadtarchiv in Erfahrung zu bringen waren. Lücken sind durch fehlende Unterlagen begründet.

Den Abschluss bildet ein Namensverzeichnis, Auf einen Sach- und Ortsindex wurde verzichtet.

Bezüge zu den kleinen Nachbarorten der Stadt Leer und dem Landkreis ergeben sich zwar an einigen Punkten (Liste der Fremdarbeiter und der jüdischen Bevölkerung, Liste der beschlagnahmten jüdischen Güter, Zeitzeugeninterviews), im  wesentlichen konzentriert sich die Arbeit aber auf die Stadt Leer.

Alle Kapitel werden durch kurze Kommentare eingeleitet. Auf weitergehende Darstellung und Interpretation sowie auch auf eine Einarbeitung der Sekundärliteratur wurde  verzichtet. Das lag außerhalb ihres ausdrücklichen Arbeitsauftrages und auch außerhalb ihrer zeitlichen Möglichkeiten. Im Grunde ist mit dieser Dokumentation erst die Grundlage zur Aufarbeitung der Stadtgeschichte Leers von 1933 bis 1945  geliefert. Menna Hensmann hat privat eine wissenschaftliche Arbeit auf der Grundlage der aufgearbeiteten Materialien begonnen, aber nicht vollständig ausgeführt. Sie hat der Stadt Leer und dem Arbeitsamt den Plan der Einstellung einer  Archivpädagogin vorgetragen, um einerseits Schulklassen die Arbeit an der Stadtgeschichte mit Originaldokumenten zu ermöglichen, andererseits historische Stadtführungen durchführen zu können und außerdem weiterhin an einer Chronik der  Stadt Leer in diesen Jahren arbeiten zu können, aufbauend auf der Arbeit der letzten zweieinhalb Jahre.

Die Dokumentation wird voraussichtlich im Juni – erweitert um Faksimiles und Fotos komplett fertiggestellt – einschließlich des  Layouts. (Relativ wenig Fotos, Aufrufe in der Presse waren relativ unergiebig.) Sie hat zur Zeit einen Umfang von 630 Seiten. Menna Hensmann hat einige Jahre als Journalistin gearbeitet und wollte es sich nicht nehmen lassen auch das  Layout mitzubestimmen. Sie hat sich für ein modernes Zeitschriftenlayout entschieden, daß in die Seite aufgelockert in Spalten gliedert und viele Kästen enthält. Es entspricht modernen Lese- und Sehgewohnheiten, zwischen Spalten und Kästen  zu springen, bei bedarf spezielle Informationen anzurufen. Im übrigen sollte Raum für persönliche Kommentare und Zusätze blieben.

Die Dokumentation ist damit so, wie sie vorliegt, durchkorrigiert, überarbeitet, nachgesehen und  druckfertig. Sie ist der Stadt aber noch nicht abschließend vorgelegt worden und es ist noch nicht bekannt, ob und wo die Empfindlichkeiten sein werden, ob man auf Streichungen und Kürzungen bestehen wird. Menna Hensmann selbst ist zum  Stillschweigen verpflichtet worden und darf nichts über die von der Stadt autorisierte Publikation hinaus nach außen bringen.

Es entstehen der Stadt dadurch keine große Kosten für die Vorbereitung des Drucks. Nach dem Willen der  Stadt Leer soll die Dokumentation wohl erscheinen, man wird aber wahrscheinlich nicht bereit sein, viel Geld in den Druck zu investieren.

In der sich an die Vorstellung anschließenden Diskussion wurde auf die Bedeutung der  Publikation für die Stadt- und Regionalgeschichte hingewiesen und betont, daß es sich die Stadt Leer gerade auch im Hinblick auf die peinliche Diskussion um das Bild des Bürgermeisters Drescher es sich kaum erlauben könne, die  Dokumentation in ihrem Archiv zu verschließen, wie es in vielen anderen Stadtarchiven der Fall sei. Außerdem seien die meisten Namen der Verantwortlichen mittlerweile nachlesbar: Michael Rademacher, Wer war wer in Gau Weser-Ems. Die  Amtsträger der NSDAP und ihrer Organisationen in Oldenburg, Bremen, Ostfriesland sowie der Region Osnabrück-Emsland, o.O., o.J.

Hingewiesen wurde gleichfalls auf ein gerade neu erstelltes Findbuch zur jüdischen Geschichte in den  Staatsarchiven Oldenburg, Osnabrück und Aurich. Dies Verzeichnis betrifft mit Ausnahme der Stadt Oldenburg nicht die Stadtarchive. Deshalb ist die anstehende Publikation von Menna Hensmann eine wichtige Ergänzung zu diesem Findbuch. Das  Verzeichnis beginnt in der frühen Neuzeit und reicht bis 1945. Es ist gegliedert nach Sachtiteln, Namen und Ortschaften. Über die Bearbeiter (Oldenburg) kann Kontakt hergestellt werden.

Das Layout fand allgemeine Anerkennung,  insbesondere weil es bei aller Modernität nicht zu unübersichtlich geraten sei.