Protokoll der Sitzung der Arbeitsgruppe der Ortschronisten der Ostfriesischen Landschaft vom 27. April 2001 in Aurich
Thema: Die Einwohnerwehr Aurich 1919/1921
Referent: Rudolf
Nassua,
Rudolf Nassua, DIE EINWOHNERWEHR AURICH 1919/1921
Herr Nassua war vor seiner Pensionierung Berufssoldat. Später war er Vorsitzender des Heimatvereins Aurich. Die vorliegende Veröffentlichung
Die Einwohnerwehr Aurich 1919/1921(Aurich 2001) ist seine dritte in der Reihe Beiträge zur Geschichte Ostfrieslands, vorausgegangen sind Die Mühlen und die Müller (Aurich 1996) und Das Ende des Zweiten
Weltkriegs in Aurich (Aurich 1999). Bereits in Planung ist eine Darstellung zur Geschichte Aurichs während der Weltwirtschaftskrise in der letzen Hälfte der Weimarer Republik und den ersten Jahren der
NS-Zeit.
Herr Nassua referierte:
Deutschland hat – anders als die Schweiz oder die USA – keine Tradition der Milizen, obwohl diese sehr viel demokratischere Elemente hat als die
deutsch Militärtradition. Die Einwohnerwehren Ostfrieslands nach dem Ersten Weltkrieg sind ein Teil eines nationalen und internationalen Problems. Im Landesschutzbezirk Ostfriesland gab es zwei
Unterschutzbezirke. Der erste bestand aus den Landkreisen Leer, Weener und Emden, der zweite aus den Kreisen Aurich, Wittmund und Norden. In 184 Gemeinen hat es hier 117 Einwohnerwehren gegeben. Der Landkreis
Aurich hatte etwa 40.000 Einwohner. Davon waren etwa 2.000 Männer in Einwohnerwehren organisiert. Zugleich gab es hier aber nur 7 Gendarmen und 4 Polizisten. Vor dem Ersten Weltkrieg war normal, daß das Militär
eingriff, sobald die öffentliche Sicherheit gefährdet zu sein schien. Grundlage dafür war ein Gesetz aus dem Jahr 1857.
Am 10.3.1919 wurde – in sehr unruhigen Zeiten – der sehr brave
Auricher Soldatenrat aufgelöst und durch die Reichswehr ersetzt. Die sogenannten „Speckunruhen“ wurden als echte Bedrohung empfunden. Aus Osnabrück wurde eine Infanteriebrigade nach Ostfriesland verlegt,
die aus 6 Kompanien mit je ca. 60 Mann bestand. Aber die Reichswehr hatte kein echtes Interesse an den Vorgängen in Ostfriesland, ihr Blick war nach Osten gerichtet. Außerdem waren die Soldaten der Reichswehr
nicht die richtigen, um gewaltsam gegen Landarbeiter vorzugehen, da sie zu viel Verständnis für deren Situation besaßen. In dieser Situation kam es im März 1919 zum Appell zur Bildung von Einwohnerwehren. Der
Aufruf fand ein breites Echo, und der Zusammenschluß erfolgte auf freiwilliger Basis, was eine hohe Motivation mit sich brachte. Es gab keine Pflichten, keine Sanktionen. Auch in der Stadt Aurich wurde schnell
reagiert. Man wollte hier ein Bataillon mit mehreren Kompanien aufstellen. 243 Gründungsmitglieder reichten aber nur dafür aus, eine Kompanie aufzustellen. Die Führer wurden – sehr unpreußisch –
gewählt. Kompanieführer wurde Wilhelm Knodt. Eigentlich sollte man zur Aufnahme in die Einwohnerwehr 24 Jahre al sein und feldzugerfahren sein. Um aber die Wehr zu erweitern wurde ein Zug aus Seminaristen des
Lehrerseminars gebildet, ein weiterer aus feldzugerfahrenen Abiturienten.
Die Reichswehr übte starken Einfluß auf die Bildung der Einwohnerwehren aus, sie entwickelte Mustersatzungen, verteilte Waffen etc.
Sie wollte die Einwohnerwehren als ihre Reserve nutzen. Tatsächlich waren die Wehren in Ostfriesland aber kaum dafür zu gebrauchen. In den kleinen Gemeinden war es die Aufgabe der Wehren, Streife zu laufen und
dadurch vor übergriffen abzuschrecken. Fremde wurden im ort häufig eskortiert, um sie zu überwachen.
Der neue Staat versuchte, sich die Einwohnerwehren zu verpflichten, indem er sie per Handschlag auf
die neue republikanische Verfassung verpflichtete.
Kontrolliert wurden die Einwohnerwehren durch den Wehrausschuß –eine Kommission der Bürgerversammlung. Im Wehrführungsausschuß bzw.
Wehrüberwachungsausschuß war der Bürgermeister der Vorsitzende. Außerdem gab es in jedem Ort eine Vertrauensperson des Oberpräsidenten
Etwa 2.000 Waffen wurden durch die Reichswehr ausgehändigt.
Missbrauch sollte verhindert werden, indem zunächst die Parteigänger der USPD als Mitglieder der Einwohnerwehren unerwünscht waren. Außerdem sollte es kein Waffendepot geben. Jedes Mitglied nahm seine Waffe
mit zu sich nach hause oder nahm evtl. nur das Waffenschloß mit sich.
Die Absicht der Reichswehr, die Einwohnerwehren als paramilitärische Verbände zu nutzen, verstieß eindeutig gegen die Bestimmungen
des Versailler Vertrags, und den Forderungen der Alliierten folgend mußten die Wehren schließlich aufgelöst werden. Die süddeutschen Länder wollten zunächst gegen den Willen der Siegermächte noch daran
festhalten. Doch mußte man dem Diktat doch Folge leisten. Allerdings wurde von den deutschen Behörden und den Militärs zunächst noch für einige Monate die „spontane“ Bildung illegaler Ortswehren
gebilligt. Damit bewegten sie sich am Rande der Legalität und zugleich war das Machtmonopol des Staats gebrochen. In Emden kam es noch zu illegalen Aktivitäten der Bürgerwehren, in Aurich aber nicht. 1921
wurde der Ortsschutz in Aurich aufgelöst. Die Entwicklung der Mitgliederzahlen verdeutlicht das nachlassende öffentliche Interesse an den Wehren. Von den ursprünglich 5 Kompanien waren schließlich nur noch 20
Mann aktiv. Als sie die Gewehre abliefern sollten, fehlte schließlich eine Waffe.
In den Einwohnerwehren fanden sich bei der Gründung ursprünglich Freiwillige aus allen Teilen der Bevölkerung bis hin
zur SPD zusammen. In der weiteren Entwicklung ging die SPD aber auf Distanz, und es gab eine starke Tendenz zur Entwicklung einer „Bürgerwehr“, die kein breites Fundament in der Bevölkerung mehr besaß,
sondern vor allem im rechten Lager verankert war. Die SPD blieb jetzt außen vor.
Rudolf Nassua hat sich mit seiner Arbeit auf Aurich konzentriert, aber in den von ihm bearbeiteten Unterlagen im
Staatsarchiv Aurich finden sich noch viele Hinweise auf die Einwohnerwehren in den anderen Orten. Außerdem dürfte man davon ausgehen, daß sich noch viele Unterlagen in Privatbesitz oder in den Gemeindearchiven
finden ließen.
Das Motiv zur Begründung der Schriftenreihe „Beiträge zur Geschichte Ostfriesland“ durch den Heimatverein Aurich (Herausgeber der Vorsitzende Hillrich Reuß) war das Bestreben, einen
Mangel von Darstellungen zu Einzelaspekten der Geschichte Aurichs abzudecken. Die Stadt Aurich unterstützt das Bestreben, indem sie den Druck der Hefte (auch in kleinen Stückzahlen) übernimmt, den Verkauf aber
dem Heimatverein überlässt. Die broschierten Hefte im Umfang von jeweils ca. 100 Seiten (jeweils mit einem Quellenanhang) werden kostenlos an Schulen und Bibliotheken verteilt und direkt vom Heimatverein oder
über zwei Buchhandlungen in Aurich bzw. die Buchhandlung Schuster in Leer vertrieben. Die Resonanz ist sehr groß und die Auflage liegt bei einigen hundert Stück bis hin zu 400 verkauften Exemplaren. Die
Korrektur der Bände ist jeweils durch Enno Schmidt übernommen worden, der auch darauf drängt, daß die Publikationen bei der deutschen Bibliothek registriert werden und eine ISBN-Nummer erhalten.
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