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Arbeitsgruppe der Ortschronisten der Ostfriesischen Landschaft


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am: 28.07.2017

Leitung:
Dr. Paul Weßels

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Protokoll der Sitzung der Arbeitsgruppe der Ortschronisten der Ostfriesischen Landschaft vom 27. April 2001 in Aurich

Thema: Die Einwohnerwehr Aurich 1919/1921

Referent: Rudolf Nassua,

Rudolf Nassua, DIE EINWOHNERWEHR AURICH 1919/1921

Herr Nassua war vor seiner Pensionierung Berufssoldat. Später war er Vorsitzender des Heimatvereins Aurich. Die vorliegende Veröffentlichung Die Einwohnerwehr Aurich 1919/1921(Aurich  2001) ist seine dritte in der Reihe Beiträge zur Geschichte Ostfrieslands, vorausgegangen sind Die Mühlen und die Müller (Aurich 1996) und Das Ende des Zweiten Weltkriegs in Aurich (Aurich 1999). Bereits in Planung ist eine Darstellung zur  Geschichte Aurichs während der Weltwirtschaftskrise in der letzen Hälfte der Weimarer Republik und den ersten Jahren der NS-Zeit.

Herr Nassua referierte:

Deutschland hat – anders als die Schweiz oder die USA – keine Tradition  der Milizen, obwohl diese sehr viel demokratischere Elemente hat als die deutsch Militärtradition. Die Einwohnerwehren Ostfrieslands nach dem Ersten Weltkrieg sind ein Teil eines nationalen und internationalen Problems. Im  Landesschutzbezirk Ostfriesland gab es zwei Unterschutzbezirke. Der erste bestand aus den Landkreisen Leer, Weener und Emden, der zweite aus den Kreisen Aurich, Wittmund und Norden. In 184 Gemeinen hat es hier 117 Einwohnerwehren gegeben.  Der Landkreis Aurich hatte etwa 40.000 Einwohner. Davon waren etwa 2.000 Männer in Einwohnerwehren organisiert. Zugleich gab es hier aber nur 7 Gendarmen und 4 Polizisten. Vor dem Ersten Weltkrieg war normal, daß das Militär eingriff,  sobald die öffentliche Sicherheit gefährdet zu sein schien. Grundlage dafür war ein Gesetz aus dem Jahr 1857.

Am 10.3.1919 wurde – in sehr unruhigen Zeiten – der sehr brave Auricher Soldatenrat aufgelöst und durch die Reichswehr  ersetzt. Die sogenannten „Speckunruhen“ wurden als echte Bedrohung empfunden. Aus Osnabrück wurde eine Infanteriebrigade nach Ostfriesland verlegt, die aus 6 Kompanien mit je ca. 60 Mann bestand. Aber die Reichswehr hatte kein echtes  Interesse an den Vorgängen in Ostfriesland, ihr Blick war nach Osten gerichtet. Außerdem waren die Soldaten der Reichswehr nicht die richtigen, um gewaltsam gegen Landarbeiter vorzugehen, da sie zu viel Verständnis für deren Situation  besaßen. In dieser Situation kam es im März 1919 zum Appell zur Bildung von Einwohnerwehren. Der Aufruf fand ein breites Echo, und der Zusammenschluß erfolgte auf freiwilliger Basis, was eine hohe Motivation mit sich brachte. Es gab keine  Pflichten, keine Sanktionen. Auch in der Stadt Aurich wurde schnell reagiert. Man wollte hier ein Bataillon mit mehreren Kompanien aufstellen. 243 Gründungsmitglieder reichten aber nur dafür aus, eine Kompanie aufzustellen. Die Führer  wurden – sehr unpreußisch – gewählt. Kompanieführer wurde Wilhelm Knodt. Eigentlich sollte man zur Aufnahme in die Einwohnerwehr 24 Jahre al sein und feldzugerfahren sein. Um aber die Wehr zu erweitern wurde ein Zug aus Seminaristen des  Lehrerseminars gebildet, ein weiterer aus feldzugerfahrenen Abiturienten.

Die Reichswehr übte starken Einfluß auf die Bildung der Einwohnerwehren aus, sie entwickelte Mustersatzungen, verteilte Waffen etc. Sie wollte die  Einwohnerwehren als ihre Reserve nutzen. Tatsächlich waren die Wehren in Ostfriesland aber kaum dafür zu gebrauchen. In den kleinen Gemeinden war es die Aufgabe der Wehren, Streife zu laufen und dadurch vor übergriffen abzuschrecken.  Fremde wurden im ort häufig eskortiert, um sie zu überwachen.

Der neue Staat versuchte, sich die Einwohnerwehren zu verpflichten, indem er sie per Handschlag auf die neue republikanische Verfassung verpflichtete.

Kontrolliert  wurden die Einwohnerwehren durch den Wehrausschuß –eine Kommission der Bürgerversammlung. Im Wehrführungsausschuß bzw. Wehrüberwachungsausschuß war der Bürgermeister der Vorsitzende. Außerdem gab es in jedem Ort eine Vertrauensperson des  Oberpräsidenten

Etwa 2.000 Waffen wurden durch die Reichswehr ausgehändigt. Missbrauch sollte verhindert werden, indem zunächst die Parteigänger der USPD als Mitglieder der Einwohnerwehren unerwünscht waren. Außerdem sollte es kein  Waffendepot geben. Jedes Mitglied nahm seine Waffe mit zu sich nach hause oder nahm evtl. nur das Waffenschloß mit sich.

Die Absicht der Reichswehr, die Einwohnerwehren als paramilitärische Verbände zu nutzen, verstieß eindeutig  gegen die Bestimmungen des Versailler Vertrags, und den Forderungen der Alliierten folgend mußten die Wehren schließlich aufgelöst werden. Die süddeutschen Länder wollten zunächst gegen den Willen der Siegermächte noch daran festhalten.  Doch mußte man dem Diktat doch Folge leisten. Allerdings wurde von den deutschen Behörden und den Militärs zunächst noch für einige Monate die „spontane“ Bildung illegaler Ortswehren gebilligt. Damit bewegten sie sich am Rande der  Legalität und zugleich war das Machtmonopol des Staats gebrochen. In Emden kam es noch zu illegalen Aktivitäten der Bürgerwehren, in Aurich aber nicht. 1921 wurde der Ortsschutz in Aurich aufgelöst. Die Entwicklung der Mitgliederzahlen  verdeutlicht das nachlassende öffentliche Interesse an den Wehren. Von den ursprünglich 5 Kompanien waren schließlich nur noch 20 Mann aktiv. Als sie die Gewehre abliefern sollten, fehlte schließlich eine Waffe.

In den  Einwohnerwehren fanden sich bei der Gründung ursprünglich Freiwillige aus allen Teilen der Bevölkerung bis hin zur SPD zusammen. In der weiteren Entwicklung ging die SPD aber auf Distanz, und es gab eine starke Tendenz zur Entwicklung  einer „Bürgerwehr“, die kein breites Fundament in der Bevölkerung mehr besaß, sondern vor allem im rechten Lager verankert war. Die SPD blieb jetzt außen vor.

Rudolf Nassua hat sich mit seiner Arbeit auf Aurich konzentriert, aber in  den von ihm bearbeiteten Unterlagen im Staatsarchiv Aurich finden sich noch viele Hinweise auf die Einwohnerwehren in den anderen Orten. Außerdem dürfte man davon ausgehen, daß sich noch viele Unterlagen in Privatbesitz oder in den  Gemeindearchiven finden ließen.

Das Motiv zur Begründung der Schriftenreihe „Beiträge zur Geschichte Ostfriesland“ durch den Heimatverein Aurich (Herausgeber der Vorsitzende Hillrich Reuß) war das Bestreben, einen Mangel von  Darstellungen zu Einzelaspekten der Geschichte Aurichs abzudecken. Die Stadt Aurich unterstützt das Bestreben, indem sie den Druck der Hefte (auch in kleinen Stückzahlen) übernimmt, den Verkauf aber dem Heimatverein überlässt. Die  broschierten Hefte im Umfang von jeweils ca. 100 Seiten (jeweils mit einem Quellenanhang) werden kostenlos an Schulen und Bibliotheken verteilt und direkt vom Heimatverein oder über zwei Buchhandlungen in Aurich bzw. die Buchhandlung  Schuster in Leer vertrieben. Die Resonanz ist sehr groß und die Auflage liegt bei einigen hundert Stück bis hin zu 400 verkauften Exemplaren. Die Korrektur der Bände ist jeweils durch Enno Schmidt übernommen worden, der auch darauf drängt,  daß die Publikationen bei der deutschen Bibliothek registriert werden und eine ISBN-Nummer erhalten.