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Arbeitsgruppe der Ortschronisten der Ostfriesischen Landschaft


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Folgen der Weltwirtschaftskrise
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Letzte Aktualisierung
am: 28.07.2017

Leitung:
Dr. Paul Weßels

Webmaster
H.-Jürgen Adams


 

 

Die Weltwirtschaftskrise und ihre Folgen in Aurich

Anwesend 19 Mitglieder,

Protokoll: Dr. P. Weßels

Referent: Rudolf Nassua, Aurich

 

 

TOP 1 Verschiedenes: Die Anwesenden wurden auf den  Dag van de Groninger Geschiedenis mit dem Thema „Ter leeringhe ende vermaeck“ schon am folgenden Tag hingewiesen.

Außerdem wurde mitgeteilt, dass der nächste Tag der Ostfriesischen Geschichte am 20. November um 10.00 Uhr im  Landschaftssaal der Ostfriesischen Landschaft in Aurich stattfinden wird. Thema wird die Vorstellung der Upstalsboomgesellschaft sein.

 

TOP 2: Die Weltwirtschaftskrise und ihre Folgen in Aurich

Rudolf Nassua hat  sich sehr ausführlich mit den Auswirkungen der Weltwirtschaftskrise auf die Stadt Aurich und ihre Umgebung beschäftigt (Der Schwarze Freitag war ein Donnerstag. Die Weltwirtschaftskrise und ihre Folgen in Aurich, Selbstverlag, Aurich  2004). Herr Nassua hat mit diesem Thema Neuland betreten. Es gibt bundesweit keine Literatur, die sich in vergleichbarer Weise mit der Auswirkung der Weltwirtschaftskrise auf die Kleinstädte beschäftigt.

Der 25. Oktober 1929 ist nur  ein einzelnes Datum, an dem das Geschehen der Weltwirtschaftskrise aufgehängt wird. Diese wäre sowieso gekommen und ist durch dem Börsenkrach nur noch verschärft worden. Die Weltwirtschaftskrise (WWK) hatte große Auswirkungen auch auf die  ostfriesischen wirtschaftlichen und sozialen Verhältnisse dieser Zeit und dennoch ist davon nur wenig bekannt.

Die Arbeitslosenzahlen aus diesen Zeiten bis 1928 sind sehr unzuverlässig. Bis dahin gab es keine verlässlichen Zahlen.

Selbst in den Familie gibt es kaum Erinnerungen. Rudolf Nassua führt dies auf Scham und Schuldgefühle zurück. Die Familien leugneten ihre Armut vor ihrer Umwelt und vor sich selbst. Auf der anderen Seite wollten die Gewinner der  Krise nicht daran erinnert werden, wie sehr die Krise und die Not anderer Menschen z. B. durch Zwangsversteigerungen dazu beigetragen hat, das eigene Vermögen aufzubauen.

Die Weltwirtschaftskrise hat zur Radikalisierung der  deutschen Politik beigetragen, zur Verlagerung in die politischen Extreme.

Schon während der Inflation hatte der deutsche Mittelstand sein Vermögen verloren. Er hatte keine Reserven mehr - die Aussteuerkonten der Töchter wurden  nicht angerührt - sah es gleichzeitig aber als unter seiner Würde stehend an, die Fürsorge in Anspruch zu nehmen.

Die Arbeitslosenunterstützung (Alu) kam für viele nicht in Frage. Überdies gab es nur eine kurze Bezugsdauer und der  Kreis der Bezugsberechtigten wurde - da die Versicherung finanziell unterversorgt war - ständig eingeschränkt.

Überdies war sie nicht ausreichend. Im Anschluss an die Arbeitslosenversicherung hatte man für die kurze Zeit von 26  Wochen Anspruch auf die Krisenunterstützung (Kru), danach gab es Wohlfahrtsunterstützung.

Aber der Mittelstand schämte sich, solche Unterstützung anzunehmen. Man sah Armut und Not noch als persönliches Versagen, als Prüfung Gottes  oder gar als Strafe Gottes für frühere Vergehen an. Diese Einstellung herrschte auch bei den Verantwortlichen der Sozialpolitik auf den untersten Ebenen der Gemeinden vor, so das es viele Vorbehalte gegen die Ortsarmen gab und man noch  zusätzliche diskriminierende Mechanismen für den Bezug der Unterstützung einbaute.

Die Allgemeine Fürsorge die von den Gemeinden gezahlt wurde, musste von den Beziehern oder deren Verwandten zurückbezahlt werden. Bei der Die  gehobenen Fürsorge wurde das Vermögen der Bezieher verschont. Sie betraf insbesondere Kriegsopfer und Kleinrentner, die ihr Vermögen während der Inflation verloren hatten.

Die Krankenkassen steuerten die Versicherten nach sechs  Wochen aus. Alle Leistungen wurden eingestellt,. Wer im Krankenhaus lag, musste die Behandlungskosten entweder selbst übernehmen oder das Krankenhaus verlassen. Eine schwere Krankheit bedeutete leicht die Rutschbahn in die Armut.

Die Gemeinde konnte zur medizinischen Versorgung der Ortsarmen zwei Wege beschreiten. Sie konnte einen Armenarzt mit einem Koffer mit Medikamenten ausstatten, so wie es in Emden geschah. Dann kam der Arzt einmal in der Woche bei den  Kranken vorbei und versorgte sie mit dem Allernötigsten. Oder die Gemeinden konnten mit den ortsansässigen Ärzten sehr niedrige Tarife vereinbaren. Die Ärzte ließen sich darauf ein, weil ihnen ihrerseits angesichts der allgemeinen Krise  die Einnahmen wegbrachen.

Die Landwirtschaft hatte während des Ersten Weltkriegs und auch noch bis zum Ende der Inflationszeit eine relativ gute Phase erlebt, war ab 1924 aber dem Druck des Weltmarktes ausgeliefert. Durch die  Konkurrenz der Großproduzenten aus der Sowjetunion, Argentinien und den USA kam es zu einem Preisverfall bei Agrarprodukten um bis zu 40 Prozent. In dieser Zeit halbierte sich der Verkehrswert der Höfe und die Gefahr der schnellen  Verschuldung durch Erbauszahlung oder Krankheit (man kannte kaum eine Krankenversicherung bei den Landwirten) nahm stark zu. Obwohl die Banken und Sparkassen kein besonderes Interesse hatte, Zwangsversteigerungen der Höfe herbeizuführen,  weil bei einem Verkauf unter Wert auch die Banken verloren, kam es wegen der verschiedenen Kreditgeber dennoch häufiger zu Zwangsversteigerungen und dabei mitunter auch zu Gewalttätigkeiten. Das Beispiel von Wigboldsbur ist in dem Buch  Nassua ausführlicher beschrieben worden. Herausragende Figur des bäuerlichen Widerstands in Ostfriesland war Gerd Iderhoff.

Die Verschuldung der Landwirtschaft führte auch zu einer Existenzkrise der Banken und Sparkassen, die  langfristige Kredite oft weit über ihre Möglichkeiten hinaus vergeben hatten und unter akuten Kapitalmangel litten. Nur die Ostfriesische Sparkasse der Ostfriesischen Landschaft stand in dieser Phase vergleichsweise gut dar.

Die  Krise der Landwirtschaft führte auch zu einer Krise des Handwerks und des Handels. Rechnungen und Kredite wurden nicht bezahlt. Außerdem wurde die Konkurrenz durch immer bessere Industrieprodukte vom Konfektionsanzug über den  massengefertigten Schuh und die Rasierklinge bis zum standardisierten Mehl immer größer. Die WWK trug das ihre dazu bei, den billigen Massenprodukten zu schneller Verbreitung zu verhelfen.

Auch die Behörden und Kommunen litten unter  der Finanznot. Der Landkreis Aurich war pleite. Um dennoch über Gelder verfügen zu können, verfügte der Landrat Barkhausen, eigentlich abzuführende Steuern einzubehalten. Eine spätere Verfolgung dieses Fehlverhaltens durch die  Nationalsozialisten ist - obwohl dies ansonsten gern als Druckmittel gegen unliebsame alte politische Eliten genutzt wurde - ausgeblieben.

Herr Nassua empfiehlt seinen Zuhörern, sich nicht durch den Umfang seiner Arbeit von deren  Lektüre abhalten zu lassen, sondern ganz gezielt damit zu bestimmten Themenbereichen von Interesse zu arbeiten. Eine Begriffssammlung, eine Chronologie und ein umfangreiches Literaturverzeichnis mit vielen Hinweisen auf andere Orte  ergänzen die Ausführungen.

Herr Rudolf Nassua hat keinen Verlag für sein Buch gefunden, weil ein breiteres Interesse als Grundlage für die Wirtschaftlichkeit der Auflage nicht vorhanden ist. Mit der Unterstützung der Stadt Aurich  hat er das Buch daraufhin im Selbstverlag in einer Auflage von 100 Stück herstellen lassen. Das Buch kostet 20 ¬. Etwa die Hälfte der Serie ist bislang verkauft.