PENCIL_TRANS

Arbeitsgruppe der Ortschronisten der Ostfriesischen Landschaft


leader+
(C) Ostfriesische Landschaft Aurich 2005 bis 2010.  Alle Rechte vorbehalten
Die Erstellung der Historischen Ortsdatenbank Ostfriesland wird gefördert durch Mittel von leader+




Konzentrationslager Engerhafe
Arbeitsgruppe
aktuell
Mitarbeiter
Protokolle
Jahresberichte
Aufsätze und Literatur
Hist. Ortsdatenbank
Kontakt

Letzte Aktualisierung
am: 28.07.2017

Leitung:
Dr. Paul Weßels

Webmaster
H.-Jürgen Adams


 

 

Protokoll der Sitzung der Arbeitsgruppe der Chronisten vom 03.05.2002 im kleinen Sitzungssaal der Landschaftsbibliothek in Aurich

Referent: Enno Schmidt, Aurich

TOP 1: Verschiedenes

Am Schluss der vorangegangenen  Sitzung war von Herrn Wittor im privaten Gespräch angeregt worden, in den Sitzungen mehr Zeit für den privaten Austausch zur Verfügung zu stellen. Der Vorschlag wurde begrüßt, aber festgestellt, dass der Austausch „allgemeiner  Chronistenprobleme“ problematisch ist, wenn ein Referent in die Arbeitsgruppe eingeladen ist. Deshalb wurde der Vorschlag dahingehend aufgegriffen, häufiger eine Sitzung ohne Thema und Referenten zu veranstalten, um dem Gespräch der  Chronisten untereinander mehr Raum zu geben.

TOP 2: Das Konzentrationslager Engerhafe

Enno Schmidt erläuterter zunächst seine Motivation zur Auseinandersetzung mit dem Thema Konzentrationslager Engerhafe. Er stamme aus einem  „braunen Elternhaus“. Sein Vater sei Juni bis Dezember 1945 in Esterwegen interniert gewesen. Danach sei dies alles in der Familie totgeschwiegen worden. Er habe an sich selbst erlebt, dass nur die direkte Auseinandersetzung mit den  Geschehnissen auch die innere Einstellung zu ändern vermöge. Ansonsten übernehme man unkritisch die Haltungen der Eltern. Neben Engerhafe habe er sich insbesondere auch mit dem Lager Brockzetel beschäftigt.

Enno Schmidt hat  gemeinsam mit dem Künstler Herbert Müller und der ev.-luth. Matthäusgemeinde Wallinghausen im Gulfhof „Dat Wallinghus“ in Wallinghausen eine Ausstellung vorbereitet, in der neben Bildern des Künstlers Herbert Müller über dessen  Vorstellungen von den Verhältnissen im Lager Engerhafe auch eine von Enno Schmidt zusammengestellte Dokumentation über das Lager Engerhafe. Außerdem gibt es im RPZ einen von Enno Schmidt zusammengestellten, ausleihbaren Reader mit  Informationen zum Thema KZ-Außenlager Engerhafe.

Über das KZ-Außenlager Engerhafe habe bisher am ausführlichsten und mit historischem Schwerpunkt berichtet:

Elke Suhr, Das Konzentrationslager im Pfarrgarten. Ein  Panzergraben-Kommando für den Friesenwall, Aurich-Engerhafe 1944, Oldenburg 1984.

Außerdem Manfred Staschen, Die Arbeits- und Gefangenenlager um Aurich und das KZ-Außenlager in Engerhafe.

Außerdem habe Martin Wilcken aus  Engerhafe Pionierarbeit geleistet mit seinem Artikel: „Barackenlager im Pfarrgarten, in: Heimatkunde und Heimatgeschichte, Beilage zu den Ostfriesischen Nachrichten, 4/1982).

Enno Schmidt habe deshalb seinen Schwerpunkt in Bezug auf  das Konzentrationslager Engerhafe auf geographisch-topographische Aspekte gelegt.

Ein Ergebnis seiner Arbeit sei die Feststellung des genauen Verlaufs des Panzergraben nördlich von Aurich gewesen. Er habe sich in einer Länge von 12  km von Wallinghausen bis hinter die Kanalschleusen in Wiesens erstreckt und sei gebaut worden von den Häftlingen aus Engerhafe, den etwa 600 Soldaten und von jungen dienstverpflichteten Leuten.

Am 28.8.1944 erging im Rahmen Plans  zum Schutz der gesamten Nordseeküste gegen eine befürchtete Invasion ein „Führerbefehl“ zum Bau auch des „Friesenwalls“ auch in den Provinzen Friesland, Groningen und Ostfriesland. Der Wall sollte in zwei Stellungen errichtet werden, eine  erste direkt an der Küste in den Deichen, dahinter die zweite Linie mit Kanonenständen und Bunkern und mit einem Schutzgrabensystem aus Panzergräben. Heute sind die um Aurich errichteten Gräben nur noch an wenigen Stellen sichtbar, u.a. im  Heikebusch und im Finkenburger Gehölz. Die Panzergräben waren etwa 4 bis 5 m breit, bis zu 3 m tief, hatten schräge Seiten und waren an der Sohle 50 cm breit. Militärtechnisch waren sie sinnlos, einmal weil die Invasion von Süden aus  erfolgte und weil die Gräben eine Invasion von Norden auch nicht hätten aufhalten können.

Die Häftlinge in Engerhafe waren KZ-Insassen aus dem KZ Neuengamme. Dieses Konzentrationslager südöstlich von Hamburg war seit 1938 in Betrieb  und hatte 60 Nebenlager. Unter anderen kamen Niederländer aus dem Ort Pütten über Neuengamme nach Engerhafe. Dort waren in einer Strafaktion 600 Männer nach Deutschland deportiert worden.

Mitte Oktober wurden die ersten 400 Männer  nach Engerhafe transportiert. Hier bestand bereits ein Lager, in dem Niederländer untergebracht waren, die beim Bunkerbau in Emden helfen mussten. Das Lager bestand in direkter Nachbarschaft zu Kirche, Pfarrhaus und Schule. Die ersten  KZ-Häftlinge haben 1944 zunächst die Sicherungsanlagen errichten müssen: Stacheldraht, Wachtürme etc. Sie haben sich also selber eingesperrt. Dann wurden zwei weitere Baracken errichtet und dir Baracken zur Tarnung mit steilen Dächern  versehen, damit sie aus der Luft aussahen wie landwirtschaftliche Gebäude. Schließlich sollen etwa 2000 bis 2200 Häftlinge dort untergebracht gewesen sein. In jeder Baracke gab es 40 Schlafplätze, die von je zwei Mann belegt wurden.

Alle Zeugenaussagen in Bezug auf die Gestaltung des Lagers, die Arbeitsbedingungen und die Behandlung der Häftlinge sind widersprüchlich – sowohl von ehemaligen Häftlingen als auch von deutschen Zeitzeugen. Sicher ist, dass die  Arbeitsbedingungen sehr schwer waren. Es habe in diesem Jahr den ganzen Herbst hindurch geregnet. Die schwere Erdarbeit musste mit unzureichendem Werkzeug geleistet werden. Von den Häftlingen in Engerhafe kamen in den wenigen Monaten bis  Ende Dezember 188 zu Tode wegen Krankheiten, schlechter Ernährung und schlechter Arbeitsbedingungen – aber auch durch körperliche Misshandlungen. Diese Zahlen basieren auf den Aufzeichnungen in den Kirchenbüchern. Zeitzeugen sprechen von  bis zu 3000 Toten. Eine Zahl, die überhöht erscheint, die Angaben in den Kirchenbüchern scheinen glaubhaft zu sein.

Damit war Engerhafe in jedem Fall eines der schlimmsten KZs in Deutschland. Während der Arbeit zu Tode gekommenen  mussten über die Schulter gelegt mit zurück ins Lager geschleppt werden. Später wurde nach Protest ein Wagen dafür gestellt. Die Krankenbaracke hieß Todesbaracke. Pro Tag wurden etwa 10 Tote gezählt, die auf dem angrenzenden Friedhof,  nachdem man das Beerdigen in Einzelgräbern bald aufgegeben hatte, in einem Massengrab beerdigt wurden. 1952 wurden die Toten wieder exhumiert und fast alle durch die genaue Verzeichnung in den Kirchenbüchern auch wieder identifiziert.

Die Bevölkerung Engerhafes stand dem Geschehen im Lager weitgehend hilflos gegenüber. Im Einzelfall wurde aber Hilfe geleistet, so von der Familie Vossberg, die in ihrem Mühleschuppen kranke Häftlinge versorgte. Es gab aber auch viele  kleine Zeichen von Mitleid und Hilfe aus der deutschen Bevölkerung.

Der Lagerleiter war ein SS-Mann aus der Tschechoslowakei, der später in einem Prozess in Aurich freigesprochen wurde. Er war mit seiner Aufgabe offensichtlich  überfordert.

Das Lager in Engerhafe wurde im Dezember 1944 wieder aufgelöst. Die letzte Beerdigung fand am 22. Dezember 1944 statt, am 28. 12. waren die Arbeiten am Panzergraben abgeschlossen

Im Frühjahr und Sommer 1945 haben  dann internierte deutsche Soldaten geholfen, den Großteil der Panzergrabenlinie wieder zuzuschütten, so daß er nur noch an einzelnen Stellen sichtbar ist.

Die Baracken wurden nach Kriegsende sofort geplündert. Fotos vom Lager existieren nicht.