Protokoll der Sitzung der Arbeitsgruppe der Chronisten vom 25.04.2003 im alten Lesesaal der Landschaftsbibliothek in Aurich
Regional- und Lokalverwaltung in Ostfriesland in der Preußenzeit von
1744 - 1806
12 Teilnehmer
Protokoll: Dr. P. Weßels
Referent: Dr. Thorsten Melchers
Dr. Melchers führt aus: Das preußische Prinzip in der kommunalen Selbstverwaltung basierte auf einer
Oberaufsicht, die zwar die gängige Praxis bestätigte, aber zugleich weitgehendes Eingreifen nicht ausschloss. Die kommunale Oberaufsicht in den Kreisen war gewährleistet. Die Rechte des Adels wurden nicht
angetastet und die Verwaltung mit einer möglichst kleinen Beamtenschaft durchgeführt vorhandenen.
Ostfriesland stand stärker als andere preußische Landesteile in genossenschaftlicher Tradition, Es
herrschte eine „Hausväterdemokratie“. Die politischen Rechte lagen bei den „Interessenten“, die für die Wahl der Offizianten und der Deputierten zu den Landtagen verantwortlich waren. Das
landesherrliche Bestätigungsrecht hatte nur formalen Charakter. Die Landgemeinden waren autonom und die kommunale Selbstverwaltung gut entwickelt.
Die Landgemeinden fungierten als Basiseinheiten der
politischen Mitbestimmung in Rahmen der libertären Ständeordnung, ein hoher Anteil der Bevölkerung bis zu 15 % war politisch aktiv. Es gab einen hohen allgemeinen Bildungsstand und einen relativ großen
politischen Handlungsspielraum. So konnten die Gemeinden als „Hilfsverwaltung“ der Stände fungieren. Ärgerlich für die Interessenten war in dieser Beziehung nur die Verpachtung der indirekten
Steuern.
Das ausgebildete Genossenschaftswesen war allerdings auch verbesserungswürdig. Zugleich versuchten die Interessenten ihre althergebrachten Rechte zu wahren, notwendige Reformen wurden dadurch
oft unterbunden. Die Wahlrechte waren aber oft nicht schriftlich festgelegt und die notwendige Kodifizierung ist unterblieben.
Die Preußen bestätigten 1744 die Landesakkorde und damit den rechtliche
Status Quo der gräflichen Zeit. Zugleich wurde den Ostfriesen zugestanden, keine Soldatenkontingente stellen zu müssen. Die renitenten Stände wurden wieder einbezogen. Nach der Beilegung der Dauerfehde
zwischen Grafenhaus und Ständen sollte die Verwaltung wieder besser funktionieren. Es gab ein deutliches Interesse an einer guten Zusammenarbeit mit den Ständen. Diese sollten die preußischen Gepflogenheiten
annehmen, d.h. gut hauszuhalten. Die Landrechnungsversammlung wurde zu einem kleinen Landtag, unspektakulär aber effektiv in der Wahrnahme der Interessen der Provinz gegenüber der Zentrale
Die Stände
nahmen die Funktion der landrätlichen Kreise in Preußen wahr. Eine Ablösung der Selbstverwaltung hätte einen großen preußischen Beamtenstab zur Folge gehabt. Die Stände verinnerlichten ihrerseits das
preußische Prinzip der Sparsamkeit.
Bei der Durchsetzung dieser Ziele stützte sich Preußen auf die ostfriesische „Hausväterdemokratie“ des dritten Standes. Die Bildungspolitik wurde nach den
Prinzipien der Aufklärung ausgerichtet, in Ostfriesland mit guten Aussichten auf Erfolg. Nach dem Siebenjährigen Krieg wurden zur Fixierung des gegebenen Wahlrechts Votantenregister aufgestellt. Ansonsten ab
es unter der preußischen Herrschaft aber wenig Veränderung im ostfriesischen Verwaltungsgefüge. Eine zentrale Rolle spielte die Vermittlung auf mittlerer Ebene durch die Amtmänner. Der Staat fungierte als
Moderator zwischen den Genossenschaften. Die verhassten indirekten Steuern wurden durch feste Steuerforderungen abgelöst, der jeder Gemeinde geschlossen nachzukommen hatte. Das bedeutete aber auch, dass die
Dorfgemeinschaft selbst die Kontrolle über die Steuerhebung ihrer Gemeinde besaß. Es gab also ein funktionierendes Dreieck zwischen Kammer, Ständeverwaltung und Gemeinden.
Aufstrecksrecht,
Moorbrandkultur und wachsende Bevölkerung zwangen die preussische Verwaltung zu einer Klärung der Besitzverhältnisse in den ostfriesischen „Wildnissen“. Ostfriesland war geprägt durch eine negative
Migrationsbilanz, Arbeitskräftemangel und hohe Lohnkosten. Das Urbarmachungsedikt von 1765 bedeutete rechtlich ein Prinzip der sozialen Umverteilung. Es fungierte als Katalysator in der Frage der
Besitzklärung: Es folgte eine Welle von Gemeinheitsteilungen mit Landabtretungen für die Ansiedlung von Besitzlosen. Da die Gemeinheitsteilung nur bei Zustimmung aller möglich war, hatte sie, um so schneller
die durchgeführt wurde, eine Fixierung des Vorrechts der Privilegierten zur Folge: Das beste Land innerhalb der Gemeindeweiden ging an die Interessenten. Die Kolonisten, die sich auf den neu zu Verfügung
stehenden Flächen ansiedelten, waren fast ausschließlich Ostfriesen. Allerdings muss man eine schlechte Verwaltung der Kammer in Aurich für das letzte Drittel des 18. Jahrhunderts konstatieren. Der Staat
unterließ Neugründungen von politischen und kirchlichen Gemeinden in den Kolonien und fühlte sich nicht für das entstehende soziale Elend in den Kolonien verantwortlich. Die zugewiesenen Kolonate waren zu
klein, sie reichten nicht als Lebensgrundlage. Es mangelte an Möglichkeiten zu Nebeneinkünften für die Kolonisten. Andererseits hätte die Lösung der sozialen Probleme der Kolonisten durch ostfriesischen
Interessenten selbst vorgenommen werden können, weil es sich ja schließlich um ihre eigenen Familienangehörigen handelte. Die Alternative der Fehnkultur ließ sich einerseits in Ostfriesland nicht in voller
Breite realisieren. Staatliche Planungen und Erschliessungen in diesem Bereich unterblieben. Vermutlich scheiterte auch die Kammer als Mittlerinstanz für die Weiterleitung dieser Probleme nach
Berlin.
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