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Arbeitsgruppe der Ortschronisten der Ostfriesischen Landschaft


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am: 28.07.2017

Leitung:
Dr. Paul Weßels

Webmaster
H.-Jürgen Adams


 

 

 

Protokoll der Sitzung der Arbeitsgruppe der Chronisten vom 25.04.2003 im alten Lesesaal der Landschaftsbibliothek in Aurich

Regional- und Lokalverwaltung in Ostfriesland in der Preußenzeit von 1744 - 1806

12 Teilnehmer

Protokoll: Dr. P. Weßels

Referent: Dr. Thorsten Melchers

Dr. Melchers führt aus: Das preußische Prinzip in der kommunalen Selbstverwaltung basierte auf einer Oberaufsicht, die zwar die gängige Praxis  bestätigte, aber zugleich weitgehendes Eingreifen nicht ausschloss. Die kommunale Oberaufsicht in den Kreisen war gewährleistet. Die Rechte des Adels wurden nicht angetastet und die Verwaltung mit einer möglichst kleinen Beamtenschaft  durchgeführt vorhandenen.

Ostfriesland stand stärker als andere preußische Landesteile in genossenschaftlicher Tradition, Es herrschte eine „Hausväterdemokratie“. Die politischen Rechte lagen bei den „Interessenten“, die für die  Wahl der Offizianten und der Deputierten zu den Landtagen verantwortlich waren. Das landesherrliche Bestätigungsrecht hatte nur formalen Charakter. Die Landgemeinden waren autonom und die kommunale Selbstverwaltung gut entwickelt.

Die Landgemeinden fungierten als Basiseinheiten der politischen Mitbestimmung in Rahmen der libertären Ständeordnung, ein hoher Anteil der Bevölkerung bis zu 15 % war politisch aktiv. Es gab einen hohen allgemeinen Bildungsstand und einen  relativ großen politischen Handlungsspielraum. So konnten die Gemeinden als „Hilfsverwaltung“ der Stände fungieren. Ärgerlich für die Interessenten war in dieser Beziehung nur die Verpachtung der indirekten Steuern.

Das ausgebildete  Genossenschaftswesen war allerdings auch verbesserungswürdig. Zugleich versuchten die Interessenten ihre althergebrachten Rechte zu wahren, notwendige Reformen wurden dadurch oft unterbunden. Die Wahlrechte waren aber oft nicht schriftlich  festgelegt und die notwendige Kodifizierung ist unterblieben.

Die Preußen bestätigten 1744 die Landesakkorde und damit den rechtliche Status Quo der gräflichen Zeit. Zugleich wurde den Ostfriesen zugestanden, keine  Soldatenkontingente stellen zu müssen. Die renitenten Stände wurden wieder einbezogen. Nach der Beilegung der Dauerfehde zwischen Grafenhaus und Ständen sollte die Verwaltung wieder besser funktionieren. Es gab ein deutliches Interesse an  einer guten Zusammenarbeit mit den Ständen. Diese sollten die preußischen Gepflogenheiten annehmen, d.h. gut hauszuhalten. Die Landrechnungsversammlung wurde zu einem kleinen Landtag, unspektakulär aber effektiv in der Wahrnahme der  Interessen der Provinz gegenüber der Zentrale

Die Stände nahmen die Funktion der landrätlichen Kreise in Preußen wahr. Eine Ablösung der Selbstverwaltung hätte einen großen preußischen Beamtenstab zur Folge gehabt. Die Stände  verinnerlichten ihrerseits das preußische Prinzip der Sparsamkeit.

Bei der Durchsetzung dieser Ziele stützte sich Preußen auf die ostfriesische „Hausväterdemokratie“ des dritten Standes. Die Bildungspolitik wurde nach den Prinzipien  der Aufklärung ausgerichtet, in Ostfriesland mit guten Aussichten auf Erfolg. Nach dem Siebenjährigen Krieg wurden zur Fixierung des gegebenen Wahlrechts Votantenregister aufgestellt. Ansonsten ab es unter der preußischen Herrschaft aber  wenig Veränderung im ostfriesischen Verwaltungsgefüge. Eine zentrale Rolle spielte die Vermittlung auf mittlerer Ebene durch die Amtmänner. Der Staat fungierte als Moderator zwischen den Genossenschaften. Die verhassten indirekten Steuern  wurden durch feste Steuerforderungen abgelöst, der jeder Gemeinde geschlossen nachzukommen hatte. Das bedeutete aber auch, dass die Dorfgemeinschaft selbst die Kontrolle über die Steuerhebung ihrer Gemeinde besaß. Es gab also ein  funktionierendes Dreieck zwischen Kammer, Ständeverwaltung und Gemeinden.

Aufstrecksrecht, Moorbrandkultur und wachsende Bevölkerung zwangen die preussische Verwaltung zu einer Klärung der Besitzverhältnisse in den ostfriesischen  „Wildnissen“. Ostfriesland war geprägt durch eine negative Migrationsbilanz, Arbeitskräftemangel und hohe Lohnkosten. Das Urbarmachungsedikt von 1765 bedeutete rechtlich ein Prinzip der sozialen Umverteilung. Es fungierte als Katalysator  in der Frage der Besitzklärung: Es folgte eine Welle von Gemeinheitsteilungen mit Landabtretungen für die Ansiedlung von Besitzlosen. Da die Gemeinheitsteilung nur bei Zustimmung aller möglich war, hatte sie, um so schneller die  durchgeführt wurde, eine Fixierung des Vorrechts der Privilegierten zur Folge: Das beste Land innerhalb der Gemeindeweiden ging an die Interessenten. Die Kolonisten, die sich auf den neu zu Verfügung stehenden Flächen ansiedelten, waren  fast ausschließlich Ostfriesen. Allerdings muss man eine schlechte Verwaltung der Kammer in Aurich für das letzte Drittel des 18. Jahrhunderts konstatieren. Der Staat unterließ Neugründungen von politischen und kirchlichen Gemeinden in den  Kolonien und fühlte sich nicht für das entstehende soziale Elend in den Kolonien verantwortlich. Die zugewiesenen Kolonate waren zu klein, sie reichten nicht als Lebensgrundlage. Es mangelte an Möglichkeiten zu Nebeneinkünften für die  Kolonisten. Andererseits hätte die Lösung der sozialen Probleme der Kolonisten durch ostfriesischen Interessenten selbst vorgenommen werden können, weil es sich ja schließlich um ihre eigenen Familienangehörigen handelte. Die Alternative  der Fehnkultur ließ sich einerseits in Ostfriesland nicht in voller Breite realisieren. Staatliche Planungen und Erschliessungen in diesem Bereich unterblieben. Vermutlich scheiterte auch die Kammer als Mittlerinstanz für die Weiterleitung  dieser Probleme nach Berlin.