Protokoll des Treffens am 23.09.05 im alten Lesesaal der Landschaftsbibliothek Aurich
Rudolf Nassua: Ostfriesland 1945 – 1949
Anwesend: 18 Mitglieder der Arbeitsgruppe
Referent:
Rudolf Nassua, Aurich
Protokoll: Dr. P. Weßels
TOP 1: Verschiedenes
Nachdem das nächste Treffen für den 14.10.05 um 15.30 Uhr an gleicher Stelle vereinbart worden ist, wurde auf
den im November anstehenden nächsten Tag der Ostfriesischen Geschichte hingewiesen, bei dem dieses Mal die Historische Ortsdatenbank Ostfriesland vorgestellt werden soll.
Herr Nassua weist darauf hin,
dass das Manuskript seines Vortrages im Internet auf der Seite der Ortschronisten nachzulesen sein wird. Deshalb wird dieses Protokoll den Vortrag etwas stärker zusammenfassen. Das Buch zum Vortrag wird
voraussichtlich im November 2005 erscheinen.
TOP 2: Ostfriesland 1945 bis 1949
I. Die vier Phasen der britischen Militärregierung
Bevor die Briten und Amerikaner in Deutschland
einmarschierten, wurde aus verschiedenen Gründen die Zusammenarbeit zwischen den beiden Nationen in Bezug auf die zukünftige Verwaltung der eroberten deutschen Gebiete aufgekündigt. Die Planungen im Vorfeld
des Einmarsches hatten sich als obsolet erwiesen. So marschierte man ein, ohne ein Konzept zu haben. Erst Monate nach dem Einmarsch, am 10. September 1945, erfolgte eine englische Direktive.
Die Besatzungsgeschichte Ostfrieslands durch die britischen Truppen gliedert sich in vier Phasen.
1. Das große Durcheinander
Die vollziehende Gewalt wurde während der ersten Wochen
von der kämpfenden Truppe wahrgenommen. Zuständig für das Besatzungsregime im Regierungsbezirk Aurich und die Kontrolle der Bezirksregierung war die 613 L/R Military Goverment Detachment. Das Team der
Militärregierung tröpfelte langsam nach Ostfriesland, professionell war nur die britische Polizei, deren Beamten einem besonderen Auswahlverfahren unterlagen.
Z.B, konstituierte sich die Verwaltung des
Landkreises Aurich z.B. unter der Leitung von Corporal Smith, einer kompetenten und gut Deutsch sprechenden Frau, die ihre Entscheidungen anscheinend ohne schriftliche Instruktionen traf. Interner
Behördenleiter wurde der vorherige stellvertretende Landrat, Kreisoberinspektor Onken, der bei allen Fällen außerhalb der Routine bei Corporal Smith vorsprechen musste.
Die Polizei organisierte den
automatischen Arrest, der also kein Teil der Entnazifizierung war, sondern vorbeugend gegen den „Werwolf“ wirken sollte. Am 15. Juni 1945 wurde das „ostfriesische“ Detachment dem für die Provinz
Hannover zuständigen 229. Detachment unterstellt. Damit war das „Große Durcheinander“ in Ostfriesland beendet.
2. Direkte Herrschaft durch die englische Militärregierung
Eine direkte Herrschaft
war ursprünglich nicht vorgesehen. Das Durcheinander, das aus der britischen Konzeptlosigkeit entstand, lässt sich an der Geschichte der Entnazifizierung ablesen. Die direkte Herrschaft dauerte bis zum
31.Dezember 1946.
3. Indirekte Herrschaft
Die deutsche Landesregierung nahm ihre Arbeit am 1. Februar 1947 auf. Eine Eigenständigkeit der Deutschen war aber nicht wirklich gegeben, denn ihr
blieben nur sieben von 54 staatlichen Aufgabenfeldern eigenständig überlassen, ca. 20 waren der Mitregierung durch die Briten unterworfen und ca. weitere 20 wurden allein von den Briten verantwortet (z.B.
Nahrungsmittelversorgung). Alle wichtigen Entscheidungen unterlagen einem britischen Vetorecht.
4. Eigenverantwortung
Im Februar 1949 begann die vierte Phase mit der Reorganisation des Wirtschaftsrates
und der Übertragung größerer Befugnisse an diesen. Zugleich erfolgte der Rückzug der Militärregierung. Im Juli 1941 waren in Ostfriesland noch 41 Offiziere tätig, die als „british residents“ ohne Macht
von der deutschen Landesregierung finanziert werden mussten
II. Wiederaufbau der Kommunalverwaltung
Nach der Besetzung wurden die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der deutschen
Behörden bis Mai 1945 zum Dienstantritt aufgefordert, denn für Sicherheit, Ruhe und Ordnung war die schnelle Wiederherstellung der deutschen Kommunalverwaltung notwendig. Am 10. Mai 1945 wurde die
Arbeitsbereitschaft der Bezirksregierung in Aurich hergestellt. Befehle an die deutschen Behörden wurden nur mündlich erteilt. Es gibt wenn überhaupt, nur knappe Protokolle von Besprechungen. Wichtig war neben
der Sicherstellung der Ernährung vor allem auch die Herstellung einer funktionierenden Finanzwirtschaft. Die Briten kontrollierten deshalb sofort die Reichsbankfiliale in Emden.
Die früher starke
Position der Landräte über die Polizei wurde zurückgenommen durch eine Polizeireform, die frühere Aufgaben der Polizei (z.B. Gewerbeaufsichtsämter, Einwohnerämter) in zivile Hände legte.
Durch die sog.
beiden September-Direktiven aus dem Jahr 1945 wurde die britische Zweigleisigkeit in das deutsche Verwaltungssystem eingeführt. Alle Verantwortlichen des NS-Systems waren schon vor Kriegsende durch einen
geheimen Erlass ermächtigt worden, mit den Besatzungsmächten zusammenzuarbeiten, um einen möglichst großen Teil der deutschen Verwaltungselite in die Besatzungszeit zu retten. Die Briten legten ihrerseits Wert
auf eine funktionierende Verwaltung. Dadurch entstanden große Kontinuitäten: In der Regel wurden die Verwaltungsspitzen abgelöst und durch ihre früheren Vertreter ersetzt (vgl. Landkreis Leer: Windels ersetzt
Conring). Jede Verwaltung erhielt so schnell eine funktionierende Spitze. Im Oktober 1945 wurden dazu Beiräte ernannt, die aber in unterschiedlicher Weise oder gar nicht in Funktion traten.
In einer
zweiten Stufe wurden Gemeinderäte und Stadträte ernannt, die in drei Jahren nach einem Rotationsprinzip demokratische Verwaltungsarbeit „lernen“ sollten. Die Ernennung zog sich bis zum Frühjahr 1946 hin.
Schließlich wurde doch schon im Oktober 1946 gewählt. Im Ergebnis stand eine fast 50%ige Mehrheit für die SPD. Die CDU hatte im protestantischen Ostfriesland zunächst Probleme, da sie in dem Ruf stand, eine
Nachfolgepartei des katholischen Zentrums zu sein. Dafür war die FDP noch relativ erfolgreich. Die KPD war von einem Ergebnis von 4,9% sehr enttäuscht, man fühlte sich für seine Opfer in der NS-Zeit nicht
ausreichend belohnt.
Die Einführung des britischen Modells von Kommunalpolitik ist letztlich gescheitert. Die letzen Reste werden in diesen Jahren wieder beseitigt. Die Trennung von Rat und Verwaltung
war nie wirklich populär. Auch die Briten waren ihrerseits unzufrieden. Man hatte nicht bedacht, dass Deutschland eigene Traditionen besaß und sich ein fremdes Modell nicht einfach übertragen ließ. Außerdem
wurden jene britischen Offiziere schnell versetzt, die sich gut mit den Deutschen verstanden. Distanz zur deutschen Bevölkerung war erwünscht und auch eine gewisse Arroganz bei einigen britischen
Verantwortlichen unverkennbar. Die Briten waren in Bezug auf den Aufbau der Kommunalverwaltung von falschen Voraussetzungen ausgegangnen: Im noch stark von Klassen geprägten England gab es eine Tradition, dass
gesellschaftlich herausragende Familien sich zeitweise ehrenamtlich in der Kommunalpolitik engagierten. So konnte man in Deutschland nach den vielen Brüchen des 20, Jahrhunderts nicht mehr vorfinden. So konnte
es passieren, dass man in Ostfriesland die britische Verwaltung in ihrer ersten Phase der Wiederherstellung von Recht und Ordnung positiv wahrnahm, diese dann aber während der zweiten Phase des Aufbaus einer
geordneten Verwaltung immer mehr ablehnte, weil sich die Lebensverhältnisse bis Frühjahr 1947 ständig abwärts entwickelten. Dafür machte man die Briten verantwortlich und verübelte ihnen außerdem ihre von
eigenen wirtschaftlichen Bestrebungen gesteuerte Demontagepolitik. In dieser Mängelsituation war es ein großes Verdienst der deutschen Kommunalpolitiker, ihren Teil der Verantwortung zu übernehmen. Es gab eine
Serie von Missverständnissen und wenig Willen zu einem echten Miteinander.
[Wegen der komplexen Verhältnisse der ersten vier Jahre nach dem Kriegsende in Ostfriesland hat Rudolf Nassua seinen Vortrag
als Volltextversion für die Internetpräsentation der Ortschronisten zur Verfügung gestellt.] - mehr
Literatur: Nassua, Rudolf, Aurich 1945 bis 1949,
Besatzung - Neuanfang, Aurich 2005 (in Vorber.).
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