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Arbeitsgruppe der Ortschronisten der Ostfriesischen Landschaft


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Ostfriesland 1945-1949
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am: 28.07.2017

Leitung:
Dr. Paul Weßels

Webmaster
H.-Jürgen Adams


 

 

 Protokoll des Treffens am 23.09.05 im alten Lesesaal der Landschaftsbibliothek Aurich

Rudolf Nassua: Ostfriesland 1945 – 1949

Anwesend: 18 Mitglieder der Arbeitsgruppe

Referent: Rudolf Nassua, Aurich

Protokoll: Dr. P. Weßels

 

TOP 1: Verschiedenes

Nachdem das nächste Treffen für den 14.10.05 um 15.30 Uhr an gleicher Stelle vereinbart worden ist, wurde auf den im November anstehenden nächsten Tag der  Ostfriesischen Geschichte hingewiesen, bei dem dieses Mal die Historische Ortsdatenbank Ostfriesland vorgestellt werden soll.

Herr Nassua weist darauf hin, dass das Manuskript seines Vortrages im Internet auf der Seite der  Ortschronisten nachzulesen sein wird. Deshalb wird dieses Protokoll den Vortrag etwas stärker zusammenfassen. Das Buch zum Vortrag wird voraussichtlich im November 2005 erscheinen.


TOP 2: Ostfriesland 1945 bis 1949

I. Die vier Phasen der britischen Militärregierung

Bevor die Briten und Amerikaner in Deutschland einmarschierten, wurde aus verschiedenen Gründen die Zusammenarbeit zwischen den beiden Nationen in Bezug auf die zukünftige  Verwaltung der eroberten deutschen Gebiete aufgekündigt. Die Planungen im Vorfeld des Einmarsches hatten sich als obsolet erwiesen. So marschierte man ein, ohne ein Konzept zu haben. Erst Monate nach dem Einmarsch, am 10. September 1945,  erfolgte eine englische Direktive.    

Die Besatzungsgeschichte Ostfrieslands durch die britischen Truppen gliedert sich in vier Phasen.

1. Das große Durcheinander

Die vollziehende Gewalt wurde  während  der ersten Wochen von der kämpfenden Truppe wahrgenommen. Zuständig für das Besatzungsregime im Regierungsbezirk Aurich und die Kontrolle der Bezirksregierung war die 613 L/R Military Goverment Detachment. Das Team der  Militärregierung tröpfelte langsam nach Ostfriesland, professionell war nur die britische Polizei, deren Beamten einem besonderen Auswahlverfahren unterlagen.

Z.B, konstituierte sich die Verwaltung des Landkreises Aurich z.B. unter  der Leitung von Corporal Smith, einer kompetenten und gut Deutsch sprechenden Frau, die ihre  Entscheidungen anscheinend ohne schriftliche Instruktionen traf. Interner Behördenleiter wurde der vorherige stellvertretende Landrat,  Kreisoberinspektor Onken, der bei allen Fällen außerhalb der Routine bei Corporal Smith vorsprechen musste.

Die Polizei organisierte den automatischen Arrest, der also kein Teil der Entnazifizierung war, sondern vorbeugend gegen den  „Werwolf“ wirken sollte. Am 15. Juni 1945 wurde das „ostfriesische“ Detachment dem für die Provinz Hannover zuständigen 229. Detachment unterstellt. Damit war das „Große Durcheinander“ in Ostfriesland beendet.

2. Direkte Herrschaft durch die englische Militärregierung

Eine direkte Herrschaft war ursprünglich nicht vorgesehen. Das Durcheinander, das aus der britischen Konzeptlosigkeit entstand, lässt sich an der Geschichte der  Entnazifizierung ablesen. Die direkte Herrschaft dauerte bis zum 31.Dezember 1946.

3. Indirekte Herrschaft

Die deutsche Landesregierung nahm ihre Arbeit am 1. Februar 1947 auf. Eine Eigenständigkeit der Deutschen war aber  nicht wirklich gegeben, denn ihr blieben nur sieben von 54 staatlichen Aufgabenfeldern eigenständig überlassen, ca. 20 waren der Mitregierung durch die Briten unterworfen und ca. weitere 20 wurden allein von den Briten verantwortet (z.B.  Nahrungsmittelversorgung). Alle wichtigen Entscheidungen unterlagen einem britischen Vetorecht.

4. Eigenverantwortung

Im Februar 1949 begann die vierte Phase mit der Reorganisation des Wirtschaftsrates und der Übertragung  größerer Befugnisse an diesen. Zugleich erfolgte der Rückzug der Militärregierung. Im Juli 1941 waren in Ostfriesland noch 41 Offiziere tätig, die als „british residents“ ohne Macht von der deutschen Landesregierung finanziert werden  mussten

 

II. Wiederaufbau der Kommunalverwaltung

Nach der Besetzung wurden die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der deutschen Behörden bis Mai 1945 zum Dienstantritt aufgefordert, denn für Sicherheit, Ruhe und  Ordnung war die schnelle Wiederherstellung der deutschen Kommunalverwaltung notwendig. Am 10. Mai 1945 wurde die Arbeitsbereitschaft der Bezirksregierung in Aurich hergestellt. Befehle an die deutschen Behörden wurden nur mündlich erteilt.  Es gibt wenn überhaupt, nur knappe Protokolle von Besprechungen. Wichtig war neben der Sicherstellung der Ernährung vor allem auch die Herstellung einer funktionierenden Finanzwirtschaft. Die Briten kontrollierten deshalb sofort die  Reichsbankfiliale in Emden.

Die früher starke Position der Landräte über die Polizei wurde zurückgenommen durch eine Polizeireform, die frühere Aufgaben der Polizei (z.B. Gewerbeaufsichtsämter, Einwohnerämter) in zivile Hände legte.

Durch die sog. beiden September-Direktiven aus dem Jahr 1945 wurde die britische Zweigleisigkeit in das deutsche Verwaltungssystem eingeführt. Alle Verantwortlichen des NS-Systems waren schon vor Kriegsende durch einen geheimen  Erlass ermächtigt worden, mit den Besatzungsmächten zusammenzuarbeiten, um einen möglichst großen Teil der deutschen Verwaltungselite in die Besatzungszeit zu retten. Die Briten legten ihrerseits Wert auf eine funktionierende Verwaltung.  Dadurch entstanden große Kontinuitäten: In der Regel wurden die Verwaltungsspitzen abgelöst und durch ihre früheren Vertreter ersetzt (vgl. Landkreis Leer: Windels ersetzt Conring). Jede Verwaltung erhielt so schnell eine funktionierende  Spitze. Im Oktober 1945 wurden dazu Beiräte ernannt, die aber in unterschiedlicher Weise oder gar nicht in Funktion traten.

In einer zweiten Stufe wurden Gemeinderäte und Stadträte ernannt, die in drei Jahren nach einem  Rotationsprinzip demokratische Verwaltungsarbeit „lernen“ sollten. Die Ernennung zog sich bis zum Frühjahr 1946 hin. Schließlich wurde doch schon im Oktober 1946 gewählt. Im Ergebnis stand eine fast 50%ige Mehrheit für die SPD. Die CDU  hatte im protestantischen Ostfriesland zunächst Probleme, da sie in dem Ruf stand, eine Nachfolgepartei des katholischen Zentrums zu sein. Dafür war die FDP noch relativ erfolgreich. Die KPD war von einem Ergebnis von 4,9% sehr enttäuscht,  man fühlte sich für seine Opfer in der NS-Zeit nicht ausreichend belohnt.

Die Einführung des britischen Modells von Kommunalpolitik ist letztlich gescheitert. Die letzen Reste werden in diesen Jahren wieder beseitigt. Die Trennung  von Rat und Verwaltung war nie wirklich populär. Auch die Briten waren ihrerseits unzufrieden. Man hatte nicht bedacht, dass Deutschland eigene Traditionen besaß und sich ein fremdes Modell nicht einfach übertragen ließ. Außerdem wurden  jene britischen Offiziere schnell versetzt, die sich gut mit den Deutschen verstanden. Distanz zur deutschen Bevölkerung war erwünscht und auch eine gewisse Arroganz bei einigen britischen Verantwortlichen unverkennbar. Die Briten waren in  Bezug auf den Aufbau der Kommunalverwaltung von falschen Voraussetzungen ausgegangnen: Im noch stark von Klassen geprägten England gab es eine Tradition, dass gesellschaftlich herausragende Familien sich zeitweise ehrenamtlich in der  Kommunalpolitik engagierten. So konnte man in Deutschland nach den vielen Brüchen des 20, Jahrhunderts nicht mehr vorfinden. So konnte es passieren, dass man in Ostfriesland die britische Verwaltung in ihrer ersten Phase der  Wiederherstellung von Recht und Ordnung positiv wahrnahm, diese dann aber während der zweiten Phase des Aufbaus einer geordneten Verwaltung immer mehr ablehnte, weil sich die Lebensverhältnisse bis Frühjahr 1947 ständig abwärts  entwickelten. Dafür machte man die Briten verantwortlich und verübelte ihnen außerdem ihre von eigenen wirtschaftlichen Bestrebungen gesteuerte Demontagepolitik. In dieser Mängelsituation war es ein großes Verdienst der deutschen  Kommunalpolitiker, ihren Teil der Verantwortung zu übernehmen. Es gab eine Serie von Missverständnissen und wenig Willen zu einem echten Miteinander.

[Wegen der komplexen Verhältnisse der ersten vier Jahre nach dem Kriegsende in  Ostfriesland hat Rudolf Nassua seinen Vortrag als Volltextversion für die Internetpräsentation der Ortschronisten zur Verfügung gestellt.] - mehr
 

Literatur: Nassua, Rudolf, Aurich 1945 bis 1949, Besatzung - Neuanfang, Aurich 2005 (in Vorber.).