PENCIL_TRANS

Arbeitsgruppe der Ortschronisten der Ostfriesischen Landschaft


leader+
(C) Ostfriesische Landschaft Aurich 2005 bis 2010.  Alle Rechte vorbehalten
Die Erstellung der Historischen Ortsdatenbank Ostfriesland wird gefördert durch Mittel von leader+




Altreformierte in Ostfriesland
Arbeitsgruppe
aktuell
Mitarbeiter
Protokolle
Jahresberichte
Aufsätze und Literatur
Hist. Ortsdatenbank
Kontakt

Letzte Aktualisierung
am: 28.07.2017

Leitung:
Dr. Paul Weßels

Webmaster
H.-Jürgen Adams


 

 

Protokoll des Treffens der Arbeitsgruppe der Chronisten vom 14.07.2006 im Ständesaal der Ostfriesischen Landschaft in Aurich

Die Altreformierten in Ostfriesland

20 Teilnehmer

Referent: Dr. Gerrit Jan Beuker, Hoogstede

Prot.: Dr. P. Weßels

Pastor Dr. Gerrit Jan Beuker hat bereits verschiedene Aufsätze und Bücher zur Geschichte der Altreformierten in Ostfriesland und in Niedersachsen veröffentlicht.

Es gibt in Ostfriesland fünf altreformierte Gemeinden: Campen, Emden, Neermoor, Bunde und Ihrhove. In der Vergangenheit gab es immer einen engen Kontakt der Niederlande zu Ostfriesland und insbesondere zu Emden, das zum Schwerpunkt  der Reformierten und zum Schwerpunkt der niederländischen Religionsflüchtlinge in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts wurde. Seitdem wurde das Niederländische bis etwa 1850 reformierte Amtssprache. Deshalb wurde das Hochdeutsch auch  nicht überall in Ostfriesland verstanden. Um den niederländischen Einfluss zurückzudrängen gab es seit 1818 die gesetzliche Forderung nach hochdeutscher Predigt, seit 1826 nach hochdeutschen Kirchenliedern, und 1845 wurde das Hochdeutsche  als Amtssprache an den Schulen durchgesetzt.

Es gibt 131 lutherische Kirchengemeinden in OFL, aber nur 143 reformierte Kirchengemeinden überhaupt in der Ev.-reformierten Kirche mit Sitz in Leer. Von 450,000 Ostfriesen sind heute etwa 250.000 Lutheraner und 80.000 Reformierte.  Von diesen sind wiederum in Ostfriesland nur 1.000 altreformiert. Bei den Reformierten steht das Wort im Vordergrund, es wird während der Liturgie nicht gesungen, es gibt keine Bilder oder Kreuze und der Pastor wendet sich nicht mit dem  Rücken zu seiner Gemeinde. Es gibt regelmäßigen Psalmengesang, etwa ein Drittel bis die Hälfte der Lieder in den Gottesdiensten sind Psalmen. Alle 150 Psalmen der Bibel sind vertont. Die Altreformierten kennen dagegen heute wieder das  Kreuz und die Kerze in der Kirche

Die synodal aufgebaut reformierte Kirche erhielt erst spät ihre organisatorische Struktur: Ursprünglich gab es in Aurich ein kombiniertes paritätisch besetztes lutherisch/reformiertes Konsistorium als Aufsichtsbehörde. 1882 wurde die  Ev.-ref. Kirche der Provinz Hannover gebildet, seit 1904 wurde die Ev.-luth. Kirche von Hannover aus geleitet, erst nach dem Ersten Weltkrieg gaben sich die Reformierten eine Verfassung und Aurich wurde ein reformiertes Konsistorium.

Seit etwa 1831 begann in einigen reformierten Gemeinden eine Abscheidungsbewegung als konservative Gegenbewegung zu Auswirkungen aufklärerischer Tendenzen in der Reformierten Kirche und zur Einführung neuer Katechismen und  Gesangbücher. Das altreformierte Bekenntnis setzte dagegen auf eine streng konservative Lebensführung. Es handelte sich um die Bewegung einer „Kirche von unten“ mit Zusammenkünften (Konventikeln), die in Privathäusern tagten. Diese  Bewegung war in den Niederlanden viel stärker als in Deutschland. Wegen ihrer Verbundenheit mit den Gereformeerde Kerken in Nederland waren die Altreformierten im Dritten Reich verdächtig. Tatsächlich gab es eine große Nähe zur Bekennenden Kirche. 1936 wurde die niederländische Sprache in den Gottesdiensten der Altreformierten verboten.

In den Niederlanden gibt es heute 700.000 Altreformierte im Verhältnis zu 2.000.000 Reformierten aber nur 15.000 Lutheraner. Alle drei Kirchen bilden seit 2004 in den Niederlanden die Protestantste Kerk. Die Niederlande  strahlten stark nach Deutschland aus, wo die Ev.-altreformierte Kirche nach zehn Jahren heftigster Verfolgung seit1848 mehr und mehr Eigenständigkeit gewann. Als Körperschaft des öffentlichen Rechts wurde sie erst 1951 anerkannt.

Wichtig in Ostfriesland wurde Pastor Reemt Weerts Duin, der am 5. April 1797 in Emden geboren wurde, Theologie studierte und u.a. von 1827 bis 1828 Pastor in Jarßum und Widdelswehr, danach 1828 in Balk in den Niederlanden berufen und  in Veenhusen in Ostfriesland tätig. Hier wurde er psychisch krank und bat 1831 um seine Amtsenthebung. Mit seiner Schrift „Emdens en Oostvrieslands geestelijk hoerdom of ontrouw aan den God der Vaderen“ wandte er sich öffentlich von der ev.-reformierten Kirche in Emden ab und legte damit eine Basis zur Gründung der altreformierten Kirche. Er arbeitete als altreformierter Pastor in den Niederlanden. Dennoch konnte er auch dieser Kirche nie eindeutig zugerechnet werden, weil er weiterhin reformierte Positionen vertrat. Er starb am 6. Februar 1843 in Lingen, nachdem er sich auch mit den niederländischen Altreformierten überworfen hatte. Mit acht verschiedenen Broschüren hat er zwischen 1833 und 1838 für seine Sicht geworben.

 Reemt Weerts Duin war der einzige Altreformierte, der in Ostfriesland Verfolgungsmaßnahmen erleiden musste, weil er als Urheber politischen Aufruhrs galt. 1841 musste er für einige Monate ins Gefängnis, nachdem er in Wolthusen  gepredigt hatte. Ansonsten hatten die Altreformierten in Ostfriesland aber später – anders als in der Grafschaft Bentheim – kaum unter polizeiliche Verfolgung oder unter persönlicher Häme zu leiden, weil die Stimmung nach 1848 allgemein  toleranter war.

Die „Altreformierten“ in Wolthusen 1841 bildeten die Keimzelle der 1856 in Emden offiziell gegründeten Gemeinde. Die Gemeinde in Campen ist die älteste in Ostfriesland und wurde 1854 gegründet. Es folgten Bunde 1858, Ihrhove 1860 und  Neermoor 1861. Diejenigen, die sich den Altreformierten zuwandten, waren vor allem kleine Leute, Dienstknechte, Handwerker etc. Deshalb waren die Altreformierten auch zu einem besonders hohen Anteil von der Auswanderung betroffen. 1880 gab  es 1.000 Altreformierte in Ostfriesland in fünf Gemeinden. Diese Zahl hat sich bis heute nicht erhöht.

Campen, die älteste altreformierte Gemeinde in Ostfriesland, deren Anfänge in die 1840er Jahre zurückreichen und die 1854 offiziell gegründet wurde, war sehr stark von dem Landwirt Heye Gossen Heikens geprägt, erst 1884 schloss sie  sich offiziell den Altreformierten an. Die Anfänge der Altreformierten in Emden gleichen denen in Campen. 1856 erfolgt die eigenständige Gemeindegründung mit Kindtaufe unter Zuhilfenahme eines Pastors der Reformierten Gemeinde unter dem  Kreuz aus Rotterdam, die in Unterscheidung zu den Altreformierten nicht nach staatlicher Anerkennung strebte und die Aufrechterhaltung der Kirchenordnung von Dordrecht als Ziel verfolgte. Da der Magistrat in Emden aber keine ausländischen, d.h. niederländischen Prediger gestattete, zerbrach die junge Gemeinde, ein Teil schloss sich schon 1860 den Altreformierten in der Grafschaft an. 1866 ging ein anderer Teil der Gemeinde zu den Baptisten über. Bis 1880 waren viele Altreformierte in die USA ausgewandert. Etwa die Hälfte der ostfriesischen altreformierten Pastoren wurde in den USA berufen. Gegen Ende des Zweiten Weltkriegs ist die Gemeindekirche in Emden ausgebrannt und wurde 1951 wieder aufgebaut. Seit 1870 begann in Emden unter dem altreformierten Pastor Nicolaus Martin Steffens die Ausbildung von Theologiestudenten, die später unter Pastor Johannes Jäger bis 1915 fortgeführt wurde.

1858 wurde die altreformierte Gemeinde in Bunde gegründet, die sofort der Synode der Grafschaft Bentheim angehörte. 1860 erfolgte die Gründung der Gemeinde in Ihrhove und 1861 die Gründung der Gemeinde in Neermoor von der Grafschaft  Bentheim aus. Die Gemeinden Emden und Campen, zu deren Einzugsgebiet die gesamt Krummhörn gehört, bilden seit kurzem eine gemeinsame Pfarrstelle, so wie auch schon seit vielen Jahrzehnten die beiden Gemeinden Ihrhove und Neermoor.

Seit 1970 gibt es wieder mehr Gemeinsamkeiten zwischen Reformierten und Altreformierten. Eine Verständigung ist einfacher, weil heute der Heidelberger Katechismus Grundlage beider Kirchen ist. Ein Gemeinsamer Ausschuss soll seit 1988  Wege der beiden Kirchen zueinander bahnen. Ein Kooperationsvertrag beider Kirchen wird zur Zeit diskutiert.

Während die altreformierten Gemeinden in Ostfriesland aber mehr Distanz zur ev.-reformierten Kirche halten, gibt es im Bentheimer Raum eine größere Annäherung. Das ist möglich, weil es auf organisatorischer Ebene durchaus  Anknüpfungspunkte gibt. Beide Kirchen bestehen aus landeskirchlichen Parochialgemeinden und sind synodal organisiert. Es gibt in beiden in Abgrenzung zu den Freikirchen die Kleinkindertaufe, die jahrgangsweise Konfirmation und auch das  Gesangbuch sind beiden Kirchen gemeinsam. Das altreformierte geistliche Leben ist aber den freikirchlichen Gemeinden näher als dem reformierten. Seit 1988 bereitet ein Gemeinsamer Ausschuss beider Kirchen eine engere Zusammenarbeit auf der  Basis einer gegenseitigen Entschuldigung für frühere ungerechtfertigte Angriffe und Beleidigungen vor.

Die Altreformierte Kirche finanziert sich nicht aus der Kirchensteuer, sondern aus Beitragen, die nach freiwilliger Selbsteinschätzung gezahlt werden, für die es aber auch Richtlinien gibt und die möglichst nicht unterhalb des Satzes  der offiziellen Kirchensteuer liegen sollten. Tatsächlich ist es so, dass etwa 25% der Gemeindeglieder für 75% des Gemeindeetats aufkommen. Das Gehalt der Pastoren entspricht etwa dem eines Grundschullehrers. Die Pastoren werden nicht  verbeamtet, sind aber beamtenähnlich versichert.