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Arbeitsgruppe der Ortschronisten der Ostfriesischen Landschaft


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am: 28.07.2017

Leitung:
Dr. Paul Weßels

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H.-Jürgen Adams


 

 

Protokoll des Treffens der Arbeitsgruppe der Ortschronisten vom 26.01.2006 in den Räumen der Ostfriesischen Landschaft in Aurich

18 Teilnehmer
Referent: Dr. Alfred Rauhaus, Johannes a Lasco-Bibliothek, Emden
Prot.: Dr. P. Weßels

Dr. Alfred Rauhaus, Die Geschichte der Reformierten in Ostfriesland
Ostfriesland hat eine besondere Konfessionsgeschichte, weil es beim  Reichsdeputations­hautschluss 1803 das einzige Reichsland war, in dem zwei  Konfessionen offiziell zugelassen waren, ansonsten galt in Deutschland durchgängig der Satz: „cuius regio eius religio“.
Ostfriesland war gegen Ende des Mittelalters stark von den benachbarten, reichen und kulturell fortgeschrittenen  Niederlanden beeinflusst, wohingegen es vom restlichen Deutschland durch die Grenzmoore weitgehend abgeschnitten war. Etwa vier Fünftel der ostfriesischen „Intellektuellen“, vor allem Pastoren und Lehrer, waren Niederländer. Deshalb  wirkten vorreformatorische religiöse Entwicklungen aus dem Nachbarland prägend, etwa die „Brüder vom gemeinsamen Leben“, eine um 1400 in Deventer entstandene religiöse Gruppe, die sich durch „praktische Frömmigkeit“ auszeichnete und deren  Mitglieder sich, ohne das Mönchsgelübde abzulegen, in kleinen Klöstern oder Brüderhäusern zusammenschlossen. Ein wichtiger Einfluss aus den Niederlanden war außerdem die spirituell getönte Frömmigkeit, z.B. eine Distanz zur Kommunion, die  teilweise durch die „innere Kommunion“ oder „Augenkommunion“ ersetz wurde. Aus Angst vor der eigenen Sündigkeit  bzw. davor, der Kommunion unwürdig zu sein, trat an die Stelle der Kommunion das andächtige Anschauen der Messfeier und der Hostie. Von großer Bedeutung war auch der 1489 in Groningen gestorbene Theologe Wessel Gansfort, der durch die von ihm vertretenen Ansichten als Vorläufer der Reformation bezeichnet gilt. So war in Ostfriesland ein besonderer Resonanzboden für die Schriften Martin Luthers bereitet, die früh in niederländischer Übersetzung rezipiert wurden. Wichtig für diese erste Phase der Reformation in Ostfriesland war Jürgen Aportanus (gest. 1530 in Emden), Erzieher der Grafensöhne und Priester an der Großen Kirche von Emden, der wesentlich dazu beitrug, dass die neue Lehre in Ostfriesland Verbreitung finden konnte. Aportanus war einer der beiden Hauptkontrahenten des von Ulrich von Dornum initiierten Oldersumer Religionsgesprächs im Juni 1526 mit dem katholischen Groninger Dominikanerprior Laurens Laurensen. Ulrich von Dornums Schrift über das Streitgespräch trug zur schnellen Durchsetzung des Protestantismus in Ostfriesland bei. [Die lange verschollene Gegenschrift von Laurens Laurensen wird demnächst veröffentlicht.]
Auch in Ostfriesland erfolgte unter der vom ostfriesischen Häuptlingsadel stark gestützten „neugläubigen“ Bewegung eine Spaltung vor dem Hintergrund des philosophisch begründeten Streits zwischen Luther und Zwingli über die Bedeutung  des Abendmahls. Die Lehre Zwinglis, die auf dem vorreformatorischen niederländischen Spiritualismus aufbauen konnte, fand im westlichen Teil Ostrieslands in den Marschengegenden und entlang der Ems stärkere Verbreitung. Auf der anderen  Seite wirkte sich gleichfalls der Einfluss der für die Region bedeutenden großen lutherisch orientierten Handelsstädte Bremen und Hamburg aus. Das Grafenhaus hielt am Luthertum fest und mit schließlich vor allem die von diesem stärker  abhängigen Geestgemeinden Ostfrieslands.
Das 1528 abgefasste ostfriesische „Predikantenbekenntnis“, das auch als erste Kirchenord­nung betrachtet wird, ist das erste evangelische Bekenntnis des Deutschen Reichs.
Ab 1530 wirkte mit  Melchior Hoffmann (ca. 1500-1543) ein Vertreter der radikalen Täuferbewegung in Emden, der neben der Erwachsenentaufe Glaubensfreiheit, strenge Heiligung und Gewaltlosigkeit predigte. Unter seinem Einfluss spaltete sich ein zeitweise nicht  unbedeutender Zweig als täuferische Bewegung von der „reformierten“ Richtung ab. So war Ostfriesland in religiöser Hinsicht für einige Jahrzehnte viergeteilt: Neben den verbliebenen Katholiken gab es die lutherische, die reformierte und  die täuferische Richtung.
1535 wurde eine neue Kirchenordung erlassen, die nur dort durchzusetzen war, wo das Grafenhaus das Patronatsrecht besaß und die Predigerstellen selbst besetzen konnte. Im westlichen Teil Ostfrieslands lag das  Patronatsrecht bei den Interessenten der Gemeinden.
Gräfin Anna rief als stellvertretende Regentin für ihre beiden Söhne 1542/43 Johannes a Lasco nach Ostfriesland und installierte ihn als ersten Superintendenten. Mit ihm begann die  regionale „Konfessionsbildung“, ihm gelang die Herausbildung von Kirchenrat und Kirchenzucht und die Einrichtung des heute noch existierenden Coetus als ursprünglich wöchentliches Treffen der reformierten Prediger Ostfrieslands. Etwa  gleichzeitig wurde 1845 durch Gräfin Anna die auch in religiöser Hinsicht disziplinierend wirkende Polizeiordnung für Ostfriesland erlassen.
1549 musste a Lasco nach der Niederlage der Protestanten im Schmalkaldischen Krieg nach  England ausreisen. In Ostfriesland führte danach ein zweiter Abendmahlsstreit zur endgültigen Unterscheidung von lutherisch und reformiert geprägten Theologen. Zeitweise kam es sogar zu einer Trennung der Grafschaft unter den beiden  reformiert bzw. lutherisch geprägten Söhnen Johann und Edzard. Seit den 1550er Jahren wirkte sich der niederländische Freiheitskrieg auf die ostfriesischen Verhältnisse aus. Eine große Zahl täuferisch gesinnter Niederländer strömte ins  ostfriesische Exil und stärkte hier die Position der Reformierten. Der calvinistisch geprägte Emder Pastor Menso Alting (1541-1612) organisierte, unterstützt vom mitregierenden Graf Johann, seit 1575 als dritte prägende Kraft nach  Aportanus und a Lasco mit einer Coetusordnung (1576) die ostfriesischen Gemeinden in reformiertem Sinne. Eine auf diese Weise gestärkte Stadt konnte daraufhin 1595 in der „Emder Revolution“ eine weitgehende Unabhängigkeit als weitgehend  autonome calvinistische Stadtrepublik erringen – unterstützt durch den Übergang Groningens auf die staatische Seite im niederländischen Freiheitskampf und die Entsendung staatischer Truppen zur Rückenstärkung der Aufständischen nach Emden.  Als Ergebnis dieser Auseinandersetzung kam es 1603 zum Abschluss der Landesverträge, mit denen die Existenz zweier unterschiedlicher Konfessionen im Lande festgelegt wurde. Seitdem gab es kaum noch Veränderungen. In einparochialen  Gemeinden wurden einvernehmlich Zuzüge der anderen Konfession gegenseitig aufgenommen. Das war deshalb auch für die Gläubigen kein großes Problem, weil die Gottesdienstform bei beiden Konfessionen bis zum Zweiten Weltkrieg weitgehend  identisch war. Die Reformierten verzichteten nur auf Kerzen und Bilder. Auseinandersetzungen zwischen den Konfessionen waren in der Regel nicht durch die unterschiedlichen Glaubensinhalte bedingt, sondern durch die Verquickung von  religiösen mit eigentlich maßgeblichen politischen oder wirtschaftlichen Interessen.
Seit 1882 kam es - nach vor allem am Widerstand der Lutheraner gescheiterten Versuchen zur Bildung einer unierten Kirche – zur Gründung einer  "evangelisch-reformierten Kirche in der Provinz Hannover" unter der Leitung eines neu gebildeten reformierten Konsistoriums mit Sitz in Aurich. Zwischen 1922 bis 1925 bildet sich auf der Grundlage der Verfassung von 1882 die  "Evangelisch-reformierte Landeskirche der Provinz Hannover" mit einem Landeskirchenrat als Leitung. Die beiden großen ostfriesischen Kirchen unterscheiden vor allem die hierarchische Struktur, die bei den Lutheranern sehr viel  stärker ausgeprägt ist, während in der reformierten Kirche die Gemeinden sein sehr starke Position haben. Es gibt keine Sprengelorganisation. Ursprünglich fünf Synodalverbände wurden mittlerweile zu dreien zusammengefasst. Heute leben ca.  85.000 Reformierte im westlichen Ostfriesland.