Protokoll des Treffens der Arbeitsgruppe der Chronisten vom 24.03.2006 im Moormuseum in Wiesmoor
Dr. Karl-Heinz Frees, Wiesmoor. Der lange Weg vom Moor zur Blumenstadt
Referent: Dr. Karl-Heinz Frees
Prot.: Dr. P. Weßels
TOP 1:
Verschiedenes: Der Sprecher der Arbeitsgruppe teilte den Anwesenden mit, dass „Ossipedia“ als neues „Nebenprojekt“ der Arbeitsgruppe und der HOO bereits unter der Seite der Ortschronisten im Internet verfügbar ist. Die Bezeichnung soll trotz möglicher negativer Konnotationen zu dem Internetlexikon „Wikipedia“ beibehalten werden, weil sie einerseits gut auf den Inhalt verweist und andererseits alle anderen bisher vorgeschlagenen Titel („Vocabularium Ostfrisicum“, „Wörterbuch zur ostfriesischen Geschichte“ o.ä.) weniger griffig und prägnant erscheinen. Der Sprecher fordert alle Mitglieder des Arbeitskreises auf, das Glossar kritisch zu begutachten und gegebenenfalls Korrekturen und Ergänzungen anzubringen!
Herr Nassua weist auf die ausgesprochen guten Erfahrungen hin, die er mit der Lektorin Silke Bruns (erreichbar über das Staatsarchiv in Aurich) bei der Herausgabe seines Buches über die Geschichte der
Stadt Aurich nach 1945 gemacht hat.
TOP 2:
Die neue Wiesmoorchronik: Karl-Heinz Frees ist von Beruf Zahnarzt, mittlerweile im Ruhestand. Nach einer ersten Publikation über Wiesmoor von Hinrichs 1961 hat er 1988 selbst sein erstes Buch über Wiesmoor geschrieben. 1989 und 1996 folgten zwei Publikationen von Helmut Sanders. Dennoch gab es Forschungslücken, denn die zur Verfügung stehenden Archive waren noch nicht ausreichend genutzt. Karl-Heinz Frees hat für die Erstellung seines Buches über Wiesmoor viele Archive und Bibliotheken besucht. U.a. besuchte er das Geheime Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz in Berlin. Eine wichtige Fundgrube war auch der Dachboden des Rathauses in Wiesmoor. Die dort gelagerten Akten befinden sich mittlerweile im Staatsarchiv in Aurich. Die Erkenntnisse aus den Quellen wurden eingearbeitet und in fast 700 Endnoten nachgewiesen.
Das neue Wiesmoorbuch von Karl Heinz Frees (Wiesmoor. Der lange Weg vom Moor zur Blumenstadt, Wiesmoor: Eigenverlag, 2005, 368 S.) ist kein Verlagsprodukt, sondern wird als privat finanziertes Projekt im
Selbstverlag herausgegeben. Der Autor hat Lektorat und Layout selbst übernommen und das Buch mit einer Auflage von 1500 Stück bei Rautenberg in Leer drucken lassen. Der Preis beträgt 25,50€. Der größere Teil
der Bücher ist mittlerweile verkauft.
Das Buch setzt mit der Beschreibung der politischen, ökonomischen, sozialen und geographischen Entwicklung der Moorregion und der Muttergemeinden Wiesmoors ein. Die Erschließung des ostfriesischen
Zentralmoors kann als Höhepunkt der ostfriesischen Landeserschließung gelten. Bevor es jedoch zur maschinellen Abtorfung und weiteren Inwertsetzung durch Verstromung kommen konnte, gab es viele Versuche, die
Moorkultivierung auf althergebrachte Weise anzustellen. Unter preußischer Herrschaft nach 1744 und auch als Auswirkung der schlesischen Kriege zwischen 1740 und 1763 kam es zum Urbarmachungsedikt von 1765, mit
dem die intensivere Erschließung des Zentralmoors von den Rändern aus begann. Fehnkultur und Brandrodung mit Buchweizenanbau in der Peripherie Wiesmoors wurden jedoch ohne genügende Entwässerung und ohne
gezielten Wegebau vorgenommen, so dass die infrastrukturellen Voraussetzungen für Moorkolonatsgründungen schlecht waren und die Armut der Kolonisten im 19. Jahrhundert dementsprechend groß. An der Welle der
Emigration zwischen 1859 bis 1871 beteiligten sich auch die Einwohner der Moorkolonien rund um das Wiesmoor.
Die älteste der Muttergemeinden Wiesmoors ist Voßbarg (1787) westlich des Moores, die zweite auf der östlichen Seite ist Wiesederfehn (1796), die dritte Zwischenbergen (etwa 1810).
1840 kam es zur fast mittigen Unterteilungen des Zentralmoores durch die hannoversche Regierung in Auricher- und Friedeburger-Wiesmoor. Dieser Grenzlinie sollte später einmal der Nordgeorgsfehn-Kanal
folgen. Die preußische Verwaltung unterteilte die Flächen nach 1866 in Auricher Wiesmoor I, d.i. Aurich-Oldendorf, Kreismoor und Felde und Auricher-Wiesmoor II sowie Friedeburger Wiesmoor nördlicher und
südlicher Teil. 1878/79 wurden die heutigen Fehnorte Wilhelmsfehn I und II, sowie das Auricher Wiesmoor II gegründet, ermöglicht durch die Verlängerungen der Kanäle Großefehn und Spetzerfehn. Diese Gemeinden
erlitten aber schnell einen Bedeutungsverlust durch den Niedergang der bis dahin intensiv betriebenen Fehnschifffahrt. Als Aufgabe blieb die weitere Aufschließung des übrig gebliebenen Moorgebietes von fast
10000 ha vom Collrungermoor bis zum Stapelermoor im Uplengener Land.
1885 war eine Klinkerstraße anstelle des 1804 angelegten herrschaftlichen Weges von Voßbarg nach Wiesederfehn getreten. Mitte des 19. Jahrhunderts gründete man die sog. Zentralmoorkommission mit einer
wissenschaftlich arbeitenden Moorversuchsanstalt in Lilienthal, heute die Bodenforschungsstelle in Bremen. Diese entwickelte die „Deutsche Hochmoorkultur“ mit einer breitflächige Düngung des
nährstoffarmen Moores mit Kunstdünger: Der entwässerte Moorboden wurde belassen, stark bedüngt und das Getreide direkt in die Bunkerde eingesät. Die notwendige Entwässerung wurde hier durch den 1888 fertig
gestellten Ems-Jade-Kanal ermöglicht. Als Mustersiedlung – mit allerdings nur mäßigem Erfolg – wurde 1890 Marcardsmoor im Norden des noch vorhandenen Moores gegründet. Der Plan der Verfehnung bis
zur Grenze von Uplengen wurde auch wegen des misslungenen Versuchs in Marcardsmoor nicht durchgeführt. Neue Torfmaschinen (Kemna - Breßlau) und Stromerzeugungsmöglichkeiten (Siemens, Schuckert und Halske-
Berlin) führten ab 1899 zu Überlegungen der Gründung eines Kraftwerkes im Wiesmoor. Federführend war der Geheime Oberregierungsrat im Ministerium in Berlin Dr. Ramm, dem Rammsfehn seinen Namen zu verdanken
hat. Am 10. Juni 1906 begannen die ersten Arbeiter mit dem Ausheben eines Kanalbettes. Die Bauausführung des Kraftwerksgebäudes lag in Händen der Firma Boswau und Knauer aus Düsseldorf, später bei Arthur
Müller aus Berlin. Die Verträge zwischen dem Fiskus und den jetzt Siemens-Elektrischen Betrieben (SEB) wurden 1909 unterzeichnet. Nachfolger der SEB wurden die Nordwestdeutschen Kraftwerke (NWK). Das Moor blieb
zunächst Eigentum des Staates, wurde aber bis 1964 im Umfang von knapp 3000ha verkauft. Der Torfabbau für das Kraftwerk stieg von anfänglich 40000 Tonnen Torf jährlich (10000 kwh) auf 1952 136000 Tonnen (102
Mio. kwh). Das Wiesmoorer Werk war maßgeblich an der Elektrifizierung Ostfrieslands beteiligt. Die Überlandzentrale war an der Gesamtstromerzeugung der NWK in den 1920 bis 40er Jahren mit 35% beteiligt. 1960
waren es nur noch 3, 1%.
Strukturelle und politische Probleme während des Ersten Weltkriegs und Nachkriegszeit führten von 1923 bis 1925 Überlegungen, das Unternehmen stillzulegen. Von einer projektierten Siedlung von 100
Gartenbaubetrieben im nördlichen Teil des Friedeburger Wiesmoors waren nur vier Betriebe gebaut worden. Die SEB, die als Tochterunternehmen in die Preußen-Elektra NWK aufgegangen war, kaufte nun vom Fiskus die
Zentrale und das Moor und führte es selbständig weiter. Eine bedeutsame Entscheidung der NWK war 1925 der Bau einer großen Gewächshausanlage um auf neuartige Weise die Abwärme aus dem Kraftwerk zu nutzen. Die
Verknappung des Rohstoffs Torf und die schwindende Rentabilität des in Deutschland einzigartigen Kraftwerks führten 1965 zu seinem Abriss. Auch die Gemüsegärtnerei fand schon vor dem Abriss der
Überlandzentrale 1964 ihr Ende. Mit der Umstrukturierung zur Wiesmoor-Gärtnerei und Baumschul GmbH auf einer Fläche von 330 ha und 30ha Kulturfläche fand dieses Unternehmen, in dem heute noch 160 Mitarbeiter
beschäftigt werden, eine Fortsetzung. Über die Konzerne Veba und Eon ging das Unternehmen 2001 in die privaten Hände von fünf Kommanditisten über. Landwirtschaftliche Flächen im Umfang von 65ha wurden zur
heutigen Golf-Anlage.
1906 entstand der Gutsbezirk Wiesmoor, was als Geburtsstunde der Ortschaft Wiesmoor angesehen wird. Hier gab es zunächst 150 Einwohner. Entwässerung, Torfabbau und Verstromung waren immer nur mit
Fremdarbeitern zu bewältigen. Polnische Saisonarbeiter wurden über die 1905 entstandene „Deutsche Feldarbeiter Centralstelle“ in Berlin angeworben. Weitere Torfarbeiter waren Strafgefangene aus den
Gefängnissen Münster und Lingen. Für katholische Strafgefangene und polnische Saisonarbeiter wurde 1913 eine eigene Lagerkirche gebaut. Ab Beginn des Ersten Weltkriegs 1914 wurden auch 2400 Kriegsgefangene als
Torfarbeiter eingesetzt. Auch im Zweiten Weltkrieg wurden Kriegsgefangene n und Zwangsarbeiter in großem Umfang für die Arbeit des Torfgrabens eingesetzt.
Durch die Industrialisierung des Wiesmoors stieg die Einwohnerzahl bald auf fast 700 Personen. 1922 konnte nach der Auflösung der Gutsbezirke die politische Gemeinde Wiesmoor entstehen. Bis 1940 war der
Ort auf 1000 Personen angewachsen. 1951 kam es durch Eingliederung der Randgemeinden zur Bildung der ersten Großgemeinde mit knapp 5000 Einwohnern. 1972 erfolgte die Eingemeindung der ehemaligen
Muttergemeinden Wiesederfehn, Voßbarg und Zwischenbergen. In der Folge erhöhte sich die Einwohnerzahl auf 9700, heute sind es 13200.
Politisch waren die Randgemeinden Mullberg, Wiesederfehn, Marcardsmoor und Friedeburger Wiesmoor in der Weimarer Zeit stark rechtsradikal ausgerichtet, während Wiesmoor selbst als Industriestandort fest
sozialdemokratischer Hand war. Nach dem Zweiten Weltkrieg gab es in Wiesmoor 1946 unter 1474 Einwohnern 650 Flüchtlinge.
Der Verwaltungshaushalt der neu geschaffenen Großgemeinde belief sich 1952 auf 1,2 Mio. DM, kletterte 1981 auf 20 Mio. DM und lag im Jahr 2005 bei 15,2 Mio. Euro.
Ein wichtiges Standbein der Gemeinde Wiesmoor ist seit 1951 der Fremdenverkehr. Das Blütenfest und die Präsentation der hiesigen Flora in einer Ausstellungshalle und diverse Pflanzenschauen sind weit
überregional bekannt. Seit kurzem ist Wiesmoor im Besitz der Stadtrechte. Angestrebt wird seit langem die Anerkennung Wiesmoors zu einem Mittelzentrum.
Weitere Literatur zu Wiesmoor:
Frees, Karl-Heinz, Das große Wiesmoor : die Blumengemeinde Ostfrieslands, Norden 1987.
Hinrichs, Jan, Wiesmoor : Entstehung und Zukunft, (Schriften der Wirtschaftswissenschaftlichen Gesellschaft zum Studium Niedersachsens: Reihe E, Wirtschaftsmonographien ; 1), Hannover 1961.
Sanders, Helmut, Wiesmoor : seine Kultivierung und Besiedlung von den Randgemeinden aus Jever: Mettcker und Söhne, 1990.
Sanders, Helmut, Wiesmoor 1906-1996, Von der Überlandzentrale zum zentralen Ort, Wiesmoor Leer: Rautenberg, 1997.
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