|
Protokoll des Treffens am 15.07.05 im alten Lesesaal der Landschaftsbibliothek Aurich
Dr. Paul Weßels, Die jüdischen Arbeitslager im Landkreis Leer 1939
Anwesend: 20 Mitglieder der
AG
Referent: Dr. Paul Weßels
Protokoll: Dr. P. Weßels
TOP 1: Verschiedenes
Herr Heinrich Albers stellte in aller Kürze seine Ende 2003 erschienene Chronik Burlage
vor.
Herr Albers hat seit Jahren eng mit Michel Till Heinze aus Langholt zusammengearbeitet. 1998 stellte er die Chronik seines Heimatortes Bockhorst vor. Danach begann er mit der Arbeit an der Chronik
Burlage und benötigte fünf Jahre für die Veröffentlichung. Dabei wurde das Besondere der Geschichte des Ortes Burlage deutlich als Gemeinde in Randlage – an der Grenze zum katholischen Emsland und mit
einem großen Anteil katholischer Einwohner. Für die Recherche musste er auf die Archive von acht Kirchengemeinden beiderseits der Grenze zurückgreifen.
Jedes Haus in Burlage ist mit seinen Bewohnern
berücksichtigt,
Außerdem haben zu dem 848 Seiten umfassenden Band beigetragen:
Wilhelm Rülander: Geschichte der Ortschaft Burlage, Geschichte der Schulen in Burlage,
Hannes Schmees:
Kirchengeschichte Bockhorst/Neuburlage,
Johannes Block: Kirchengeschichte St. Bonifatius Westrhauderfehn, Schützenverein Burlage, Reina van Dieken: Evangelische Trinitatis Kirchengemeinde
Langholt,
Bernhard Ficken: Heimatbund, Windmühle, Sportverein, Gedichte,
Ingried Broich: Seniorenkreis Burlage, Arbeitskreisschule,
Sr. Theogardis: Kriegstagebuch.
Herr Albers hat, um
Kosten zu sparen, das Buch selber gesetzt und von der Caritas-Druckerei in Dinklage drucken lassen. Mit dem Ergebnis ist er sehr zufrieden. Das Buch wurde im Eigenverlag und auf eigene Kosten herausgegeben
– allerdings trat die Sparkasse Leer-Weener als Sponsor auf. 1500 Exemplare wurden gedruckt. Es hat sich sehr gut verkauft.
Die Mitglieder der Arbeitsgruppe wurden über die modifizierte Gliederung
der Lexikonartikel der HOO informiert.
Weitere Themenvorschläge für die Treffen: Arbeitstechniken, Lesekurse, Interviewtechniken, Rudolf Nassua, Von der NS-Gemeindeordnung zur demokratischen
Gemeindeordnung 1945 bis 1947.
TOP 2: Jüdische Arbeitslager im Landkreis Leer 1939
Von Mai bis November 1949 haben 243 jüdische Arbeiter aus Wien in fünf Arbeitslagern (Terheide,
Wiltshausen, Nüttermoor, Pogum, Hohegaste bei Leer) gelebt und im Zuge großer Meliorationsmaßnahmen an den Deichen von Leda, Jümme und Ems gearbeitet. Angesichts eines extremen Arbeitermangels in Deutschland
im Zuge der deutschen Aufrüstung, der auch im Landkreis Leer spürbar war, wurde schon 1938 überlegt, arbeitslose österreichische Juden in Ostfriesland einzusetzen. Nachdem man zwei Lager in mit jüdischen
Arbeitern in Neu-Lorup und in Buxtehude besichtigt hatte, entschied man sich, insgesamt 450 jüdische Arbeiter zu beantragen. Sie sollten nach Tarif bezahlt und verpflegt werden. Das Landesarbeitsamt gewährte
eine Unterstützung von 3 RM pro Tagewerk, um die erwartete geschätzte Minderleistung von 30% auszugleichen. Anfang Mai reisten drei Vertreter (der Regierung in Aurich, des Landkreises Leer und der Unternehmer)
nach Wien, um arbeitsfähige Juden auszusuchen. Es stellten sich weniger zur Verfügung als erwartet, 180 wurden ausgewählt, schließlich trafen mit dem begleiteten Transport aus Wien am 13. Mai 1939 nur 124 Mann
ein. Am 18. Juli 1939 kamen noch einmal weitere 124 jüdische Arbeiter aus Wien an. Neben den jüdischen Arbeitern konnte eine angemessene Zahl deutscher Facharbeiter weiterbeschäftigt werden. Die jüdischen Arbeiter
wurden abseits der Dörfer in einfachen Holzbaracken – nur in Terheide handelte es sich um eine gemauerte Kalksandsteinbaracke – untergebracht, konnten in der Regel selber kochen oder ihren
Speiseplan bestimmen und wurden durch dafür Beauftragte mit Lebensmittel und Sonstigem versorgt. Die Arbeiter waren weder bewacht noch eingesperrt. Sie waren auf die schwere Arbeit im ungewohnten Klima nicht
vorbereitet – es soll sich um Intellektuelle, Musiker, Bankiers etc. gehandelt haben– und hatten keine angemessene Kleidung. Das durchschnittliche Alter war mit 47 Jahren relativ hoch. Drei Viertel
der Arbeiter waren verheiratet. Die jüdischen Arbeiter erbrachten letztlich etwa 50% der Arbeitsleistung einheimischer Facharbeiter. Weil es Ärger mit den nach gleichem Tarif bezahlten einheimischen
Facharbeitern gab, wurde überlegt, einen „Judentarif“ einzuführen, dem sich aber zunächst der Treuhänder für Arbeit widersetzte. Später scheint dieser Tarif eingeführt worden zu sein.
Die Arbeiter
erhielten eine tariflich zugesicherte Heimfahrt im Sommer 1939, von der fünf Arbeiter nicht zurückkehrten. Durch vorzeitige Abreise vor allem wegen Erlaubnis zur Auswanderung oder wegen Krankheit reduzierte
sich die Zahl der Arbeiter sehr schnell – in den ersten zwei Monaten um 37%. Mit dem Kriegsausbruch verschärften sich die Arbeitsbedingungen und vorzeitige Abreisen wurden unterbunden. Die Lager wurden im
Oktober bis November 1939 aufgelöst. Elf Juden aus dem Lager Nüttermoor wurden danach im November und Dezember 1939 noch auf unbestimmte Zeit in einem neuen Lager, Hohegaste bei Leer, untergebracht, über das
nichts weiter bekannt ist. 20 weitere Arbeiter aus Terheide wurden nach Nienburg an der Weser geschickt. Unbekannt ist auch hier, für welche Arbeitsmaßnahme. Aber auch diese Juden kehrten später nach Wien
zurück. Die Deportation der Juden, die in Ostfriesland gearbeitet haben setzte am 15. Februar 1941 von Wien aus ein. Nur von wenigen ist bekannt, dass sie die Verfolgung überlebten.
Bei dem Einsatz der
jüdischen Arbeiter handelte es sich nicht um „Zwangsarbeit“ im heutigen Wortverständnis. Dagegen sprechen die Umstände des Arbeitseinsatzes. Aber die Tatsache, dass Wiener Intellektuelle sich den
Qualen der Arbeit im ostfriesischen Klei unterzogen, ist nur vor dem Hintergrund der Verfolgung der Juden im Nationalsozialismus zu erklären.
Literatur: Weßels, Paul, Die jüdischen Arbeitslager 1939 im
Landkreis Leer, in: Tota Frisia in Teilansichten. Hajo van Lengen zum 65. Geburtstag, hrsg. von Heinrich Schmidt u.a., Aurich 2005, S. 448-471.
|