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Ziegeleiwesen an Ems und Dollart
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Letzte Aktualisierung
am: 28.07.2017

Leitung:
Dr. Paul Weßels

Webmaster
H.-Jürgen Adams


 

 

Protokoll: Dr. P. Weßels

Referent: Dr. P. Weßels

 

Die Entwicklung des Ziegeleiwesens an Ems und Dollart vom Mittelalter bis ins 20. Jahrhundert

In Ostfriesland und in Groningen war die Ziegelherstellung zu  Beginn des 19. Jahrhunderts außerhalb der Städte die einzige nennenswerte „Industrie“. Wenn man den Raum um Ems und Dollart als einen gemeinschaftlichen Wirtschaftsraum begreift, gab es um 1890 hier etwa 140 Ziegelwerke mit schätzungsweise  1500 bis 2000 Beschäftigten.

Die Ems-Dollart-Ziegeleien bilden eine geschlossene Ziegeleiregion, weil sie in einem geologisch einheitlich strukturiertem Raum liegen, Marschenklei als Rohstoff und Weißtorf aus den nahe liegenden  großen Mooren als Brennstoff in Deutschen Öfen nutzten. Die Beziehung von Torf- und Ziegeleiwirtschaft besaß einen fast symbiotischen Charakter, weil der Ziegelbrand mit dem ansonsten schwer verkäuflichem, billigen Weißtorf vor sich ging.

Der Ems-Dollart-Raum ist nicht das größte und nicht das älteste Ziegel-Produktionsgebiet im Nordseeküstenraum. Die niederländischen Provinzen Holland und Friesland waren bedeutender. Im Verhältnis der beiden Gebiete am Dollart  zueinander war Ostfriesland bis in die Mitte des 20. Jahrhunderts immer das bedeutendere. Die Entwicklung des Ziegeleiwesens am Dollart war eigenständig. Es gab weder in Deutschland eine Anbindung an andere Regionen noch eine der Groninger  Ziegelindustrie an die wirtschaftlich viel bedeutenderen südlichen Ziegeleiregionen an Maas und Rhein, in Holland und Friesland. Die Lipper Wanderziegler schließlich fassten die Ziegeleien beiderseits der Grenze in dem sog. „ersten Lipper  Botendistrikt“ zusammen.

Marschenziegelei bilden einen Sondertyp: Wesentliche Charakteristika sind die unmittelbare Nähe zum Wasser, der Marschenklei als Rohmaterial, der sich durch eine schwierige Bearbeitung bei Trocknung und  Brand auszeichnet und dadurch für die Feldbrandziegelei ungeeignet ist. Er wird deshalb schon lange im vollständig vom Ofenhaus eingeschlossenen Deutschen Ofen gebrannt. Die Trockenschuppen sind außen mit Klappen zur besseren Regulierung  des Luftzugs versehenen.

 

Im Mittelalter hatte das Ziegeleiwesen auf deutscher und niederländischer Seite die gleichen Wurzeln in den christlichen Orden der Zisterzienser, Benediktiner und Prämonstratenser. Der  Backsteinbau begann in Ostfriesland um 1200, in Groningen etwas früher. Die Einführung der neuen Baumaterialien führte aber noch nicht zu einer zügigen „Versteinerung“ der Region. Backsteine waren bis weit in die Neuzeit für Profanbauten  zu kostspielig. Vollständig und endgültig setzte sich der Ziegel erst Mitte des 19. Jahrhunderts gegenüber Holzbauweise und weicher Bedachung durch. Die Entwicklung Groningens zu einer wohlhabenden Stadt im 15. Jahrhundert und insbesondere  der Aufstieg Emdens zu einer überregional bedeutenden Seehandelsstadt im 16. Jahrhundert mit der Einführung des kleineren niederländischen Formats verbunden mit vermehrtem Torfabbau und Entwicklung des Fehnwesens seit dem 17. Jahrhundert  ließen das Ziegeleiwesen am Dollart aufblühen. Der Ziegelstein wurde zum beliebten Schiffsballast der Handelsschifffahrt und damit zum Exportgut. Ausfuhrgebiete waren die Nordseeküste von Bremen über Hamburg nach Dänemark und insbesondere  der Ostseeraum bis nach Russland. Die Exportquote der Rheiderländer Ziegeleien lag zwischen 50 bis 90 Prozent. Im Zusammenhang mit diesem Aufstieg der Ziegelindustrie entwickelte sich das Lipper Wanderzieglerwesen als dauerhafte und  ausschließliche Arbeitsorganisation für den Bereich Ostfriesland und Groningen.

Insbesondere gegen Ende des 18. Jahrhunderts stieg die Zahl der Werke stark an. Die Preußische Wirtschaftspolitik der Peuplierung mit der Gründung von  Kolonien sowie die preußische Neutralitätspolitik im Konflikt Napoleons mit England brachten eine verstärkte Nachfrage. Danach erfolgte ein Einbruch der Konjunktur und eine Stagnation bis ca. 1840. 1814 gab es in Ostfriesland 60  Ziegeleien, 28 in Groningen. Dann entwickelte sich von ca. 1840 bis 1870 ein neuer Boom: Bei allgemein anziehender Konjunktur wurden insbesondere Klinker für den Straßen- und Wasserbau und Ziegelsteine für den Neubau der Eisenbahnstrecken,  den Wiederaufbau Hamburgs nach dem Brand von 1842 sowie den Neuaufbau Wilhelmshavens ab 1856 bzw. 1863 benötigt. Groningen konnte stärker profitieren und von 1840 bis 1880 die Zahl der Ziegelwerke von etwa 30 auf 60 verdoppeln. Der  Höhepunkt der Zahl Ziegelwerke wurde hier 1881 erreicht

In Ostfriesland entwickelten sich die Kleiregionen schwächer als die Klinkerwerke auf der Geest. Die Zahl der Werke stieg um ein Drittel von 60 auf 80. Die Entwicklungen in  Groningen und Ostfriesland wurden jetzt jeweils sehr viel stärker in die nationale Wirtschaft eingebunden (Schutzzölle). Neu war deshalb der Konkurrenzgedanke zwischen den Regionen.

Allein im Niederrheiderland existierten zwischen  Coldam und Ditzum 1893 gleichzeitig 27 Betriebe, doch trotz der positiven wirtschaftlichen Entwicklung wurden Ostfriesland und Groningen durch den Ausbau von Straße und Bahn immer mehr in eine wirtschaftliche Randlage gedrängt, die sich  letztlich auch negativ auf die weitere Entwicklung der Ziegeleien auswirken musste. Der Markt reichte in dieser Gegend nicht für die Entwicklung zu einer echten Großindustrie aus. Die im letzen Viertel des 19. Jahrhunderts einsetzende  Krise brachte in Ostfriesland ab 1872 die Einführung industrieller Techniken mit Dampfmaschine und Ringofen mit sich. Zu Beginn der achtziger Jahre führte die Krise dazu, dass nur Maschinenziegeleien mit Dampfkraft und Ringofen sich als  überlebensfähig erwiesen. In Ostfriesland und Groningen kam es zu einer radikalen Reduzierung der Werke bis zum Ende des Ersten Weltkriegs.

Groningen hatte sich aber seit der Mitte des 19 Jahrhunderts technischen Neuerungen weiter  geöffnet. Hier war die Dampfmaschine nicht zwingend mit der Errichtung eines Ringofens verbunden. Aber auch hier konnten bis zum Ende des Ersten Weltkriegs nur Ziegeleien mit Ring- und Zickzacköfen überleben. Allein in Groningen wurden in  zweiten Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts 23 Ziegeleien stillgelegt. Seitdem ist die Zahl der Ziegelwerke beiderseits des Dollart ständig zurückgegangen. 1949 war der Stand mit je 26 Ziegeleien in Ostfriesland und Groningen angeglichen

Das letzte große Ziegeleisterben des 20. Jahrhunderts begann in der Phase der Hochkonjunktur in den fünfziger Jahren. Die starke Konkurrenz und Arbeitskräftemangel erzwangen kapitalintensive Rationalisierungsmaßnahmen, die für die durch  Standortnachteile gekennzeichneten ostfriesischen und Groninger Ziegeleien ein gravierendes Hindernis darstellten. In den sechziger Jahren sind allein in Groningen 14 Werke eingegangen. Nur Ziegeleien mit Tunnelöfen erwiesen sich als  konkurrenzfähig. 1960 wurde der erste Tunnelofen in Winsum, 1964 ein zweiter in Jemgum errichtet. Die Ölkrise 1972 bedeutete einen weiteren Todesstoß für die Ziegelwerke. Heute wird im Ems-Dollart-Raum nur noch in vier Werken produziert:  bei Strating in Oude Pekela in den Niederlanden, bei Reins im Jemgum, bei Kaufmann in Nenndorf und in den Klinkerwerken Neuschoo.