Protokoll: Dr. P. Weßels
Referent: Dr. P. Weßels
Die Entwicklung des Ziegeleiwesens an Ems und Dollart vom Mittelalter bis ins 20. Jahrhundert
In Ostfriesland und in Groningen war
die Ziegelherstellung zu Beginn des 19. Jahrhunderts außerhalb der Städte die einzige nennenswerte „Industrie“. Wenn man den Raum um Ems und Dollart als einen gemeinschaftlichen Wirtschaftsraum begreift,
gab es um 1890 hier etwa 140 Ziegelwerke mit schätzungsweise 1500 bis 2000 Beschäftigten.
Die Ems-Dollart-Ziegeleien bilden eine geschlossene Ziegeleiregion, weil sie in einem geologisch einheitlich
strukturiertem Raum liegen, Marschenklei als Rohstoff und Weißtorf aus den nahe liegenden großen Mooren als Brennstoff in Deutschen Öfen nutzten. Die Beziehung von Torf- und Ziegeleiwirtschaft besaß einen fast
symbiotischen Charakter, weil der Ziegelbrand mit dem ansonsten schwer verkäuflichem, billigen Weißtorf vor sich ging.
Der Ems-Dollart-Raum ist nicht das größte und nicht das älteste Ziegel-Produktionsgebiet
im Nordseeküstenraum. Die niederländischen Provinzen Holland und Friesland waren bedeutender. Im Verhältnis der beiden Gebiete am Dollart zueinander war Ostfriesland bis in die Mitte des 20. Jahrhunderts immer
das bedeutendere. Die Entwicklung des Ziegeleiwesens am Dollart war eigenständig. Es gab weder in Deutschland eine Anbindung an andere Regionen noch eine der Groninger Ziegelindustrie an die wirtschaftlich
viel bedeutenderen südlichen Ziegeleiregionen an Maas und Rhein, in Holland und Friesland. Die Lipper Wanderziegler schließlich fassten die Ziegeleien beiderseits der Grenze in dem sog. „ersten Lipper
Botendistrikt“ zusammen.
Marschenziegelei bilden einen Sondertyp: Wesentliche Charakteristika sind die unmittelbare Nähe zum Wasser, der Marschenklei als Rohmaterial, der sich durch eine schwierige
Bearbeitung bei Trocknung und Brand auszeichnet und dadurch für die Feldbrandziegelei ungeeignet ist. Er wird deshalb schon lange im vollständig vom Ofenhaus eingeschlossenen Deutschen Ofen gebrannt. Die
Trockenschuppen sind außen mit Klappen zur besseren Regulierung des Luftzugs versehenen.
Im Mittelalter hatte das Ziegeleiwesen auf deutscher und niederländischer Seite die gleichen
Wurzeln in den christlichen Orden der Zisterzienser, Benediktiner und Prämonstratenser. Der Backsteinbau begann in Ostfriesland um 1200, in Groningen etwas früher. Die Einführung der neuen Baumaterialien
führte aber noch nicht zu einer zügigen „Versteinerung“ der Region. Backsteine waren bis weit in die Neuzeit für Profanbauten zu kostspielig. Vollständig und endgültig setzte sich der Ziegel erst Mitte
des 19. Jahrhunderts gegenüber Holzbauweise und weicher Bedachung durch. Die Entwicklung Groningens zu einer wohlhabenden Stadt im 15. Jahrhundert und insbesondere der Aufstieg Emdens zu einer überregional
bedeutenden Seehandelsstadt im 16. Jahrhundert mit der Einführung des kleineren niederländischen Formats verbunden mit vermehrtem Torfabbau und Entwicklung des Fehnwesens seit dem 17. Jahrhundert ließen das
Ziegeleiwesen am Dollart aufblühen. Der Ziegelstein wurde zum beliebten Schiffsballast der Handelsschifffahrt und damit zum Exportgut. Ausfuhrgebiete waren die Nordseeküste von Bremen über Hamburg nach Dänemark und
insbesondere der Ostseeraum bis nach Russland. Die Exportquote der Rheiderländer Ziegeleien lag zwischen 50 bis 90 Prozent. Im Zusammenhang mit diesem Aufstieg der Ziegelindustrie entwickelte sich das Lipper
Wanderzieglerwesen als dauerhafte und ausschließliche Arbeitsorganisation für den Bereich Ostfriesland und Groningen.
Insbesondere gegen Ende des 18. Jahrhunderts stieg die Zahl der Werke stark an. Die
Preußische Wirtschaftspolitik der Peuplierung mit der Gründung von Kolonien sowie die preußische Neutralitätspolitik im Konflikt Napoleons mit England brachten eine verstärkte Nachfrage. Danach erfolgte ein
Einbruch der Konjunktur und eine Stagnation bis ca. 1840. 1814 gab es in Ostfriesland 60 Ziegeleien, 28 in Groningen. Dann entwickelte sich von ca. 1840 bis 1870 ein neuer Boom: Bei allgemein anziehender
Konjunktur wurden insbesondere Klinker für den Straßen- und Wasserbau und Ziegelsteine für den Neubau der Eisenbahnstrecken, den Wiederaufbau Hamburgs nach dem Brand von 1842 sowie den Neuaufbau Wilhelmshavens
ab 1856 bzw. 1863 benötigt. Groningen konnte stärker profitieren und von 1840 bis 1880 die Zahl der Ziegelwerke von etwa 30 auf 60 verdoppeln. Der Höhepunkt der Zahl Ziegelwerke wurde hier 1881
erreicht
In Ostfriesland entwickelten sich die Kleiregionen schwächer als die Klinkerwerke auf der Geest. Die Zahl der Werke stieg um ein Drittel von 60 auf 80. Die Entwicklungen in Groningen und
Ostfriesland wurden jetzt jeweils sehr viel stärker in die nationale Wirtschaft eingebunden (Schutzzölle). Neu war deshalb der Konkurrenzgedanke zwischen den Regionen.
Allein im Niederrheiderland existierten
zwischen Coldam und Ditzum 1893 gleichzeitig 27 Betriebe, doch trotz der positiven wirtschaftlichen Entwicklung wurden Ostfriesland und Groningen durch den Ausbau von Straße und Bahn immer mehr in eine
wirtschaftliche Randlage gedrängt, die sich letztlich auch negativ auf die weitere Entwicklung der Ziegeleien auswirken musste. Der Markt reichte in dieser Gegend nicht für die Entwicklung zu einer echten
Großindustrie aus. Die im letzen Viertel des 19. Jahrhunderts einsetzende Krise brachte in Ostfriesland ab 1872 die Einführung industrieller Techniken mit Dampfmaschine und Ringofen mit sich. Zu Beginn der
achtziger Jahre führte die Krise dazu, dass nur Maschinenziegeleien mit Dampfkraft und Ringofen sich als überlebensfähig erwiesen. In Ostfriesland und Groningen kam es zu einer radikalen Reduzierung der Werke
bis zum Ende des Ersten Weltkriegs.
Groningen hatte sich aber seit der Mitte des 19 Jahrhunderts technischen Neuerungen weiter geöffnet. Hier war die Dampfmaschine nicht zwingend mit der Errichtung
eines Ringofens verbunden. Aber auch hier konnten bis zum Ende des Ersten Weltkriegs nur Ziegeleien mit Ring- und Zickzacköfen überleben. Allein in Groningen wurden in zweiten Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts 23
Ziegeleien stillgelegt. Seitdem ist die Zahl der Ziegelwerke beiderseits des Dollart ständig zurückgegangen. 1949 war der Stand mit je 26 Ziegeleien in Ostfriesland und Groningen angeglichen
Das letzte große
Ziegeleisterben des 20. Jahrhunderts begann in der Phase der Hochkonjunktur in den fünfziger Jahren. Die starke Konkurrenz und Arbeitskräftemangel erzwangen kapitalintensive Rationalisierungsmaßnahmen, die für die
durch Standortnachteile gekennzeichneten ostfriesischen und Groninger Ziegeleien ein gravierendes Hindernis darstellten. In den sechziger Jahren sind allein in Groningen 14 Werke eingegangen. Nur Ziegeleien
mit Tunnelöfen erwiesen sich als konkurrenzfähig. 1960 wurde der erste Tunnelofen in Winsum, 1964 ein zweiter in Jemgum errichtet. Die Ölkrise 1972 bedeutete einen weiteren Todesstoß für die Ziegelwerke. Heute
wird im Ems-Dollart-Raum nur noch in vier Werken produziert: bei Strating in Oude Pekela in den Niederlanden, bei Reins im Jemgum, bei Kaufmann in Nenndorf und in den Klinkerwerken Neuschoo.
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