Protokoll der Sitzung der Arbeitsgruppe der Chronisten vom 19.04.2002 im alten Lesesaal der Landschaftsbibliothek in Aurich
Anwesend: 19 Personen, Protokoll Dr. P. Weßels
Referentin: Dr.
Katharina Hoffmann
TOP 1: Verschiedenes
Freerk van Lessen wies darauf hin, dass der Ergänzungsband des van-Lessen-Familienbuchs herausgekommen ist: Hermann van Lessen, Die Familie van Lessen. Nachtrag
1993-2001, hrgg.v. Familienverband van Lessen, Leer 2002, (15.- ¬, zu beziehen über Freerk van Lessen, Bingum).
Es wurde auf einen Vortrag von Dr. Weßels am 23.4.02 um 19.30 in der VHS Leer über die
Deutschen Christen bei den Reformierten in Ostfriesland hingewiesen.
Die neue Chronik Schwerinsdorf von Dr. Joachim Tautz und Astrid Parisius wird am 7. Mai um 20 Uhr in der Gaststätte „Goldener Stern“
der Öffentlichkeit vorgestellt.
TOP 2: Zwangsarbeit
Frau Dr. Katharina Hoffmann hat ihre Doktorarbeit über Zwangsarbeit in Oldenburg geschrieben. Der erste Teil ist als Buch veröffentlicht worden
(Zwangsarbeit und ihre gesellschaftliche Akzeptanz in Oldenburg 1939 – 1945 (Veröffentlichung des Stadtarchivs Oldenburg Band 5) Oldenburg (Isensee Verlag) 2001), der zweite Teil besteht aus Interviews.
Beide Teile zusammen stehen auch im Internet. Außerdem hat Frau Hoffmann eine Dokumentation über Zwangsarbeit im Landkreis Harburg erstellt, die allgemeine und grundlegende Informationen zu dem Thema enthält
und im Internet unter der Adresse http://borg.informatik.uni-oldenburg.de/Hoffmann/index.html zu finden ist.
Die Entschädigungsfrage hat die Zwangsarbeit für eine Zeit in das öffentliche Bewusstsein
gerückt. Es gibt mittlerweile viele Studien über Zwangsarbeit, aber in der breiten Öffentlichkeit existiert es nur ein geringes Grundwissen, und es herrscht ein wenig differenziertes Bild vor.
Ein Problem
im Umgang mit Informationen über Zwangsarbeiter ist immer die richtige Zuordnung: Handelt es sich um einen Zwangsarbeiter, Kriegsgefangenen, KZ-Insassen oder um einen arbeitsfreiwilligen Ausländer, wie sie
insbesondere gegen Kriegsende häufiger vorkamen, um nichtdeutsche Flüchtlinge oder etwa um Flüchtlinge aus den baltischen Ländern? Diese Frage ist häufig nicht eindeutig zu klären.
Die Situation der
Zwangsarbeiter in der Landwirtschaft ist zwiespältig zu beurteilen. Einerseits waren sie in der Regel besser ernährt als Zwangsarbeiter in der Industrie, andererseits unterlagen sie einer größeren sozialen
Kontrolle, waren stärker ortsgebunden, und auch auf dem Land waren öffentliche Hinrichtungen wegen sexueller Kontakte möglich.
Im Prinzip gibt eine Fülle möglicher Quellen zur Geschichte der
Zwangsarbeit. Der einzelne Zwangsarbeiter musste verschiedene Stationen durchlaufen, und zu jeder dieser Stationen sollte es schriftliche Unterlagen geben.
Wichtige Quellen finden sich
in:
-überregionalen Archiven: Im Bundesarchiv in Berlin-Licherfelde (http://www.bundesarchiv.de) z.B. die Reichsbetriebskartei mit Arbeiterverzeichnissen von Wehrwirtschaftsbetrieben
-in den
mittleren Behörden, den Staatsarchiven: für Ostfriesland ist Aurich zuständig. In Bremen finden z.B. Evakuierungspläne, die auch Ostfriesland und die dortigen Zwangsarbeiter betreffen. Ansonsten: Lageberichte
der Landräte ab Sommer 1940, Prozessakten, Tagesmeldungen der Gestapo von Juli 1940 bis September 1943, Gefangenenbücher der Gerichtsgefängnisse etc.
-der Zentralnachweis der Landeszentrale für politische
Bildung (http://www.nlpb.de/) hat Hinweise auf Quellen vor Ort bietet außerdem Kopien von Quellen aus internationalen Archiven
-Die „Auskunftsstelle für ehemalige Wehrmachtsangehörige“ bietet
möglicherweise Auskunft, wenn man Namen einzelner Zwangsarbeiter kennt
-In Kommunalarchiven lassen Zwangsarbeiter evtl. über die Melderegister, Standesamtsbücher o.ä. feststellen. (Es gibt
Überlieferungsprobleme durch die Gemeindereform.) Kommunen waren für Ernährung, Überwachung und Unterkunft der Zwangsarbeiter zuständig. Deshalb gibt es hier oft Spuren. Bauämter mussten Wohnanlagen bzw.
Barackenlager genehmigen.
-Die Arbeitsämter waren verantwortlich für Durchgangslager und waren tangiert bei Arbeitsvertragsbrüchen durch Zwangsarbeiter, bei Krankheiten, Arztrechnungen
o.ä.
-Krankenhausarchive können evtl. Auskunft über erkrankte Zwangsarbeiter geben. (Psychisch kranke Zwangsarbeiter müssten entweder nach Weenen oder Osnabrück gebracht worden sein.) Allerdings sind
die Unterlagen aus Krankenhäusern häufig nicht mehr vorhanden.
-Die Bandkassen verzeichneten neu errichtete Barackenlager.
-Kirchengemeinden haben in ihren Archiven die Pastorenchroniken, die
Sterbe- bzw. Friedhofsregister und evtl. Informationen über von ihnen selbst beschäftigte Zwangsarbeiter.
-Schulchroniken können evtl. allgemeine Auskunft über die Situation von Zwangsarbeitern
geben.
-Hebekarteien oder Versichertenkarteien von Krankenkassen sind von großer Bedeutung. Bei Landarbeitern kann man sich an die Landesversicherungsanstalten wenden, wenn man Namen von Zwangsarbeitern
hat.
-Regionale Zeitungen berichten über die Einstellung gegenüber Zwangsarbeitern vor Ort. Über das Ausmaß der Zwangsarbeit gibt das statistische Mitteilungsblatt des Gau-Arbeitsamts Weser-Ems
Auskunft. (Das liegt im Staatsarchiv Bremen vor, kann aber auch aus Bibliotheken über Fernleihe bestellt werden.)
-In Arolsen sind nach Kriegsende zentral Suchlisten archiviert worden, die nach dem Ende
des Zweiten Weltkriegs im Auftrag der Alliierten erstellt wurden, um Suchaktionen nach vermissten Ausländern zu erleichtern. Das Archiv in Arolsen ist aber nicht zugänglich.
-Zeitzeugeninterviews sind
wertvoll trotz des mangelhaften Quellencharakters. Die Interviews ermöglichen auch oft einen Zugang zu Quellen und Materialien in Privatbesitz.
Dr. Wessels wies darauf hin, dass im
Niedersächsischen Staatsarchiv in Aurich zur Zeit eine Dokumentation Widerstand und Verfolgung im Nationalsozialismus in Ostfriesland erstellt wird, zu der auch eine Zusammenstellung der erreichbaren Namen von
Zwangsarbeitern gehört. Unter bestimmten Voraussetzungen kann diese Liste auch für Ortschroniken zugänglich gemacht werden.
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