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Arbeitsgruppe der Ortschronisten der Ostfriesischen Landschaft


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Grabkultur auf dem ostfriesischen Dorf
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am: 28.07.2017

Leitung:
Dr. Paul Weßels

Webmaster
H.-Jürgen Adams


 

 

Protokoll der Sitzung des Arbeitskreises ostfriesischer Chronisten vom 17.10.1997 auf dem Friedhof von Westeraccum und im Dorfgemeinschaftshaus Fulkum

Thema der Sitzung: Grabkultur auf dem ostfriesischen Dorf

Referent: Heino Albers

In Westeraccum bot sich den Mitgliedern des Arbeitskreises nicht nur die Gelegenheit, den Friedhof selbst zu besichtigen, sondern auch die Kirche. Der schöne Bau mit noch erhaltenem hochmittelalterlichen Chor  ist geprägt durch einen Baustil im Übergang von der Romanik zur Gotik. Im Innern ist vor allem die aus dem 17. Jahrhundert stammende Kanzel erwähnens­wert, die an einem – allerdings nur noch fragmentarisch erhaltenen - Portal die  Reformatoren Hus und Luther gemeinsam zeigt. Der Kirchhof von Westeraccum besitzt eine östlichen Friesland in dieser Zahl nicht mehr vorhandene Häufung von Grabsteinen von Kapitänen.

Nach der Besichtigung von Friedhof und Kirche  begaben sich die Mitglieder des Arbeitskrei­ses in das Dorfgemeinschaftshaus von Fulkum, wo Herr Cassens zu Tee und Kuchen eingela­den hatte.

Herr Albers setzte seinen Vortrag - unterstützt von Dias – fort:

Die Grabkultur  hatte in Ostfriesland im 17. und 18. Jahrhundert einen sehr hohen Grad er­reicht und braucht den Vergleich mit anderen Regionen nicht zu scheuen. Dennoch finden Friedhöfe in Ortschroniken nur sehr selten Erwähnung. Das Thema des Todes wird  in der moderne Gesellschaft generell tabuisiert.

1972 wurde die Friedhofsordnung geändert. Grabstellen sind seitdem kein Eigentum mehr und müssen für begrenzte Zeiträume wiedergekauft werden. Seitdem wurden ganze Friedhöfe  abgeräumt. Gräber sind teuer. In Wilhelmshaven kostet ein Einzelgrab 360 DM. Große Grä­ber werden nicht mehr gekauft. Ehemalige Eigentümer erheben keinen Anspruch mehr auf die alten Grabsteine. Viele alte Steine werden zerstört oder wieder  neu verarbeitet. Die Fried­höfe verwahrlosen. Der Trend in den großen Städten geht zur Urnenbestattung (55 %). Ein großer Teil der Gräber ist mittlerweile anonym (35 %). Alte Gebräuche und Rituale geraten deshalb in Vergessenheit.

Ortschroniken sollten helfen, den kulturellen Wert des örtlichen Todesackers ins Bewußtsein zu rücken und damit dazu beitragen, daß die alten Stelen der Friedhöfe erhalten bleiben.

Der kulturelle Wert der Friedhöfe wird nicht  er­kannt, obwohl auch die Friedhöfe häufig aus der Zeit der Kirchen­gründungen stammen, so z.B. in Schortens aus dem 13. Jahrhundert. Friedhöfe bilden einen wichtigen Teil der Ortsgeschichte. Häufig sind z.B. Hausmarken auf den Grabsteinen  abgebildet. Dennoch fehlt die systematische wissenschaftliche Aufarbeitung. Eine gewisse Ausnahme bildet hier Edo Pannenberg, der 169 ostfriesische Friedhöfe nach Hausmarken untersuchte. Die Hausmarken auf Grabsteinen des Jeverlandes und  des Olden­burger Landes sind aber nicht erfaßt. (Der Davidsstern wird häufig auch in ostfriesischen Hausmarken verwendet, gilt erst seit dem Ende des 19. Jahrhunderts als Symbol des Juden­tums.)Auf den Steinen findet sich auch häufiger die  trauernde Familie dargestellt, wobei schon verstorbene Mitglieder schwächer abgebildet sein können. In Verbindung mit abgebil­deten Hausmarken könne die Steine also wichtige Auskünfte über die Familiengeschichte geben. (Es kam auch vor,  daß Grabsteine schon zu Lebzeiten aufgestellt wurden und es dann später versäumt wurde, die Todesdaten der Verstorbenen nachzutragen.)

Die Lage der Gräber auf dem Friedhof spiegelt die soziale Stellung einer Familie innerhalb der  dörflichen Gemeinschaft wider. Je näher die Grablege östlich am Chor der Kirche gelegen war, um so bedeutender war die Familie innerhalb der Gemein­schaft, denn die größere Nähe zu den Reliquien der Kirche versprach größeres Heil für die  Toten.

Die Größe der Stelen war sehr unterschiedlich, von 30 cm bis zu 3,5 Meter Höhe (in diesem Fall etwa 1 m im Erdboden) und einem Gewicht von bis zu 20 Tonnen. Die Befestigung der Stelen erfolgte häufig durch im Erdboden  entgegengesetzt zur Aus­richtung des Steins durch­gezogene Kanthölzer. Die Sandsteine wurden importiert. Im Emsmündungsbereich herrschte der Bent­heimer Sandstein vor. Dieser war nicht so haltbar wie der Oberkirchener Sandstein, der in der  Küstenregion häufiger verwandt wurde. Er stammte aus den Bückebergen und wurde auch grauer Bremer Sandstein genannt, weil er über Bremen eingeführt wurde. Dort wurde er vielfach bereits vorgearbeitet oder sogar komplett gefertigt. Dann  wurden die Steine über die Weser in den gesamten norddeutschen Küstenraum exportiert. Im Olden­burger Raum wurden noch 436 Stelen erfaßt, in Ostfriesland 40. Ursprünglich waren diese Steine aber viel verbreiteter. Im Oldenburger Land sind  weniger entfernt worden. Kunststein kam in Ostfries­land erstmals um 1800 auf. Eiserne Grabkreuze im ersten Viertel des 19. Jahrhunderts. Sie waren ein Ergebnis der Umstellung der napoleonischen Rüstungsindustrie auf zivile Bereiche. Auch  die gußeisernen Kreuze waren häufig mit Symbolen versehen.

Es gab aber keine Massenfertigung identischer Steine. Kein Stein gleicht dem anderen. Die Symbolik der ältesten Steine aus dem 16. bis 17. Jahrhundert schließt oft an die  Geisteswelt des Mittelalters an. Es gibt eine feste Symbolsprache, in der z.B. die Zahlen drei (göttliche Dreieinigkeit) vier (die irdischen vier Elemente) und sieben (das Universum als Summe des Göttlichen und Irdischen) eine wichtige  Rolle spielen.

Alten Grabsteine waren häufig dreigeteilt und symbolisierten mit ihren drei Elementen die Dreifaltigkeit Gottes oder Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft.

Symbole auf Grabsteinen:

-Engel, Cherubine, zeigen die Verbundenheit zum Paradies.

-Paradiesvögel verweisen gleichfalls auf das Paradies.

-Uhr, Standuhr Stundenglas, oft mit Anzeige der Todeszeit als Symbol der Endlichkeit des Seins

-Drei Kugeln als Lebenskugeln.

-Brennendes Herz oder Vögel als Zeichen des Fluges der Seele zu Gott.

-Gottesauge als Zeichen der Allmacht Gottes.

-die vier Evangelisten mit ihren Attributen.

-Das Motiv des  Lebetots wurde nur fünf Mal gefunden (z.B. junge Frau mit Lebensbaum und Sensenmann).

-Auferstehungsszene als Zeichen der Hoffnung aus das Jenseits.

-Totenköpfe mit Putten oder Getreide als Zeichen des Lebens aus dem Tode.

-Jakobsmuschel als Zeichen der Reinigung oder der Pilgerschaft.

-Schale mit Seifenblasen als Zeichen der Flüchtigkeit des irdischen Lebens.

-Schlange als Symbol der Weisheit und des ewigen Lebens (Kreis, bei dem sich die  Schlange selbst in das Schwanzende beißt).

-Schmetterling oder überhaupt Insekten als Zeichen der Ver- oder Umwandlung des einen Lebens in ein anderes.

-Häufig die Kombination von Anker, Kreuz und Herz als Zeichen für Glaube, Liebe, Hoff­nung.

-Schiffe – oft wahrheitsgetreu abgebildet, auf Kapitänsgräbern.

-Palmwedel als Symbol des Sieges über den Tod und den Einzug ins Paradies.

-Efeu als Zeichen der Treue.

-Lebensbaum.

-Rose = Liebe, in der jüdischen Symbolik die gebrochene Rose als Zeichen für den Tod einer jungen,  unverheirateten Jüdin

-Weltkugel

-Lorbeerkranz

-Fackel nach unten: Leben erloschen

-Sichel mit abgeschnittenen Ähren Zeichen des vollendeten Lebens

-Einhorn als Symbol der Reinheit oder Jungfräulichkeit

-Krug als Reinigungssymbol

-Segnende Hand Gottes

-"Seelenloch" zum Entweichen der Seele

Verwendung der Symbolik war auch zeitgebunden. So kamen erst z.B. mit dem Einzug der Aufklärung in Ostfriesland  im späten 18. Jahrhundert die Motive von Urnen, Säulen und Früchten auf die Grabsteine.

Eine Besonderheit stellten auch die Totenpfähle dar, die an den Gräbern im Andenken für Verschollene aufgestellt wurden, häufig geschmückt mit  einem Kopf und einer Taube. Zuletzt wurde so ein Pfahl in Elsfleth gesehen. Eine andere Besonderheit im Emsmündungsbereich das Totenheck, ein etwa einen Meter hohes Holzgestell über dem Grab mit Totendecke oder Totenlaken. Das Gestell  blieb so lange stehen, bis es zerfallen war. Ungewöhnlich waren auch "Totenbretter" (Elsfleth) oder "sprechende Grabsteine", die ganze Geschichten erzählen (Bsp. Ermordung des Tebben). Eine besondere Eigenart stellten  die "Schrägkreuze" (von links un­ten nach rechts oben) des Jeverlandes dar, deren Bedeutung bisher nicht geklärt werden konnte.

Es gibt zu diesem Thema Friedhöfe und Grabsteine fast keine Literatur:

-Zur Symbolbedeutung: Wolfgang Runge(?)Sprechende Steine ?

-Hand Ney, Verwitterte Zeitzeugen ...?

- ... Bremer wissenschaftl. Gesellschaft ...?