Protokoll der Sitzung des Arbeitskreises ostfriesischer Chronisten vom 17.10.1997 auf dem Friedhof von Westeraccum und im Dorfgemeinschaftshaus Fulkum
Thema der Sitzung: Grabkultur auf dem ostfriesischen
Dorf
Referent: Heino Albers
In Westeraccum bot sich den Mitgliedern des Arbeitskreises nicht nur die Gelegenheit, den Friedhof selbst zu besichtigen, sondern auch die Kirche. Der schöne Bau mit noch
erhaltenem hochmittelalterlichen Chor ist geprägt durch einen Baustil im Übergang von der Romanik zur Gotik. Im Innern ist vor allem die aus dem 17. Jahrhundert stammende Kanzel erwähnenswert, die an einem
– allerdings nur noch fragmentarisch erhaltenen - Portal die Reformatoren Hus und Luther gemeinsam zeigt. Der Kirchhof von Westeraccum besitzt eine östlichen Friesland in dieser Zahl nicht mehr
vorhandene Häufung von Grabsteinen von Kapitänen.
Nach der Besichtigung von Friedhof und Kirche begaben sich die Mitglieder des Arbeitskreises in das Dorfgemeinschaftshaus von Fulkum, wo Herr Cassens
zu Tee und Kuchen eingeladen hatte.
Herr Albers setzte seinen Vortrag - unterstützt von Dias – fort:
Die Grabkultur hatte in Ostfriesland im 17. und 18. Jahrhundert einen sehr hohen Grad
erreicht und braucht den Vergleich mit anderen Regionen nicht zu scheuen. Dennoch finden Friedhöfe in Ortschroniken nur sehr selten Erwähnung. Das Thema des Todes wird in der moderne Gesellschaft generell
tabuisiert.
1972 wurde die Friedhofsordnung geändert. Grabstellen sind seitdem kein Eigentum mehr und müssen für begrenzte Zeiträume wiedergekauft werden. Seitdem wurden ganze Friedhöfe abgeräumt.
Gräber sind teuer. In Wilhelmshaven kostet ein Einzelgrab 360 DM. Große Gräber werden nicht mehr gekauft. Ehemalige Eigentümer erheben keinen Anspruch mehr auf die alten Grabsteine. Viele alte Steine werden
zerstört oder wieder neu verarbeitet. Die Friedhöfe verwahrlosen. Der Trend in den großen Städten geht zur Urnenbestattung (55 %). Ein großer Teil der Gräber ist mittlerweile anonym (35 %). Alte Gebräuche und
Rituale geraten deshalb in Vergessenheit.
Ortschroniken sollten helfen, den kulturellen Wert des örtlichen Todesackers ins Bewußtsein zu rücken und damit dazu beitragen, daß die alten Stelen der Friedhöfe
erhalten bleiben.
Der kulturelle Wert der Friedhöfe wird nicht erkannt, obwohl auch die Friedhöfe häufig aus der Zeit der Kirchengründungen stammen, so z.B. in Schortens aus dem 13. Jahrhundert.
Friedhöfe bilden einen wichtigen Teil der Ortsgeschichte. Häufig sind z.B. Hausmarken auf den Grabsteinen abgebildet. Dennoch fehlt die systematische wissenschaftliche Aufarbeitung. Eine gewisse Ausnahme
bildet hier Edo Pannenberg, der 169 ostfriesische Friedhöfe nach Hausmarken untersuchte. Die Hausmarken auf Grabsteinen des Jeverlandes und des Oldenburger Landes sind aber nicht erfaßt. (Der Davidsstern wird
häufig auch in ostfriesischen Hausmarken verwendet, gilt erst seit dem Ende des 19. Jahrhunderts als Symbol des Judentums.)Auf den Steinen findet sich auch häufiger die trauernde Familie dargestellt, wobei
schon verstorbene Mitglieder schwächer abgebildet sein können. In Verbindung mit abgebildeten Hausmarken könne die Steine also wichtige Auskünfte über die Familiengeschichte geben. (Es kam auch vor, daß
Grabsteine schon zu Lebzeiten aufgestellt wurden und es dann später versäumt wurde, die Todesdaten der Verstorbenen nachzutragen.)
Die Lage der Gräber auf dem Friedhof spiegelt die soziale Stellung einer
Familie innerhalb der dörflichen Gemeinschaft wider. Je näher die Grablege östlich am Chor der Kirche gelegen war, um so bedeutender war die Familie innerhalb der Gemeinschaft, denn die größere Nähe zu den
Reliquien der Kirche versprach größeres Heil für die Toten.
Die Größe der Stelen war sehr unterschiedlich, von 30 cm bis zu 3,5 Meter Höhe (in diesem Fall etwa 1 m im Erdboden) und einem Gewicht von bis
zu 20 Tonnen. Die Befestigung der Stelen erfolgte häufig durch im Erdboden entgegengesetzt zur Ausrichtung des Steins durchgezogene Kanthölzer. Die Sandsteine wurden importiert. Im Emsmündungsbereich
herrschte der Bentheimer Sandstein vor. Dieser war nicht so haltbar wie der Oberkirchener Sandstein, der in der Küstenregion häufiger verwandt wurde. Er stammte aus den Bückebergen und wurde auch grauer
Bremer Sandstein genannt, weil er über Bremen eingeführt wurde. Dort wurde er vielfach bereits vorgearbeitet oder sogar komplett gefertigt. Dann wurden die Steine über die Weser in den gesamten norddeutschen
Küstenraum exportiert. Im Oldenburger Raum wurden noch 436 Stelen erfaßt, in Ostfriesland 40. Ursprünglich waren diese Steine aber viel verbreiteter. Im Oldenburger Land sind weniger entfernt worden.
Kunststein kam in Ostfriesland erstmals um 1800 auf. Eiserne Grabkreuze im ersten Viertel des 19. Jahrhunderts. Sie waren ein Ergebnis der Umstellung der napoleonischen Rüstungsindustrie auf zivile Bereiche.
Auch die gußeisernen Kreuze waren häufig mit Symbolen versehen.
Es gab aber keine Massenfertigung identischer Steine. Kein Stein gleicht dem anderen. Die Symbolik der ältesten Steine aus dem 16. bis 17.
Jahrhundert schließt oft an die Geisteswelt des Mittelalters an. Es gibt eine feste Symbolsprache, in der z.B. die Zahlen drei (göttliche Dreieinigkeit) vier (die irdischen vier Elemente) und sieben (das
Universum als Summe des Göttlichen und Irdischen) eine wichtige Rolle spielen.
Alten Grabsteine waren häufig dreigeteilt und symbolisierten mit ihren drei Elementen die Dreifaltigkeit Gottes oder
Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft.
Symbole auf Grabsteinen:
-Engel, Cherubine, zeigen die Verbundenheit zum Paradies.
-Paradiesvögel verweisen gleichfalls auf das Paradies.
-Uhr,
Standuhr Stundenglas, oft mit Anzeige der Todeszeit als Symbol der Endlichkeit des Seins
-Drei Kugeln als Lebenskugeln.
-Brennendes Herz oder Vögel als Zeichen des Fluges der Seele zu
Gott.
-Gottesauge als Zeichen der Allmacht Gottes.
-die vier Evangelisten mit ihren Attributen.
-Das Motiv des Lebetots wurde nur fünf Mal gefunden (z.B. junge Frau mit Lebensbaum und
Sensenmann).
-Auferstehungsszene als Zeichen der Hoffnung aus das Jenseits.
-Totenköpfe mit Putten oder Getreide als Zeichen des Lebens aus dem Tode.
-Jakobsmuschel als Zeichen der Reinigung
oder der Pilgerschaft.
-Schale mit Seifenblasen als Zeichen der Flüchtigkeit des irdischen Lebens.
-Schlange als Symbol der Weisheit und des ewigen Lebens (Kreis, bei dem sich die Schlange selbst
in das Schwanzende beißt).
-Schmetterling oder überhaupt Insekten als Zeichen der Ver- oder Umwandlung des einen Lebens in ein anderes.
-Häufig die Kombination von Anker, Kreuz und Herz als Zeichen für
Glaube, Liebe, Hoffnung.
-Schiffe – oft wahrheitsgetreu abgebildet, auf Kapitänsgräbern.
-Palmwedel als Symbol des Sieges über den Tod und den Einzug ins Paradies.
-Efeu als Zeichen der
Treue.
-Lebensbaum.
-Rose = Liebe, in der jüdischen Symbolik die gebrochene Rose als Zeichen für den Tod einer jungen, unverheirateten Jüdin
-Weltkugel
-Lorbeerkranz
-Fackel
nach unten: Leben erloschen
-Sichel mit abgeschnittenen Ähren Zeichen des vollendeten Lebens
-Einhorn als Symbol der Reinheit oder Jungfräulichkeit
-Krug als Reinigungssymbol
-Segnende
Hand Gottes
-"Seelenloch" zum Entweichen der Seele
Verwendung der Symbolik war auch zeitgebunden. So kamen erst z.B. mit dem Einzug der Aufklärung in Ostfriesland im späten 18.
Jahrhundert die Motive von Urnen, Säulen und Früchten auf die Grabsteine.
Eine Besonderheit stellten auch die Totenpfähle dar, die an den Gräbern im Andenken für Verschollene aufgestellt wurden, häufig
geschmückt mit einem Kopf und einer Taube. Zuletzt wurde so ein Pfahl in Elsfleth gesehen. Eine andere Besonderheit im Emsmündungsbereich das Totenheck, ein etwa einen Meter hohes Holzgestell über dem Grab mit
Totendecke oder Totenlaken. Das Gestell blieb so lange stehen, bis es zerfallen war. Ungewöhnlich waren auch "Totenbretter" (Elsfleth) oder "sprechende Grabsteine", die ganze Geschichten
erzählen (Bsp. Ermordung des Tebben). Eine besondere Eigenart stellten die "Schrägkreuze" (von links unten nach rechts oben) des Jeverlandes dar, deren Bedeutung bisher nicht geklärt werden
konnte.
Es gibt zu diesem Thema Friedhöfe und Grabsteine fast keine Literatur:
-Zur Symbolbedeutung: Wolfgang Runge(?)Sprechende Steine ?
-Hand Ney, Verwitterte Zeitzeugen ...?
- ...
Bremer wissenschaftl. Gesellschaft ...?
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