Hans Focken
Karpfen im Glück!
Es war das Jahr 1986. Unser Sohn Holger, 10 Jahre alt, war ein begeisterter Angler und seit kurzem Mitglied im Angelsportverein. Er hatte mit viel Eifer den Jugendschein bestanden. Als die Angelsaison begann, war er die ersten Tage mit Feuereifer dabei. Häufig saß er stundenlang zusammen mit seinem Freund Sven am Völlener Badesee. Das Glück war ihm hold, denn schon in den ersten Tagen hatte er einen kapitalen Karpfen am Haken und kam freudestrahlend damit nach Hause. Er bat mich, den Fisch zu braten, damit er den großen Fang zusammen mit seinem Freund Sven im Kreis der Familie verspeisen konnte. Ich lehnte ab, suchte aber trotzdem im Kochbuch schon nach einem Rezept und bereitete nach mehrmaligem Drängen den Karpfen für das fürstliche Mahl vor. Ganz stolz saß mein Sohn um die Mittagszeit am Tisch, während ich damit begann, dass tote Tier aufzuteilen. Wir begannen zu Essen. Doch unsere Gesichter sahen nach wenigen Minuten alles andere als begeistert aus. Der Karpfen schmeckte fürchterlich. Holger war riesig enttäuscht. Am Abend ging er noch einmal zum See, traf dort einen älteren Freund, dem er die Geschichte spontan und bis in allen Einzelheiten erzählte. Kein Detail wurde ausgelassen. Kurze Zeit darauf stand Holger wieder in der Küche und erzählte mir mit sprudelnden Worten, was wir bei der Zubereitung des Karpfens falsch gemacht und vergessen hätten, aber beim nächsten Mal auf jeden Fall beachten müssten. „Mama, du konntest nichts dafür, das der Fisch so ekelig schmeckte, denn der muss sich vor der Zubereitung immer erst ein paar Tage sauber schwimmen“, sagte er beruhigend zu mir. Der Freund hatte ihm am See erzählt, dass ein Karpfen im Wasser häufig am Boden des Sees gründelt und deswegen einen modrigen Geschmack hat. Wenn er aber 2 – 3 Tage im sauberen Wasser schwimmt, ist der Geschmack neutral. Nun wussten wir alle, dass ein Karpfen sich vor dem Verzehr immer erst sauber schwimmen müsse. Inzwischen waren ca. vier Wochen vergangen, als Holger mit seinem Freund Sven Kofoet vom Angeln nach Hause kam und in der mit Wasser gefüllten Schubkarre einen Karpfen transportierte. Die Beiden hatten ein 25 pfundiges Prachtexemplar gefangen. Ganz aufgeregt rief Holger nach seiner Mama. „Mama, der Fisch muss in die Wanne, bevor wir ihn essen“, waren seine ersten Worte. Die Badewanne wurde voll Wasser gefüllt und Holger setzte den Karpfen vorsichtig hinein. Der Fisch war riesig, sah wunderschön aus und hatte große Augen. Er war so lang, dass er sich in der Badewanne nicht umdrehen konnte. Die Rückenflosse schaute hoch aus dem Wasser heraus. Wir waren so fasziniert von dem Fisch, dass ich mich ganz erschrocken umschaute, als meine Tochter Heike (11 Jahre) ins Badezimmer kam. Sie sah zu uns, dann in die Wanne und völlig entrüstet sagte sie laut und deutlich: „Den Fisch esse ich nicht, das ist ja wohl klar. So eine Tierquälerei, der Karpfen soll drei Tage lang in der engen Wanne schwimmen und dann getötet werden, damit wir ihn essen können“. Auch ich hatte inzwischen meine Bedenken, ob ich diesen wunderschönen Karpfen noch essen könnte. Mein Mann kam von der Arbeit nach Hause und wir standen immer noch vor der Badewanne. Holger lotste seinen Vater sofort ins Badezimmer und sagte aufgeregt: „Papa, ich habe einen Karpfen gefangen, der wiegt 25 Pfund und übermorgen essen wir den“. Mein Mann schaute sich den Fisch lange an, um dann mit ruhiger, aber auch bestimmender Stimme zu sagen: „dieser Karpfen soll sich hier in der Wanne nicht drei Tage lang quälen, um dann getötet zu werden, das mache ich nicht mit, mein Sohn, du und dein Freund Sven nehmt ihn nun wieder aus der Wanne und bringt ihn in einem großen Behälter dorthin zurück, wo ihr ihn gefangen habt“. Die ganze Familie war sich einig, dass wir diesen tollen Fisch nicht essen wollten. Holger füllte einen großen Behälter mit Wasser und der Karpfen wurde vorsichtig hinein getan. Zusammen mit Sven brachte er den Karpfen zum See zurück und hat das Tier dort wieder frei gelassen. Als wir alle am späteren Abend draußen auf der Terrasse saßen, waren wir richtig froh darüber, dass der Karpfen seine Freiheit zurück gewonnen hatte.
Erika Focken
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