Käthe Loewenthal 1878-1942

... und die Liebe

Liebe ist für Käthe Loewenthal existentiell. Hier erfährt der Mensch sich und den/die geliebte(n) Andere(n) wahrhaftig - jenseits des im Alltag von beiden nach außen gewendeten eigenen Scheins.

Liebe ist in diesem Sinne eine tief religiöse Erfahrung, in der das Göttliche erfahrbar wird und den Menschen an seiner Wahrheit Anteil haben lässt. Liebe ist also eine spirituelle und nicht nur eine sexuelle Erfahrung.

Für Käthe Loewenthal läßt diese Liebe in der Wahrhaftigkeit keine normative Begrenzung auf das jeweils andere Geschlecht zu. Dass sie sich hier ein Leben lang mit der gesellschaftlichen Moral, der Moral der Kirchen und ihrer eigenen sozialisierten Moral auseinandergesetzt und dabei keine psychischen Schmerzen gescheut hat, machen einige der folgenden Gedichte deutlich.

In Verbindung mit den erhaltenen Briefen an ihre Freundin Erna Raabe lassen diese Fragmente die Hypothese zu, dass beide Frauen in einer intensiven Liebesbeziehung miteinander verbunden waren.

In ihrem Ringen um die Wahrhaftigkeit und höhere Legitimität dieser Beziehung zeigt sich K. L. als eine Frau, die nicht bereit war, sich gegen ihre tiefe Überzeugung einer Leben, Liebe und Religiosität beschneidenden Moral zu unterwerfen. War sie in den Fragen der Politik kritiklos den rechten Mythen über Gott, Volk und Vaterland verfallen, gewinnt sie hier die Statur einer Rebellin, einer die heutige Individualisierung vorwegnehmenden Frau, die unbeirrt ihrem eigenen Lebensentwurf folgte. Das zeigte sich biographisch schon in ihrer 1890 als dreizehnjährige getroffenen Entscheidung: Sie wollte nicht mit ihrer Familie nach Berlin zurückkehren, sondern bei einer befreundeten Pfarrersfamilie in Bern bleiben und sich konfirmieren lassen.

Die Folgen dieses lebenslangen Rebellinnentums formulierte sie sehr klar in einem Brief an Erna Raabe vom 27.2.1928:

„Und ich sage Dir, Liebling, wie auch ich es mir sage für mich und meine Lebenskargheit – Du hast Dir Dein Leben und dessen Fließen z. T. selbst so gestaltet, es so haben wollen, wie es wurde; also stehe nun auch zu ihm und seinen Konsequenzen.“

In mehreren Gedichten zeigt uns Käthe Loewenthal ihre Suche nach Liebe als Ausdruck des in der Welt Sein Gottes und der Erfüllung eines zur Existenz gehörigen Wunsches, dem sie sich auch gegen alle gesellschaftlichen Zwänge verschreibt:

Gnade

Nicht wie die Frucht vom Apfelbaum
läßt Liebe pflücken sich!
Sie ist Gott, Du und ich.
Sehnsucht

„Nur wer die Sehnsucht kennt, weiß was ich leide“
Nur wer die Sehnsucht kennt, weiß um die Freude!!
Nur wer zu tiefst es ersehnt, kann das Glück voll
erfüllter Wärme, höchster Innigkeit, ehrfürchtiger Dankbarkeit,
in die sehnenden Arme nehmen mit dem
demutstiefen Stolz, den eben nur die Sehnsuchtsvollen
kennen .... .
Hingabe

Die Menschen nennen es Sünde, wenn Du es tust.

Gotte nennt es Unterlassung, wenn Du es nicht tust.

Ein Mensch die kurze Strecke der Irdischkeit an seinen Fersen;

die Tore des Todes in seiner Sicht, ersehnt Dich.

Er verlangt nach Dir, als seiner ewigen Ampel;

da er die Süße deiner Seele,

die tragenden Schwingen Deines Geistes,

die Pracht Deiner Glieder beachtet, versteht, anbetet.

Er begehrt Dich um des Göttlichen willen in Dir.

So ist seine Liebe ein Stück Gottheit und Gott verweigert man sich nicht,

- wenn man ihn spürt ... .

Die Menschen hatten es Sünde genannt,

Aber Gott hatte es gut geheißen.
Legitim

O, Ihr, die Ihr Euch viel darauf zu Gute haltet; oh Ihr
die Ihr Euch als besser und ehrenwerter empfindet
mit Eurer staatlich umschützten
echte und unwahre Liebe
gleicherweis umfriedenden Sanktion.
...
Besser habt Ihr’s ohne besser zu sein
Leichter habt ihr es
Ohne es anderen leichter zu machen.
Bürdeloser seid Ihr
und bürdet andern schwerste Lasten auf.
Dornenloser, kampfloser dürft Ihr leben!
Und seid die Dornen an denen andere zerreissen,
bringet Kampf dem andere erliegen ... .
Unglücklicher sind die Verfehmten ob ihrer Verfehmung,
ob ihrer Verlassenheit, ob ihrer
Ausgestossenheit willen!
Zu beschützen wären sie, nicht zu verachten!
Ihre armen, wunden Füsse zu streicheln, mit Tränen des
Verstehens lind zu waschen; zu verbinden mit Wärme brüderlicher Zuneigung einer glückhafteren Lebensgestaltung.
Die verkrampften Hände zu fassen, zu lösen, zu füllen mit Lichtem, Brüderlichem. Gramvoller sind sie, kampfvoller, Zerrissen von Eurem Gegeifer, ihren eigenen Qualen und Marthern: ob sie denn Unrecht tun?! ...
Da sie doch lieben!

Ihre Liebe muß eine grosse, eine – unvermeidliche –
eine Gottgeheischte zur Erprobung sein – eine wehe Notwendigkeit, wenn sie es dennoch tun ....
da alles wider sie ist!
Der werfe den ersten Stein auf sie, dessen Liebe gefahrvoller, dessen Liebe grösser ist!