Käthe Loewenthal 1878-1942

Ein jüdisches Schicksal in Deutschland
Nur wenig findet sich im Nachlass Käthe Loewenthals an Aussagen zur Situation des Judentums in Deutschland und ihrer Situation als Jüdin vor und nach 1933. Dass sie überzeugte Christin war, nützte weder ihr noch vielen Anderen, denn der nationalsozialistische Hass richtete sich nicht nur gegen die Religionszugehörigkeit der jüdischen Menschen, sondern war auch ein biologistischer Rassismus. Dem verfielen neben den jüdischen Menschen auch die Sinti und Roma, die ebenfalls als „minderwertig“ stigmatisierten Völker des Ostens, Behinderte und unheilbar Kranke, vor allem psychiatrisch als schizophren diagnostizierte Menschen. Die Verfolgung beginnt schon mit dem Mal- und Ausstellungsverbot von 1934, und der Kündigung des ihr von der Stadt Stuttgart bis dahin zur Verfügung gestellten Ateliers in der Ameisenbergstraße.
  • 1935 reist sie ein letztes Mal in die Schweiz und erwägt, dort zu bleiben. Ihre Freundin Erna Raabe überredet sie aber, nach Deutschland zurückzukehren. Damit war ihr weiteres Schicksal besiegelt.

  • 1938 stirbt Erna Raabe und Käthe Loewenthal vereinsamt zusehends durch die von den Nationalsozialisten durchgesetzte soziale Isolation, die von der Mehrzahl der deutschen Bevölkerung teils zustimmend, teils widerstandslos getragen wird.
Zwei von Käthe Loewenthal vorgenommene Abschriften von Briefen Erna Raabes an sie bringen eine weitere Antwort auf die Frage, warum Käthe Loewenthal trotz der zunehmenden Verfolgung des deutschen Judentums in der nationalsozialistischen Gesellschaft 1935 aus der Schweiz nach Deutschland zurückkehrte.
  • Magdeburg 8.8.1935 Daher kam mein Aufschrei: Käthe soll nicht auswandern.“ Du hast ihn richtig verstanden Liebling. In dem stillen und rätselvollen Abgrund des Todes (aber nun weiß ich genau: er ist ein Übergang,), in diesen Abgrund sehend, erscheint alles Menschengetue ruchlos. Noch ruchloser als ich es immer empfand. Es ist mir blendend klar geworden: Ich will Dich behalten. Muß Dich behalten. ...
    Behüte Dich Gott, mein Bewährtes. Wir wollen unsere Lebenszeiten schon - stolpernd oder fliegend - zusammen beenden.
    Immer Deine Erna.

  • Stuttgart 24.2.1936 Die ganze Nacht – ich schlief schlecht – habe ich mit Dir gesprochen. Die Quintessenz heißt: „bleibe bei mir, denn es will Abend werden.“Nun kommen Deine Worte, der kl. Seelachs, die kleine Muschel (?)
    Ach ja mein Liebling: schmerzlich schön ist unsere Freundschaft – und ich fühle, sie ist von Gott gesegnet.
    Immer Dein „I“
In einigen Briefen berichtet Erna Raabe in den Jahren 1935 und 1936 der Gräfin H. von Schwerin, mit der sie und auch Käthe Loewenthal befreundet waren, über deren zunehmend schwieriger werdende Situation in Deutschland.
  • 03.10.1935 Die Stunden verliefen so: Gestern um 3 war ich – es regnete – bei Kätherle. Bin ich mit einem übertriebenen Körper-Ahnen jetzt belastet? Oder was ist es: Käthe gefällt mir nicht; ihre Gesichtsfarbe ist ungesund, ihre Augen vor allem. Es mag auch daran liegen, daß sie sich so furchtbar zusammen nimmt. Sie sprach von schlechten Nächten und von schweren Tagen in der Schweiz. Die Einstellung dort ist größtenteils deutschfeindlich, und da K. so sehr gerecht ist, verteidigte sie noch alles, wie sie überhaupt vieles gut findet, obwohl sie zugrunde geht. Sie hielt es nicht mehr aus: „lieber in Deutschland sterben als woanders leben“ und doch ersehnt sie die moralische Rehabilitierung. ... es ist alles in und um uns unklar, widerspruchsvoll und man schlängelt sich durch den Tag. Es ist einfach unmöglich, eine Lösung zu finden. Die Hauptsache: Die Wohnung ist noch nicht gekündigt. Eine weibliche Hilfe hat K. z. Zt. nicht; will sich aber umtun; es ist eine ganz .. ? ... Alterversorgung damit getroffen, daß nur welche über 45 Jahren von Juden beschäftigt werden dürfen. ...

  • 17.11.1935 ... ich glaube, ich bin völlig allein im Haus; es ist Sonntag. Und wiederum gehe ich erst Montag zum Kätherle, die jetzt Sonntag stets künstlerische Vorträge in der Christengemeinschaft hatte. Das war ihre einzige Freude, Anregung und Freundschaftlichkeit, die sie hatte. Das wird nun wohl auch erledigt sein – wieviel Tausenden von gläubigen Seelen ist das Verbot der Anthroposophie der Kern und Sinn des Lebens erstickt.“

  • 18.12.1935 Bitte schicke für Käthe und die Gimmel Fleischernes an mich. Käthe beginnt in Not zu kommen. Grethes (für die erbäte ich auch sehr) Dispositionen weiß ich nicht. ...

  • 24.02.1936 Gestern war ich – nach 16 Tagen – beim Kätherle. Es war sehr erschütternd, wie sie mich empfing und bewahrte. Möchte dieser tiefen Seele Letztes erspart bleiben an Erniedrigung ... Ich weiß, ich halte bis zum letzten Atem zu ihr. Aber was kann ich verhindern?
    Ich schlief dort eine Stunde, bis Angst mich hochtrieb. Hätte ich Glauben, hätte ich nicht Angst.
  • 26.10.1936 „Groß und groß ist auch noch eins: Käthe. Samstag war ich dort, sah einmal in diese sich mehr und mehr abschließende Seele: das ist Leid. Und nach außen hin: lächelnd, von immer verstärkter Sorgfalt zu mir. Ich sträube mich nie mehr, esse, liege, höre zu. Meine sachlichen Dinge laufen noch alle, abschlußlos.

In drei Briefen von KätheLoewenthal an die Gräfin v. Schwerin 1936 und 1940 wird deutlich, wie die Verfolgung ihr Leben wie eine immer dunkler werdende Wolke umhüllt.
  • Im Oktober 1936: Es regnet und ist kalt und grau und bedrückend. Neulich war meine draußen stehende Milch im Topf eingefroren! Am 3. 10. in Stuttgart dem heissen. Ich habe große Sehnsucht nach schönen Herbsttagen; gewiß alle Menschen! und das wenigstens hängt nicht von den Menschen ab.
    Viel Gutes Ihnen und den Ihren wünscht Ihnen warm
    Ihre K.L.
  • Im Juni 1940: ... Ich beschließe jeden Tag mit einem Dank ... an Gott; an alles Gute --- Gott sei Dank, dass ich das immer noch kann. Den realen Bedrückungen kann man nicht aus dem Wege gehen. Sie müssen bestanden werden; oder man muss davonlaufen mit seinem Leben. Man ist gezwungen, sich ihnen zu stellen.
    Dass es Sorgen sind, die eben jeder Tag bedingt, ist reale Tatsache von außen her.
Zwei Epigramme zeigen das Leiden Käthe Loewenthals an der im nationalsozialistischen Deutschland sich vollziehenden Ausgrenzung der jüdischen Kultur, der jüdischen Menschen und ihrer selbst.
Das erste kann als Aufruf an die Christen verstanden werden, ihre gemeinsamen Wurzeln mit dem jüdischen Volk zu achten. Das zweite kann als prophetische Warnung über den in Auschwitz kulminierenden Judenhass der Nationalsozialisten und ihrer Gefolgschaft bei vielen der „ganz normalen“ Deutschen gelesen werden.
I.N.R.I.

Jesus von Nazareth, König der Juden
Den diese Juden mit Dornen beluden.
Christus von Golgatha, Dich erwehre
Christlicher Hetze Speere
Die all verspritzen wieder Dein Blut
Judenblut!! ... (Gotteslamm, Heilandsglut),
An Juden, Christen: Messiasmut,
an Brüdern!! Wunden der Liebe tut.
Grabschrift

Nie satt geworden
Verdurstet und verdorrt.
Solch Menschen morden
O, setztet es nicht fort!