... gibt sich dieser Tage die evangelische Kirche in Oldenburg. Sie fordert Jugendliche auf: "Zeigt, was euch heilig ist - für die besten Objekte gibt's einen Preis." Impressionen weit ab von Bibeln und Gesangbuch
TEXT RHEINHARD MAWICK
FOTOS NIKOLAI WOLFF
Sie und sieben andere Mädchen sind an diesem heißen Frühsommertag zusammen mit ihrem Pfarrer Rainer Claus aus Wilhelmshaven angereist, um in Oldenburg ihre Lebenstüren abzugeben. Die acht buntgestalteten Spanplatten sind ihr Beitrag zur Aktion "Megakultig@angetörnt", die vom Landesjugendpfarramt der Evangelischen Kirche in Oldenburg veranstaltet wird. Jugendliche von 10 bis 25 Jahren sind eingeladen, Objekte einzureichen, die Ihnen heilig sind. Völlig frei, völlig subjektiv, völlig losgelöst von irgendwelchen kirchlichen Konventionen. Alle Exponate werden vom 18. Bis 26. Juni in St. Lamberti, der großen Hauptkirche im Oldenburger Zentrum, ausgestellt und die besten prämiert. Der erste Preis beträgt 500 Mark. Durchaus ein Anreiz für 14-Jährige, die vor zwei Wochen konfirmiert wurden und von denen eine stöhnt: "Das ganze Geld ist schon weg!"
Auf Sandras Lebenstür gibt es natürlich nicht nur Lippenstifte zu sehen, sondern ganz dick in der Mitte ein rotes Herz mit der Aufschrift "Freunde". Die Clique - mit 14 ist sie das ein und alles. An zwei orangenen Federn schwebt oben links das Wort Hochzeit. "Willst du heiraten, Sandra?" "Klar!" - "Und wieso?" "Ist doch normal, oder!" Die anderen sieben Girlies sind sich da nicht so sicher. Stimmengewirr, Kichern, Prusten. "Warum habt ihr die Türen denn gemacht?" "Weil wir gezwungen wurden. Erzähl du mal, Rainer!" Großes Gelächter.
Die Aufgabe war, so Pfarrer Rainer Claus, an den besten Freund oder die beste Freundin in Ruhe einen Brief zu schreiben und die Lebenstür zu erklären. Denkwürdig, was Sandra alles dazu notiert hat: "Ich habe auf die Tür drei Herzen gemalt. In einem ist mein früheres Pflegepferd, mit dem ich eine ziemlich enge Verbindung hatte. Das Herz in der Mitte trägt das Wort "Freunde", weil mir meine Freunde wichtig sind und ich weiß, dass ich immer zu ihnen gehen kann. Im dritten Herz steht der Satz "Vergebung der Sünden". Der ist von dem Glaubensbekenntnis, denn ich finde es wichtig zu verzeihen, unter Freunden und Verwandten".
Ähnlich skurril erscheint dem Erwachsenen die Mischung auf Alexandras Tür: Oben groß Ihr Name, eskortiert von zwei blauen Kreuzen, unten blutrot 1. Korinther 13: "Gott ist die Liebe und wer in der Liebe bleibt, der bleibt in Gott und Gott in ihm." Und in der Mitte lächelt Rap-König Eminem von einem leicht geknüllten Plakat. "Was soll der da?" "Den finde ich gut!" "Warum?" "Weiß nich...". Links neben Eminem ein Foto mit vier Handys. "Was soll das?" "Das sind meine." "Vier Stück?" "Klar!".
Eher ernst und gar nicht poppig ist die Tür von Gesa, 13. Das große Herz im Zentrum symbolisiert ihren Freund Martin, daneben ist ein graues Kreuz. Gesa schreibt: "Das Kreuz bedeutet: der Tod. Ich erhoffe mir einen wunderschönen, erlösenden Tod. Wie für jeden. Nur will ich im Jahr 2037 sterben (mit 50!). Will nicht die Krankheiten ertragen." Ganz unten auf der Tür eine gelbe Linie, zuckend wie der Börsenkurs, das ist ihr Herzschlag. "In der Liebe schlägt er schnell, im Tod ist er still. Für mich ist die Liebe gleichzeitig der Tod. Sie kann sich genauso erlösend zeigen. Doch sie kann einem auch den wirklichen Tod ins Leben geben. Denn oft ist die Liebe viel zu schwer." Die Mädchen schultern ihre Türen, und schleppen sie in den Keller des Landes-Jugendpfarramtes. "Meint Ihr, dass ihr einen Preis kriegt?" Ungläubige Blicke. "Na klar, was denken Sie denn?"
Meint die Kirche wirklich, das sie mit einer solchen Aktion die Jugend wiedergewinnt? Exponate in die Kirche stellen, einen Preis ausloben und schon hat sie Zulauf? Muss die Kirche der Jugendkultur hinterherlaufen und sich anbiedern? "Darum geht es doch gar nicht. Wir können und wollen nicht Werbung betreiben wie eine Zigarettenfirma!" Jürgen Heumann macht eine verächtliche Handbewegung: Der 53-jährige Professor für Religionspädagogik an der Uni Oldenburg begleitet das Projekt "Megakultig@angetörnt" wissenschaftlich. Mit Mission, stellt er klar, habe die ganze Sache erst mal nichts zu tun. Es gehe vielmehr darum, die Kirche den Jugendlichen als Resonanzraum anzubieten.
Denn das ist sie heute längst nicht mehr. Die 13. Shell-Jugendstudie aus dem Jahr 2000 zeigt auf, dass Jugendliche durchaus großes Interesse an religiösen Fragestellungen haben, aber dass die Kirchen dabei eine immer geringere Rolle spielen. Deutlich hinter der Polizei, den Gewerkschaften und dem Fernsehen landeten die Kirchen zusammen mit den politischen Parteien auf dem letzten Platz der Shell-Vertrauensskala.
Wie kann das sein? Professor Heumann analysiert: "Die Jugendkultur heute ist, noch ganz anders als vor 20, 30 Jahren eine Erfahrungkultur und keine Lernkultur. Alles ist mit Erlebnis verbunden, alles soll erst mal Spaß machen." Deshalb erleben Jugendliche Kirche oft als abtörnend. Auch Anbiederungen a lá Beatmesse und Sakropop können da kaum Abhilfe schaffen. Dass die kirchliche Jugendarbeit am Boden liege, komme nicht von ungefähr. Die kirchlichen Funktionäre wüßten doch gar nicht mehr, was Jugendliche denken und wo ihre religiösen Spielwiesen anzusiedeln sind. Ein verstärktes Angebot für Jugendliche könne die Kirche jedoch erst dann machen, "wenn sie richtig hingeguckt hat", meint der Professor.
Aber ist die Verbindung von Lippenstift, Lieblingspferd und Rapper Eminem wirklich eine Sache, die die Kirche interessieren soll? Heumann gibt zu: "Natürlich ist bei denen alles wirr verflochten: Romantik, Emotion, Spaß, Wehmut, Suche nach dem Richtigen." Aber kirchliche Funktionäre sollten doch ruhig mal in die Haut der Jugendlichen schlüpfen und nicht immer den Zeigefinder heben und sagen: Das Richtige kommt erst noch!
Die Vorliebe vieler Jugendlicher für Techno und verwandte Musikstile äußert sich in einem Videoclip, den eine Gruppe 18-19-Jähriger bei den Ausstellungsmachern eingereicht hat. Er gipfelt in dem Satz: "Techno. Ist meine Religion". Sträuben sich da Christenmenschen nicht die Nackenhaare? Professor Heumanns These: "Techno hat viel mit Mystik zu tun, einer uralten religiösen Kategorie. Durchdrungen sein vom Schall und auf einen Punkt zurückkehren." Entgegen dem ersten Eindruck sei das Erleben von Techno eben nicht haltlose Zerstreuung, sondern vielmehr tiefe Sammlung. Heumann: "Darin steckt ein ungeheures religiöses Potential."
Natürlich sei ein religiöses Erlebnis per se noch nicht gut oder gar christlich. Aber zunächst müsse man es ernst nehmen. Erst danach könne man mit Jugendlichen ernsthaft darüber ins Gespräch kommen, ob es nicht noch anderen Arten von Sammlung gibt als Techno und welche Rolle auch Ethik und Moral im Leben spielen.
Auch Pfarrer Holger Schülke hat keine Berührungsängste. Er ist den Jugendlichen sogar dankbar, dass sie überhaupt noch bereit sind, sich mit der Kirche einzulassen und freut sich über die in seinen Augen große Resonanz. Schließlich habe man nur im Bereich der kleinen oldenburgischen Kirche für die Aktion werben können. Die meisten Jugendlichen erfuhren über ihre Religionslehrer von der Aktion. Bei ihnen hatte die Kirche besonders stark für "Megakultig@angetörnt" geworben. Die Kosten der Aktion, die sich auf etwa 6000,- Mark belaufen, so Schülke, trage die Landeskirche gern. Mit sichtbarer Freude betrachtet der religionspädagogische Leiter der Landeskirche die gut 60 eingegangenen Ausstellungsstücke. Da gibt es extra angefertigten Exponate wie die Türen der Wilhelmshavener Mädchen oder das riesige Herz aus Pappmachée, mit dem eine Berufsschulgruppe die Liebe und den Frühling beschwört. Sie machen etwa die Hälfte der der Objekte aus. Die andere Hälfte stammen von Einzelnen. Darunter viele Kuscheltiere. Häufig erinnern sie die Jugendlichen an ein besonderes Datum oder an einen lieben Menschen.
Zum Beispiel Sina, 12, mit ihrem Stoffelch. Sie schreibt: "Er ist sehr wichtig für mich. Ich habe ihn vor sechs Jahren als kleines Mädchen von meinem "Daddy", so nenne ich meinen Stiefvater, bekommen. Obwohl meine Mutter seit einigen Jahren wieder von meinem Stiefvater geschieden ist, habe ich die Verbindung zu ihm aufrechterhalten können. Er ist seit vielen Jahren für mich die wichtigste Person in meinem Leben. Ich kann ihn zu jeder Zeit anrufen, er ist immer für mich da. Ich bin sehr glücklich darüber . . .".
Für Jantje, 18, ist ihre Puppe Lotti unverzichtbar. "Die habe ich selber gemacht, als ich vor drei Jahren in einer psychosomatischen Klinik war. Meine beste Freundin ist damals ins Wachkoma gefallen, und ich konnte nicht mehr. Die konzentrierte Arbeit an Lotti hat mich am Leben erhalten, und gibt mir bis heute Kraft." Eine andere 17-Jährige brachte nur einen Schlüssel und ein Foto. Sie schreibt dazu: "Das ist meine Gastfamilie in den USA. Sie haben gesagt, ich könne immer wieder kommen und mir als Zeichen dafür ihren Hausschlüssel mitgegeben."
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Verletzen die Kreationen aus Papier, Stahl und Stoff die Heiligkeit des Kirchenraumes? Religionspädagoge Heumann winkt ab: "Ach was! Erstens gibt es im Protestantismus keine heiligen Räume. Und zweitens lehrt die Kirchen- und Christentumsgeschichte, dass sich am Ende doch immer die liberale, menschennahe Position durchsetzt. Dogmatismus hat keine Chance und schon gar nicht heute!"
REINHARD MAWICK
Die Ausstellung Megakultig@angetörnt findet vom 18. bis 26. Juni 2001 in der Lambertikirche in Oldenburg statt. Öffnungszeiten 10 bis 17 Uhr. Die öffentliche Preisverleihung ist am Dienstag, dem 19. Juni um 14.30 Uhr. Weitere Information bei der Oldenburgischen Landeskirche unter Telefon: 0441-7701-441
Chrismon-Plus-Redakteur REINHARD MAWICK, 35, errichtete nach dem Mord an John Lennon 1980 für einige Monate in seinem Zimmer einen Altar mit dem Lennonbild aus dem Weißen Album. Es hat ihm nicht geschadet.
Fotograf NIKOLAI WOLFF, 34, aus Bremen hatte viel Spaß an den Kids und ihren Exponaten. sein Motto an diesem Tag: Let's see what happens! (Mal sehen, was passiert!)