Diese Geschichte von Ihnen
- Pressestimmen -
Schauspiel von John Hopkins
Spielzeit 2000
Inszenierung: Jan Kuhlmann, Jan Friedrich Eggers

Dem Schock folgt Nachdenken
Das "Theater zwischen den Stühlen" bot erstklassigen Theaterabend

"Er hat bekommen, was er verdient hat, nur was er verdient hat!" Mit haßerfüllter Stimme wirft Sergeant Johnson seiner Frau diese Worte entgegen, überzeugt, das Richtige getan zu haben. Der mutmaßliche Kinderschänder Baxter ist tot, totgeprügelt von ihm, dem Gesetzeshüter.

Das "Theater zwischen den Stühlen" hat sich mit diesem Stück von John Hopkins, "Diese Geschichte von Ihnen", wahrlich kein leichtes ausgesucht. Der sexuelle Mißbrauch von Kindern ist ein Thema von aktueller Brisanz. Immer wieder erschüttern schlimme Schlagzeilen die Nation und nicht selten wird der Ruf laut nach härteren, endgültigeren Strafen für die Täter. Der Polizist Johnson hat sein Urteil gefällt, er tötet den Mann, der vier kleinen Mädchen das Leben zerstört hat. Doch diese Tat ist nicht Mittelpunkt des Stückes. Johnson selbst mit all seinen unterdrückten Gefühlen, seiner inneren Zerrissenheit, die ihn selbst zum Täter werden lassen könnte, ist der Dreh- und Angelpunkt dieses Theaterabends.

Die Delmenhorster Schauspieltruppe bringt Hopkins Stück ohne die von den Boulevard-Medien nur zu oft entfaltete Sensationslust auf die Bühne und präsentiert dem Publikum im gut besetzten Kleinen Haus ein Stück, das schockiert, fassungslos macht und gleichzeitig zum Nachdenken anregt. Ohne dem Stück eine aufgesetzte Theatralik zu verleihen, setzt das Ensemble die schwierigen Charaktere in Szene.

Fenja Klevenhusen spielt Johnsons Ehefrau Maureen, die immer wieder versucht, einen Zugang zu ihrem Mann zu finden, mit genau der richtigen Mischung aus Verzweiflung und Mitleid. Still vor sich hin leidend erträgt sie mit gequälter Miene alle Beleidigungen ihres Mannes, steckt Schläge weg, um dann selbst auszuteilen. Und auch Daniel Schulz als Johnsons Vorgesetzter Cartwright gibt gekonnt den aalglatten, um eine schnelle Lösung bemühten Chef.

Jens Hollwedel, der kurzfristig für Matthias Schmidt einsprang, brillierte als Baxter. Zu Beginn seiner polizeilichen Verhöre noch ängstlich und verschüchtert, verleiht er Baxter im Laufe des Stückes durch gekonntes Spiel die Sicherheit und das Wissen um seine ausgelebte Macht, die letztendlich dazu führt, daß Johnson ihm unterliegt. Unbestrittener Beherrscher der Bühne war jedoch der herausragende Jan Friedrich Eggers. Sah man ihn in der letzten Aufführung des Ensembles noch als eitlen Schauspieler Garry, stellte er und mit ihm die gesamte Truppe mit "dieser Geschichte" erstklassige Vielseitigkeit unter Beweis. Mit perfekt akzentuierter Gestik läßt er das Publikum teilhaben am zerrütteten Seelenleben Johnsons, der Baxter nicht aus Haß tötet, sondern aus Neid auf dessen ausgelebte Phantasien. Mal mit verachtend ruhiger, mal mit wahnsinnig-fanatisch lauter Stimme führt Eggers Johnsons selbstzerstörerischen Kampf und findet dabei genau den richtigen Ton, der gleichzeitig für Faszination und Entsetzen sorgt.

Wohlüberlegt war der szenische Einfall, Johnsons Gedanken mit einem Tanzduo (Fabio Palombo und Anne-Kathrin Bödeker) als visuellen Gegenpol zu den starken Dialogen auf die Bühne zu bringen. Ebenso gelungen mutet die szenische Mischung des zweiten und dritten Aktes an, die dem Publikum Johnsons Verhöre mit Baxter als Rückblick in seinem Gespräch mit Cartwright präsentiert.

Jan Kuhlmann und Jan Friedrich Eggers haben mit ihrem gesamten Team ein Theaterstück geboten, daß das Publikum begeisterte. Durch erstklassige Schauspieler, einfaches, aber wirkungsvolles Bühnenbild zeigten sie wieder einmal, daß das "Theater zwischen den Stühlen" längst mehr als nur eine Laienspieltruppe ist. Respekt vor so viel Engagement und Klasse.

Kerstin Spanke, Delmenhorster Kurier, 11.9.2000


Mit ausgefeilten Charakterstudien
Amateure vom "Theater zwischen den Stühlen" boten fesselndes Drama im Kleinen Haus

Für etwaige Unsicherheiten von Darsteller Jens Hollwedel entschuldigte sich das Ensemble "Theater zwischen den Stühlen" vorab - zu Unrecht, wie sich nach der Premiere des John-Hopkins-Schauspiels "Diese Geschichte von Ihnen" herausstellte. Schauspielschüler Hollwedel war kurzfristig für Matthias Schmidt eingesprungen und ließ dabei alles andere als Unsicherheiten in seinem Spiel erkennen.

Fesselndes Theater bot das ambitionierte Amateurensemble unter der Regie von Jan Kuhlmann im Kleinen Haus. Zählte der Dürrenmatt-Klassiker "Die Physiker", mit dem das "Theater zwischen den Stühlen" im vergangenen Herbst debütierte, noch zur Pflichtlektüre an den Schulen und bescherte damit unter anderem dem Ensemble ein ausverkauftes Haus, so füllte das selten gespielte Psychodrama noch nicht die Reihen.

Das dürfte sich bei den kommenden Vorstellungen ändern. Mit erstaunlich hoher Glaubwürdigkeit, Darstellungsfähigkeit und ausgefeilten sprachlichen Charakterstudien zogen die fünf Darsteller das Publikum in ihren Bann.

Der Titel "Diese Geschichte von Ihnen" verrät alles und nichts zugleich: Polizist Johnson (Jan Eggers) ist um Aufklärung in einem Kinderschänder-Fall bemüht. In Makler Baxter (Hollwedel) meint Johnson den vermeintlichen Täter gefunden zu haben, er tyrannisiert ihn im Verhör, wird so aggressiv, daß er ihn umbringt. Soweit der vordergründige Handlungsplot. Was sich allerdings in den Köpfen der "Täter" abspielt, arbeiteten Eggers und Hollwedel zudem Schritt für Schritt heraus.

Als eine geglückte Inszenierungsidee stellte sich die Zusammenlegung des zweiten und dritten Aktes heraus. Das Verhör des Polizisten auf der einen Seite und das Verhör des vermeintlichen Täters Baxter auf der anderen Seite. Dies erforderte ein hohes Maß an Anspruch von Eggers, der im fließenden Übergang von der Rolle des mächtigen Rechtsvertreters in die Rolle des ohnmächtigen Angeklagten wechselte, und dies beeindruckend meisterte.

Das Stück lebt von seiner Sprache und dem Ausdruck seiner Darsteller, nicht von Requisiten und nicht von jedweder Turbulenz. Abgesehen von effektvollen Aggressionsausbrüchen gibt es keinerlei Aktionsbedarf. Um das mögliche Defizit zu kompensieren, integrierte die Inszenierung zwei Tänzer, Fabio Palombo und Anne-Kathrin Bödeker, die anfangs abstrakt und später um so deutlicher in ihrem Ausdruckstanz wurden. Diese Deutlichkeit hätte nicht zwingend Not getan, da die Worte der Phantasie Qualität genug boten.

Julia Dührkop, Delmenhorster Kreisblatt, 11.9.2000


Wechselspiel der Emotionen
Gelungene Premiere mit John Hopkins "Diese Geschichte von Ihnen"

"Warum bist du nicht schön?", schreit Detektivsergeant Johnson seiner Ehefrau Maureen entgegen. "Ich habe mir immer etwas Schönes gewünscht!" - Mit emotionsgeladenen Gefühlsausbrüchen, erschreckender Szenerie und aggressiven Dialogen gelang es dem Ensemble "Theater zwischen den Stühlen", einen blutroten Faden für John Hopkins bedrückendes Stück "Diese Geschichte von Ihnen" zu ziehen. Teils irritiert und nachdenklich, sogar teils schockiert verließen die Theaterbesucher nach der Premiere am Freitag das Kleine Haus.

In einen verzweifelten Kreislauf geraten, prügelt Detektivsergeant Johnson (Jan Friedrich Eggers) den angeblichen Sexualverbrecher Baxter (Jens Hollwedel) zu Tode. Das ganze Elend und die grausamen unbegreiflichen Verbrechen, die Johnson in seinen zwanzig Dienstjahren begegnet sind, haben seine eigenen Gedanken und seine Seele längst zermartert. Doch das Opfer seiner aufgestauten Aggressionen ist nicht nur Baxter. Auch seine Ehefrau Maureen (Fenja Klevenhusen) läßt er seine Verzweiflung und Frustration spüren. Liebevoll versucht sie ihm zu helfen, doch Johnson läßt dies nicht zu. Die Erlebnisse haben ihn kalt und zynisch gemacht.

Mit grausamer Stimme - mal schreiend, mal psychopathisch leise -, sowie mit zorniger Gestik und Mimik, gelang es Jan Friedrich Eggers, die selbstzerstörerischen Züge des Detektivsergeant hervorragend darzustellen. Fast beängstigend projizierte er seine geballten Gefühle nicht nur auf die Figuren des Stückes, sondern auch auf das Publikum. Nicht zuletzt sorgte Fenja Klevenhusen als Maureen für eine dramatische Zuspitzung der Szenerie. Als Johnsons Gegenpol versuchte sie immer wieder Hoffnung in das verzweifelte Gedankenmeer ihres Gatten zu bringen. Wellen der Emotionen zogen über die Bühne.

Fast filmtechnisch und perfekt in Szene gesetzt hatte das Ensemble die zwei Verhörsituationen: Im rechten Bühnenvordergrund wurde Johnson selbst von Chefinspektor Cartwright (Daniel Schulz) zu den Vorfällen befragt, wobei er im Laufe der Handlung selbst zum Täter wurde. Auf der linken Seite spielte sich rückblickend das Verhör von Baxter ab. Jeweils durch Beleuchtung betont konnte der Theaterbesucher den wechselnden Geschichtsabschnitten bildlich folgen.

Großes Lob verdiente sich Jens Hollwedel in der Rolle des Baxter. Überlegen und mit stetig wechselnden Gemütszuständen gelang es ihm, den Charakter des grausamen Sexualverbrechers darzustellen. Faszinierend wickelte er den Detektivsergeant in seine kriminellen Phantasien ein, bis die Abscheu Johnsons gegen ihn in Neid umschlug. "Sie jämmerliche, kleine, traurige Figur", wirft Baxter, der Johnson längst durchschaut hatte, schließlich dem Polizisten vor.

Parallel zum Geschehen im Bühnenvordergrund fügte sich ein Tänzerpaar (Anne-Kathrin Bödeker und Fabio Palombo) fast harmonisch in die dramatische Handlung ein. Durch langsame und ästhetische Bewegungen untermalten sie optisch die Gedankenwelt Johnsons. Schemenhaft durchstreiften sie die Darbietung und rückten mit der zunehmenden Tragik immer mehr in der Vordergrund.

Das vom Ensemble gewählte karge Bühnenbild unterstrich fabelhaft die Gefühlskälte der dargestellten Figuren. Lediglich an die Wand gemalte Herzfrequenz-Zacken zeugten von innerem Leben.

Nicole Baumann, Delme Report, 10.9.2000


Jonny gibt das Rauchen auf
Spannendes Theater vor kleiner Kulisse

Viel Mut beweist die junge Truppe des "Theater zwischen den Stühlen". Am Freitag brachte sie eine sehenswerte Inszenierung über berufliches und persönliches Scheitern auf die Bühne des Kleinen Hauses.

"Diese Geschichte von Ihnen" (so der Titel des Stückes) ist schnell erzählt. Jonny Johnson ist seit zwanzig Jahren Polizist. Erfolglos, muß man sagen. Nur eine Beförderung in all der Zeit, das ist verdammt wenig. Dabei geht er nicht etwa nur Streife. Nein, Jonny erlebt und sieht in all den Jahren viel Grausames. Seine Ehe, auch das muß man zugeben, ist nicht so, daß sie ihm Halt und Kraft gäbe, die beruflichen Härten zu verdauen. Im Gegenteil.

Das Stück des Engländers John Hopkins zeigt 24 Stunden im Leben dieser kleinen, schwierigen Existenz, Stunden der Begegnung mit seiner Frau, seinem Vorgesetzten, einem Verhafteten.

Eindringlich und nachvollziehbar spielt Jan Friedrich Eggers diesen Verlierer, überzeugend an seiner Seite Fenja Klevenhusen und Jens Hollwedel. Die Tänzer Anne-Kathrin Bödeker und Fabio Palombo geben dem Stück zusätzliche Überzeugungskraft. Wer kann, sollte das Spiel dieser fünf nicht versäumen. Und danach die Frage beantworten: Warum gibt Jonny das Rauchen auf?

Kreisblatt am Sonntag, 10.9.2000