Die Physiker
- Pressestimmen -
Schauspiel von Friedrich Dürrenmatt
Spielzeit 1999
Inszenierung: Jan Friedrich Eggers

Die irrsinnigen Physiker brillierten
Neues Ensemble "Theater zwischen den Stühlen" überzeugte mit Dürrenmatt-Inszenierung

"Was einmal gedacht wurde, kann nicht mehr zurückgenommen werden" - das zeigte sich am Freitag im Kleinen Haus bei der Inszenierung von Friedrich Dürrenmatts "Die Physiker". Das neu gegründete Delmenhorster Theaterensemble "Theater zwischen den Stühlen" brachte die Paradoxie des Stückes hervorragend zum Ausdruck.

Das Stück, das in seiner geistigen Problematik bestürzend, faszinierend, fesselnd aber auch amüsant ist, zeugt von den Gefahren der wissenschaftlichen Ergebnisse, wenn sie in falsche Hände geraten. Drei berühmte Physiker leben in einer Irrenanstalt. Alle drei sind angeblich verrückt, denn einer glaubt, er sei Newton (Jan Friedrich Eggers), der zweite hält sich für Einstein (Timo Fuchs), und der dritte und genialste, Möbius (Matthias Schmidt) mit Namen, meint, daß der Geist des Königs Salomon ihm erschienen ist.

Nacheinander bringen die Physiker im Laufe des Stückes ihre Krankenschwestern um. Chefärztin Dr. Mathilde von Zahnd (Betti Keese) nimmt die Morde kühl und gelassen hin. Sie schützt ihre Patienten zum Verdruß des Kriminalinspektors Richard Voß (Tillmann Seidel).

Nach einer anfangs etwas schleppenden Dialogie einer Akteure gewann die Inszenierung im zweiten Teil schließlich an Rasanz und Spannung: Das Geheimnis der Physiker lüftet sich. Alle drei sind Simulanten. Möbius spielt aus moralischen Gründen den Irrsinnigen, die beiden anderen aber sind von ihren Regierungen (einer westlichen und einer östlichen) ausgesandte Geheimdienstagenten (Eisler und Kilton), die sich um jeden Preis in den Besitz der Möbiusschen Formeln setzen sollen. Durch die Morde wollten alle drei ihre "Verrücktheit" beweisen.

Möbius wird zum Gefangenen der beiden Agenten: "Sie sind ein Genie und somit Allgemeingut", betonen beide. Doch der geniale Physiker überzeugt Eisler und Kilton: "Entweder löschen wir uns im Gedächtnis der Menschen aus, oder die Menschheit erlischt." Alle ziehen schließlich die Anstalt der Realität vor. Sie wollen ihr Genie nicht länger in den Dienst der Politik stellen und entwickeln eine ethische Verantwortung für die Menschheit. "In der Freiheit sind unsere Gedanken Sprengstoff."

Doch dann schließt sich der Kreis. Die Ärztin Zahnd hat die Möbiusschen Aufzeichnungen an sich gebracht und will mit dieser Macht die Welt ins Verderben stürzen. Durch diese teuflische Wendung der Dinge werden die Physiker, nun keine freiwilligen Insassen mehr, Gefangene der irrsinnigen Ärztin.

Mit der Spannungs- und Überraschungstechnik hat das Ensemble die Tragikkomödie der Repräsentanten der Wissenschaft von Dürrenmatt erfolgreich und intelligent dargestellt. Vor allem die drei Hauptdarsteller, Eggers, Fuchs und Schmidt, brillierten in ihren Rollen. Die Nebendarsteller brachten durch Witz, Mimik und Gestik das Publikum immer wieder zum Schmunzeln. Betti Keese als Ärztin von Zahnd hätte es jedoch besser gestanden, die Theatralik in ihrem Schlußplädoyer etwas zu zügeln.

Alles in allem war das Stück jedoch eine sehr gelungene Inszenierung. Das Publikum belohnte die exzellente Vorstellung mit einen langen Schlußapplaus und "Standing Ovations".

Nicole Baumann, Delme Report, 26.9.1999


Politikerporträts als Regiegags
Theater zwischen den Stühlen debütierte im Kleinen Haus mit "Die Physiker"

Wie die Orgelpfeifen aufgereiht, versuchen sich die drei Sprößlinge des Physikers Möbius an der Flöte. Gerade mal der erste Akkord erwies sich noch als stimmig. Somit konnten nicht wenige Eltern am Freitag im Kleinen Haus vermutlich den aus der Haut fahrenden Vater verstehen. Abrupt ließ Möbius das schräge Flötenspiel beenden.

Diese Szene aus Dürrenmatts Tragikkomödie "Die Physiker" war nicht die einzige von komischer Natur. Das neu gegründete Ensemble "Theater zwischen den Stühlen" wußte mit originell-dezenten Gags den inhaltsschweren Klassiker über Machtstrukturen, mögliche Konsequenzen verantwortungslos mißbrauchter Wissenschaft und daraus resultierender Gefühlskälte aufzulockern. Auch beim Abtransport der "Leichen" erwiesen sich Gabor Vosteen und Eric Mansholt in den Rollen Polizisten als überaus höflich. Mehrmals begrüßten sie das Publikum mit einem freundlichen "Guten Abend" und baten einen Zuschauer, doch bitte die Tür zu öffnen.

Ebenfalls als ein einfallsreicher Regiegag entpuppte sich das Porträt von Helmut Kohl, das zwischenzeitlich von einem Gerhard-Schröder-Bild abgelöst wurde. Wenn die Machtinhaber, die im Hintergrund die Fäden in den Händen halten, schon nicht persönlich erschienen, dann gab es doch stellvertretend die Porträts zu sehen. Das Publikum freute sich jedenfalls, persönlich angesprochen zu werden, beziehungsweise die "Mächtigen" so personifiziert an den Pranger gestellt zu sehen. Dieses Beispiel zählt schon zu den effektvoll, aber wenig kostenaufwendig gestalteten Requisiten.

Auch die mit Aluminium bedeckten Wände etwas verziert von Spielsplittern, die auf die gespaltenen Persönlichkeiten der Bewohner des Irrenhauses verweisen, komplettieren die Ausstattung.

Bemerkenswert sind neben der liebevoll arrangierten Inszenierung von Jan Friedrich Eggers, der damit sein Regiedebüt präsentierte, die darstellerischen Leistungen der jungen Laien. Besonders Matthias Schmidt und Eggers wußten sich in Szene zu setzen und bewiesen damit Bühnenpräsenz.

Betti Keese in der Rolle des stahlharten und frostig wirkenden Fräulein von Zahnd wußte mit meist versteinerter Miene und ihrer sonoren Stimme die Figur stark zu spielen.

Daß das Stück in seiner Aktualität nichts eingebüßt hat, davon kann sich jeder sein eigenes Bild machen. Möglichkeiten gibt es dazu noch am 29. September und am 1. Oktober, jeweils um 20 Uhr im Kleinen Haus. Karten sind in der Buchhandlung Ruppert und an den beiden Gymnasien erhältlich.

Julia Dührkop, Delmenhorster Kreisblatt, 26.9.1999


Zum Schutz der Menschheit in die Anstalt
Delmenhorster "Theater zwischen den Stühlen" führte Dürrenmatts Physiker im Kleinen Haus auf

Genie und Wahnsinn, das besagt zumindest der Volksmund, liegen dicht beieinander. In manchen Fällen so dicht, daß sich kaum unterscheiden läßt, ob der Betroffene noch im Stadium des Genies verharrt oder bereits in den Zustand des Wahnsinns übergetreten ist. Das "Theater zwischen den Stühlen", ein neugegründetes Delmenhorster Ensemble, spielte am Freitag Friedrich Dürrenmatts "Die Physiker" - ein Stück, das beweist: Das angeführte Zitat ist wahr.

Die Geschichte beginnt, ganz im Stile eines Krimis, mit dem Fund einer Leiche. Es handelt sich um Schwester Dorothea, die in einer Irrenanstalt ihren Dienst verrichtete, bis sie dem Kabel einer Stehlampe zum Opfer fiel. Der Täter ist der selbsternannte Albert Einstein (Timo Fuchs), der seit zwei Jahren in der Klinik lebt und seine Umwelt mit seiner Geigerei nervt. Natürlich kann der offensichtlich Geisteskranke für sein Handeln nicht zur Rechenschaft gezogen werden, ebensowenig wie der Täter, der kurz zuvor ebenfalls eine Krankenschwester umlegte: Isaac Newton (Jan Friedrich Eggers), wie Einstein seit zwei Jahren in der Irrenanstalt.

Das Aufgebot an geisteskranken Physikern wird durch Johann Wilhelm Möbius (Matthias Schmidt) abgerundet, der seit 15 Jahren in der Anstalt lebt, und dessen Zustand unverändert ist. Ihm erscheint nach eigenen Angaben der König Salomo und versorgt ihn mit allerlei Erkenntnissen aus dem Bereich der Physik. Im Verlauf des Stückes wird dem Zuschauer allerdings deutlich, daß Möbius keineswegs verrückt ist, sondern seine Krankheit spielt. Schwester Monika (Fleur Poad), die für seine Pflege zuständig ist, hat diese Tatsache bemerkt und sich zudem noch in den Physiker verliebt, was dazu führt, daß ihr das gleiche Schicksal wie ihren Kolleginnen widerfährt. Somit gibt es am Ende des ersten Aktes drei Leichen und drei Mörder, allesamt mehr oder weniger verrückte Physiker.

So weit, so gut. Im zweiten Teil des Stückes wird jedoch klar, warum "Die Physiker" in den 80er Jahren zu den meistgespielten deutschsprachigen Bühnenwerken gehörte: Die Aussage des Werkes ist gleichermaßen einleuchtend und erschreckend.

Bei einem Zusammentreffen von Newton, Einstein und Möbius stellt sich heraus, daß alle drei ihre Krankheit simulieren. Newton ist in Wirklichkeit Herbert Georg Beutler, Einstein entpuppt sich als Ernst Heinrich Ernesti, beide arbeiten für den Geheimdienst ihres jeweiligen Landes. Nur Möbius ist und bleibt Möbius und soll ausspioniert werden, denn keiner will so recht an seine plötzliche Geisteskrankheit glauben.

"Sie sind ein Genie und somit Allgemeingut", sagt Beutler. Doch Möbius hat allen Grund, seine Forschungsergebnisse für sich zu behalten. Die Erkenntnisse sind zwar grundlegend für die Physik, ihre Folgen für die Menschheit allerdings nicht abzusehen. Um sich vor dem Schicksal eines Albert Einstein zu schützen, dessen Berechnungen letztendlich den Bau der Atombombe ermöglichten, verbrennt Möbius seine Manuskripte und beschließt, weiter den Verrückten zu mimen.

Doch der Entschluß, den die anderen Physiker mittragen, hat keine Konsequenzen mehr, das Schicksal der Menschheit nimmt seinen Lauf. Fräulein Dr. Mathilde von Zahnd (Betti Keese), Leiterin der Klinik, hat das Gespräch zwischen den drei Physikern abgehört, nachdem sie Möbius' Manuskripte kopierte und veröffentlichte. Sie ist die wirklich Verrückte; ihr Handeln läßt sich nicht mehr zurücknehmen, und die Welt steuert ihrem Verderben entgegen. Konsequenterweise endet das Stück damit, daß die drei Physiker tatsächlich durchdrehen, Beutler hält sich für Newton, Ernesti sich für Einstein, und Möbius erkennt in sich den armen König Salomo: "Meine Weisheit zerstörte meine Gottesfurcht, nun sind die Städte tot, die ich regierte."

Die erste Produktion des "Theater zwischen den Stühlen" ist gelungen, allerdings liegt ein Teil des Erfolgs auch in der Qualität des Stoffes begründet. Eine Kompliment ist Jan Eggers für seine erste eigene Inszenierung und die schauspielerische Leistung zu machen. Fazit: Die lokale Kulturszene ist um eine engagierte Theatertruppe reicher geworden.

Birgit Stamerjohanns, Delmenhorster Kurier, 27.9.1999


Gelungener Einstieg

Die Premiere war ein voller Erfolg. Mit stehend dargebrachten Ovationen wurde das junge Ensemble des "Theater zwischen den Stühlen" am Freitag abend im gut gefüllten Saal des Kleinen Hauses minutenlang gefeiert. In der rund zweistündigen Aufführung des Stückes "Die Physiker" zeigten die Schüler und Studenten ihre Interpretation der Komödie Friedrich Dürrenmatts.

Das Stück handelt von Macht und Einfluß und Vernunft, damit umzugehen. Die Charaktere befinden sich in einem permanenten Stellungskampf um ihre Positionen, die immer wieder neu abgesteckt werden. Der im Irrenhaus lebende Physiker Möbius (Matthias Schmidt) entpuppt sich als ein 'vernünftiger' Mensch, seine 'Mitpatienten' Einstein (Timo Fuchs) und Newton (Jan Friedrich Eggers) als kühl kalkulierende Geheimagenten und die Chefärztin Dr. Mathilde von Zahnd (Betti Keese) als die einzig wahrhaft Verrückte.

Auch der Saal wurde zeitweise als Bühnen genutzt, und die Schauspieler bezogen das Publikum mit ein. "Ach, machen Sie doch bitte mal die Tür auf", fragten die Polizisten Blocher (Gabor Vosteen) und Guhl (Eric Mansholt), als sie die Leiche der Krankenschwester Monika (Fleur Poad) abtransportierten. Das Publikum dankte mit jubelndem Beifall für diesen Einfall.

Das Ensemble "Theater zwischen den Stühlen" ist am Mittwoch, 29. September, und Freitag, 1. Oktober, mit weiteren Aufführungen der "Physiker" im Kleinen Haus zu sehen. Beginn ist jeweils um 20 Uhr.

A Eins am 26.9.1999