03_Der Anbau oder die “Neue Kirche”
Der heutige Eingang führt in ein Seitenschiff, das die "Neue Kirche" genannt wird. Dieser Anbau wurde der Kirche im Jahr 1540 während der Reformierten Zugehörigkeit infolge des Bevölkerungszuwachses angefügt. Er wurde möglicherweise von Fräulein Maria von Jever gestiftet.
Maria als Stifterin des Anbaus lässt sich nicht eindeutig belegen, zumal sie selbst katholisch geblieben, ihr Jeverland nach der Reformation ev.-luth. wurde. Im Jeverland hat es viele Dispute gegen die Reformierte Kirche und Prediger gegeben, einige sind auch des Landes verwiesen worden. Daher ist es nur schwer vorstellbar, dass sie durch eine derartige Kirchenstiftung diesen Glauben tatkräftig unterstützte. Urkundlich belegt ist allerdings die Abtretung eines Flurstücks zum Unterhalt der Kirche.
So gingen von nun an die Fedderwarder Männer und Frauen gemeinsam durch diesen Eingang in ihre Kirche.
Wir erreichen das Innere der Kirche. Zur Linken befindet sich ein barock geformter "Fürstenstuhl". Ursprünglich stand er viel höher auf der nicht mehr vorhandenen Süd-Empore im lang gezogenen Kirchenschiff. Der Fürst von Knyphausen durfte hoch oben in diesem Gestühl dem Gottesdienst hinter Glas beiwohnen.
Die Schreibweise Kniphausens hat sich im Laufe der Zeit mehrfach geändert von Kniephausen, Knipens, Knyphausen bis zu der noch heutigen Form Kniphausen.
Knyphausen mit „y“ steht für die noch existierende Lütetsburger Nebenlinie.
Obwohl Kniphausen im 18. Jahrh. oftmals als Duodezfürstentum bezeichnet wurde, war es niemals ein selbständiges Fürstentum und unterstand auch nie einem Fürsten. Das ist historisch falsch. Duodezfürst war die ironische Bezeichnung für die Regenten eines Kleinstaates (Duodezfürstentum).
Der an die Person gebundene Titel Fürst wurde nur einmal einem Lütetsburger Knyphauser verliehen. Bei der im Volksmund „Fürstenstuhl“ genannten Loge handelt es sich vermutlich um einen barocken sogenannten Bauernstuhl eines reichen Bauern, wie er in ähnlicher Ausführung auch in anderen Kirchen Z.B. in Tettens noch vorhanden ist. Wegen seines prächtigen Aussehens haben die Fedderwarder ihn möglicherweise auch als Fürstenstuhl bezeichnet.
Neben dem "Fürstenstuhl" steht ein mit starken Stahlbändern eingefasster und mit zwei Schlössern versehener Opferkasten, der als Tresor für das Geld der Armenkasse gedient hat. Es existiert ein Buch, in dem die Einnahmen und Ausgaben in der Zeit von 1763 bis 1905 verzeichnet sind. Die Armenkasse unterstützte Witwen und Waisen und andere in Not geratene Menschen. Auch konnte Geld aus diesem Tresor zinslos verliehen werden. Zwei Schlösser stellten sicher, dass nicht nur einer alleine über das Geld in der Kasse verfügen konnte.
Zur Rechten sehen wir noch den Rest des alten Kirchengestühls, das 1731 eingebaut wurde. Bis dahin mussten die Menschen in der Kirche stehen. Die strenge Ausrichtung des Gestühls mit Blickrichtung auf die Kanzel entspricht der reformierten Kirchengestaltung. Die Lehnen sind mit gedrechselten, rötlichen Stäben verziert, die Höhe der Lehnen nimmt zur Kanzel hin ab.
Neben dem Kirchengestühl im Eingangsbereich unserer Kirche
hängt rechts an der Wand die barocke Schrifttafel mit Porträt des Predigers und Consistorialrates Nicolaus Armbster.
Sie zeigt das Portrait
eines lutherischen Pastors mit
ernsthaftem Blick und barocker
Lockenperücke, die
u.a. auch das Statussymbol
des gehobenen
Standes darstellte. Dem
Text ist zu entnehmen,
dass diese Tafel zum
Gedenken an den Consistorial
Rath und ersten
Prediger Nicolaus
Armbster 1762 von
seinen Kindern gestiftet
worden ist.
Nicolaus Armbster war
neben dem Magister Hoppius,
dessen Epitaph sich an der
Wand neben der Kanzel befindet und
dessen Biographie im Gemeindeboten
2014, Nr.2 beschrieben ist, einer
jener frühen Pastoren, die in unserer
Gemeinde nachhaltige Spuren hinterlassen
haben. Geboren wurde Nicolaus
Armbster am 1. Mai 1672
in Uthlede, Kreis Cuxhaven
als Sohn des dortigen
Pastors Liborius Armbster
und seiner Frau Mette.
Nach Abschluss des Theologiestudiums
und nach
seiner Ordination im
Jahr 1698 kam er als
26-jähriger „Unterprediger“
nach Fedderwarden.
Hier löste er Christianus
Faselius ab, der
an St. Stephanus nun
zum 1. Pastor aufrückte.
In jener Zeit gab es in Fedderwarden
im Allgemeinen immer
zwei Pastoren: Einen 1. Pastor,
auch Pastor Primarius oder Oberprediger
genannt und einen zweiten,
meist jüngeren Vicarius oder Unterprediger.
Als Dienstwohnung diente
ihnen die sogenannte Zweite Pastorei,
die 1385 durch den damaligen
Kirchherrn, Magister Ulrich eigens
als Wohnsitz für die zweiten Pastoren
erbaut worden war. Nach
ihr ist übrigens auch der Pastorenweg
benannt. Heute wird sie
vom Ehepaar Faust bewohnt.
Nach neunjähriger Amtszeit als
Unterprediger wurde Armbster 1707
vom Grafen Anton II. von Aldenburg,
der gerade die Regentschaft
über die Herrlichkeit Kniphausen angetreten
hatte, als Nachfolger von
Faselius zum Oberprediger berufen.
Da mit der Berufung auch eine entsprechende
Einkommensverbesserung
verbunden war, heiratete er
noch im gleichen Jahr Adelheid Porbecken.
43 Jahre später, als er mit 78
Jahren als Pastor Primarius noch immer
in Amt und Würden war, berief
Gräfin Charlotte Sophie von Bentinck
ihn als Consistorial Rath in ihr
gräfliches Kabinett. Nach lutherischem
Verständnis war die Landesherrin
damals noch das geistliche
Oberhaupt ihres Herrschaftsbereiches
mit der Kompetenz eines Bischofs.
In religiösen und kirchlichen
Angelegenheiten stand ihr ein Konsistorialrat
beratend zur Seite, der zugleich
auch die Aufgaben der kirchlichen
Verwaltungsbehörde ausübte
und darüber hinaus auch für Eheangelegenheiten
und für das Schulwesen
zuständig war.
Als Nicolaus Armbster 1750 sein
Amt antrat, befand sich Kniphausen
gerade in einer recht turbulenten
Phase. Im Wesentlichen war sie eine
Folge von Sophies Scheidung von ihrem
holländischen Gemahl Graf Wilhelm
von Bentinck, in die am Ende
schließlich sowohl der kaiserliche
Hof in Wien als auch der dänische
und der preußische König involviert
waren. Außerdem schwelte zu der
Zeit, zumindest unterschwellig, noch
immer ein Streit zwischen Reformierten
und Lutheranern um die Vormachtstellung
in der Herrlichkeit.
Unter diesen Umständen war es der
Gräfin wohl sehr daran gelegen,
einen lebens- und berufserfahrenen
Berater an ihrer Seite zu haben.
Armbster hatte insgesamt 61 Jahre
seines Lebens in Fedderwarden verbracht,
davon alleine 60 Jahre im
priesterlichen Amt. Ein Zeichen dafür,
dass er sich hier immer sehr
wohlgefühlt hat und auch in der Gemeinde
sehr beliebt war. In Fedderwarden
hat er auch sein goldenes
Priesterjubiläum erlebt. Dazu findet
sich in einer Chronik folgender Vermerk:
„Anno 1748 hat er im 76 sten
Jahre seines Alters, sein Jubileum
ministeriale bey frischer Gesundheit
gefeyret“.
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