Die Physiker  
Komödie von Friedrich Dürrenmatt
Uraufführung 21. Februar 1962 Zürich, Schauspielhaus


Premiere: 24. September 1999

Besetzung
Fräulein Doktor Mathilde von Zahnd : Betti Keese
Oberschwester Marta Boll : Naomi Porip
Schwester Monika Stettler : Fleur Paod
Oberpfleger Sievers / Polizist Blocher : Gabor Vosteen
Pfleger McArthur / Polizist Guhl : Eric Mansholt
Herbert Georg Beutler, genannt Newton : Jan Friedrich Eggers
Ernst Heinrich Ernesti, genannt Einstein : Timo Fuchs
Johann Wilhelm Möbius : Matthias Schmidt
Missionar Oskar Rose : Eric Mansholt
Frau Missionar Lina Rose : Fleur Poad
Adolf-Friedrich, Wilfried-Kaspar, Jörg-Lukas : Eric Claaßen, Johannes Woltjen, Lukas Hoffmann
Kriminalinspektor Richard Voß : Tillmann Seidel


Inszenierung: : Jan Friedrich Eggers
Bühnenbild: : Jana Meier, Lisa-Mia Schaich


zum Werk:

Der Physiker Möbius flüchtet sich in ein Irrenhaus. Er fingiert die Verrücktheit seiner Person, nimmt sich selbst absichtlich alle Glaubwürdigkeit, um die Welt vor seinen Forschungsergebnissen und den damit ermöglichten Machtmitteln zu bewahren. Doch sein Ziel, der Schutz der Menschheit, ist nicht mehr erreichbar. Getreu dem Vorsatz des Autors, nach dem eine Geschichte erst dann zu Ende gedacht ist, wenn sie die schlimmstmögliche Wendung genommen hat, entlarven sich Möbius' Mitpatienten als Geheimdienstspione, die Chefärztin des Irrenhauses, Fräulein Doktor von Zahnd, erweist sich als die einzig wahrhaft Verrückte. Die Bewahrung der Menschheit vor dem Wissen schlägt fehl: Die verrückte Irrenärztin bemächtigt sich der gefundenen physikalischen Formeln und strebt die Weltherrschaft an. Friedrich Dürrenmatts Komödie zählt wohl zu den meistgespielten deutschsprachigen Stücken der Nachkriegszeit, und obwohl das Irrenhaus der "Physiker" bereits seit annähernd 40 Jahren in den Theaterhäusern zu finden ist, beeindruckt Dürrenmatts Werk mehr denn je durch bestechende Aktualität. Dem Autor ist ein ihm eigener Kunstgriff gelungen, der vielleicht zu einem Teil den großen Erfolg der "Physiker" erklärt: Der Humor des Stückes, der gute anderthalb Stunden lang für bestes Amüsement sorgt, schlägt schlagartig um, und es bleibt die Frage, warum eigentlich gelacht wurde. Unabhängig davon, ob das Stück nun als nüchterne Bestandsaufnahme der Gefahren der Wissenschaft oder als Lehrstück mit appellativem Charakter gesehen wird - Hierüber läßt sich ausgiebig streiten -, so läßt sich doch in jedem Fall sagen, daß das Drama am Ende "keine makabre Groteske mehr [ist], sondern der beklemmende Fingerzeig, der uns vor die Wahrheit und in Verantwortung fordert." (Joachim Müller)



Keese, Mansholt, Vosteen, Poad



aus dem Programmheft:

In Friedrich Dürrenmatts Komödie "Die Physiker" geht es um Macht und Einfluß und um die Verantwortung und Vernunft, damit umzugehen. Doch wo Macht und Mächtige sind, muß es immer auch Entmachtete geben. Folglich entspinnt sich ein Geflecht von Hierarchien, von dem sich keine der handelnden Personen frei machen kann: Da zeigt sich die deutliche Abhängigkeit der Patienten vom Personal, aber ebenso werden auch in unscheinbareren Bereichen Rangordnungen sichtbar (zum Beispiel zwischen dem Inspektor und seinen Polizisten). Die Charaktere des Stückes befinden sich in einem permanenten Stellungskampf um ihre Positionen, die immer wieder neu abgesteckt werden. Über dieser Atmosphäre kommt die Verantwortung für das eigene Handeln zu kurz. Zu beschäftigt sind die Menschen, die Dürrenmatt präsentiert, mit dem Aushandeln ihres eigenen hierarchischen Ranges. Einzig Möbius erkennt eine Verantwortlichkeit, die ihm sein Gewissen auferlegt. Doch auch sein erfolgreiches Bemühen, seine beiden Mitpatienten "Newton" und "Einstein" von der Richtigkeit seines Tuns zu überzeugen, bleibt letztlich ohne Sinn, weil die machtbesessene Irrenärztin sich nicht überzeugen läßt. Dürrenmatt prangert nicht jegliche Wissenschaft als solche an, sondern zeigt die Gefahren ihrer Ergebnisse auf, wenn diese in falsche Hände geraten. Er führt den Betrachter seiner Komödie in eine deformierte Welt, deren Wirklichkeit zu einem Zerrbild unserer Realität geworden ist. Die in dieser Welt lebenden Personen sind scheinbar empfindungslos geworden, zumindest erschließen sich uns ihre Gefühlswelten nicht. Mehr noch: Wärme zwischen zwei Menschen darf nicht sein und muß notfalls durch einen Mord beendet werden.
Doch das besagt nichts über die tatsächliche Innerlichkeit der Personen. Dürrenmatt zeigt keine perfekten Menschen, sondern Individuen, die durch ihre Umwelt verformt wurden. Es bleibt daher die These, daß die Sehnsucht nach Empfindung und Gefühlen füreinander nach wie vor in den Charakteren besteht - auch in der von Zahnd - und trotz einer menschenverachtenden Umwelt nicht zerstört wurde, weil sie vielleicht gar nicht zerstörbar ist. Doch Dürrenmatt hat kein Stück geschrieben, wie es uns gefällt, nach dessen Genuß wir durch das Happy-End beschwingt nach Hause gehen können, nachdem das "ehrliche Gefühl" über die "tiefe Kälte" mutig gesiegt hat. Dürrenmatt denkt mit dem Stilmittel des Paradoxen, das das ganze Stück durchzieht, die angefangene Geschichte mit erbarmungsloser Konsequenz zu Ende. Und trotzdem ist der Handlungsort von unserer Realität gar nicht so weit entfernt. Wir sollen durch das Werk nicht von unserer Wirklichkeit entrückt werden, sondern im Gegenteil die Entsprechungen zu ihr erkennen. Dürrenmatt schreibt: "Im Paradoxen erscheint die Wirklichkeit. Wer dem Paradoxen gegenübersteht, setzt sich der Wirklichkeit aus."