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bellum iustum

Inhaltsverzeichnis

  1. Zum Begriff des bellum iustum
  2. Das Fetialrecht
  3. Karneades über die Kriege der Römer
  4. Cicero über die Kriege der Römer
  5. Zu Ciceros Bild von der römischen Geschichte

Zum Begriff des bellum iustum

Es scheint, dass bellum iustum ursprünglich lediglich „regelgerechter Krieg“ bedeutete, wobei „regelgerecht“ vor allem die Art der Eröffnung meinte. [1] Erst in der Auseinandersetzung mit dem griechischen Osten, als die Römer sich genötigt sahen, ihre Herrschaft zu legitimieren  [2], wurde das bellum iustum zum (moralisch) gerechten Krieg. Insbesondere Cicero hat dann versucht darzutun, dass schon die maiores (Vorfahren) die von hellenistischen Philosophen formulierten Standards beachtet haben. [3]

Das Fetialrecht

„Bevor man zum Kriege mit einem anderen Stamm schreitet, werden vier Fetialen an ihn gesandt, um, wie die Formel heißt, res repetere. Das kann nur bedeuten, entwendeten Besitz wiederfordern; damit werden wir in eine Zeit geführt, in der der typische Kriegsanlaß ein Raubzug der Gegenpartei war. Es sind Zustände, wie sie für Griechenland Homer zeigt, wie sie aber zwischen wenig kultivierten Stämmen wie den Lokrern und Phokern noch für das 4. Jh. bezeugt sind … „ [4]

„Wird die Genugtuung verweigert, so begibt sich der Fetiale an die Grenze und schleudert eine eiserne oder eine Kornelkirschenlanze, deren Spitze im Feuer gehärtet ist, in das Gebiet der Feinde. Der Akt scheint nicht allein eine magische Eröffnung des Angriffes, sondern eine Form der Besitzergreifung zu sein. Die Kriegserklärung geht vorher. Später wirft man die Lanze über die columna bellica am Circus Flaminius.“ [5]

Karneades über die Kriege der Römer

„In voller Schärfe entbrennt die Frage, ob und unter welchen Umständen Kriege als gerechtfertigt anzusehen seien, in der Zeit der römischen Eroberung des Mittelmeerraumes und der dadurch ausgelösten Auseinandersetzung Roms mit dem kulturell überlegenen Griechentum. Anläßlich der Philosophengesandtschaft (155 v. Chr.) bringt der akademische Philosoph Karneades [6] das Thema in Rom zur Sprache. Dort wurde die Frage der Rechtmäßigkeit des Krieges zuvor nicht unter moralischen, sondern (lediglich) unter kultischen Gesichtspunkten betrachtet. [7] Wenn die Fetialen den Krieg in der rechten Weise unter Vollzug der vorgeschriebenen kultischen Handlungen eröffnet hatten, galt er als juristisch abgesichert. Karneades verurteilt diese Praxis unmißverständlich als legitime iniurias facere. [8] Wenn die Römer die Gerechtigkeit wiederherstellen wollten, müßten sie sich in die armseligen Hütten auf dem Palatin zurückziehen, von denen sie ihren Ausgang genommen hätten. Durch den Auftritt des Karneades bekommt die bellum-iustum-Thematik, die ursprünglich rein sakraljuristisch betrachtet wurde, auch in Rom eine neue Dimension. Die römischen Autoren sehen sich vor die Aufgabe gestellt, die Kriege Roms auch ethisch zu rechtfertigen.“ [9]

Bildnis des Karneades, 6 k

Bildnis des Karneades [10]

Cicero über die Kriege der Römer

Noster populus sociis defendendis terrarum iam omnium potitus est. (De re publica III 35) „Unser Volk hat sich bei der Verteidigung der Bundesgenossen schon aller Länder bemächtigt.“ [11]
Atque in re publica maxime conservanda sunt iura belli. Nam cum sint duo genera decertandi – unum per disceptationem, alterum per vim – cumque illud proprium sit hominis, hoc beluarum, confugiendum est ad posterius, si uti non licet superiore. „Und in der Außenpolitik muß besonders das Kriegsrecht bewahrt werden. Denn weil es zwei Arten gibt, eine Entscheidung herbeizuführen – die eine durch Verhandlung, die andere durch Gewalt - und weil jene charakteristisch ist für den Menschen, diese für die Tiere, darf [12] man zu letztgenannter seine Zuflucht <erst> nehmen, wenn es nicht möglich ist, die erstgenannte einzusetzen.
Quare suscipienda quidem bella sunt ob eam causam, ut sine iniuria in pace vivatur; parta autem victoria conservandi ii, qui non crudeles in bello, non inmanes fuerunt; ut maiores nostri Tusculanos, Aequos, Volscos, Sabinos, Hernicos in civitatem etiam acceperunt, at Karthaginem et Numantiam funditus sustulerunt; nollem: Corinthum, sed credo aliquid secutos, opportunitatem loci maxime, ne posset aliquando ad bellum faciendum locus ipse adhortari. … Deswegen darf man freilich aus diesem Grunde Kriege auf sich nehmen, dass man ohne Unrecht im Frieden lebt; nachdem aber der Sieg errungen wurde, müssen die, die im Krieg nicht grausam, nicht unmenschlich waren, bewahrt werden; wie unsere Vorfahren die Tusculaner, Äquer, Volscer, Sabiner und Hernicer sogar in die Bürgerschaft aufgenommen haben, aber Karthago und Numantia von Grund auf zerstörten. Ich würde nicht wollen, <dass sie> Korinth <zerstörten>, aber ich glaube, sie hatten etwas Bestimmtes im Auge, besonders die günstige Lage des Ortes, dass nämlich nicht der Ort selbst irgendwann zum Kriegführen verleiten könne. [13]
Et cum iis, quos vi deviceris, consulendum est, tum ii, qui armis positis ad imperatorum fidem confugient, – quamvis murum aries percusserit – recipiendi. In quo tantopere apud nostros iustitia culta est, ut ii, qui civitates aut nationes devictas bello in fidem recepissent, earum patroni essent more maiorum. Und sowohl muß man für die, die man durch Gewalt völlig besiegt hat, sorgen als auch besonders die aufnehmen, die nach Niederlegung der Waffen die Feldherren um Gnade bitten werden – wenn auch der Rammbock die Mauer durchstoßen hat. In diesem Punkt ist bei den Unserigen so sehr die Gerechtigkeit gepflegt worden, dass die, die die Ergebung im Kriege besiegter Bürgerschaften oder Stämme angenommen hatten, deren Schutzpatrone waren nach Sitte der Vorfahren.
Ac belli quidem aequitas sanctissime fetiali populi Romani iure perscripta est. Ex quo intellegi potest nullum bellum esse iustum, nisi quod aut rebus repetitis geratur aut denuntiatum ante sit et indictum. (De officiis I 34b-36) Und das Kriegsrecht ist jedenfalls höchst gewissenhaft durch das Fetialrecht des römischen Volkes genau beschrieben worden. Und aus diesem kann man ersehen, dass kein Krieg gerecht ist außer dem, der entweder, nachdem Genugtuung gefordert worden ist, geführt wird oder vorher feierlich erklärt und angekündigt wurde. [14]

Zu Ciceros Bild von der römischen Geschichte

„Bei der Lektüre des philosophisch-ethischen Schrifttums der Stoa stieß Cicero auf Ideen, die ihn als einen der geistig führenden Männer des Römertums der spätrepublikanischen Zeit ansprachen und von denen er dann auf Grund bestimmter Verhaltensweisen der Altrömer gegenüber der Umwelt annahm, daß sie schon in frühen Zeiten der römischen Geschichte zwar noch nicht theoretisch konzipiert, aber doch schon praktisch, und zwar in höchst bedeutsamer Weise, wirksam waren. … Weder hatte die von den alten Römern in bestimmten Fällen vorgenommene Aufnahme besiegter Gegner in die eigene Bürgerschaft etwas mit dem stoischen Postulat der Schonung der Feinde zu tun, noch auch liegt bereits in der altrömischen Fetialordnung bzw. in dem aus der letzteren resultierenden Rechtscharakter aller vom römischen Staat unternommenen Feldzüge als Verteidigungskriege die stoische Idee vom Kriege als einem nur im Falle der Notwehr sittlich erlaubten Mittel der Politik. … Wir stellen es noch einmal mit Nachdruck heraus, daß die frühen Römer nach allem, was sich erkennen läßt, in bezug auf ihr Verhältnis zu besiegten Feinden und ihre Einstellung zu Krieg und Fehde wie auch sonst nicht besser und natürlich auch nicht schlechter als die anderen Völker in diesem Stadium der Entwicklung waren und von den hohen ethischen Postulaten des späten Hellenismus noch ebenso weit entfernt wie etwa die Griechen der homerischen Zeit.“ [15]

Anmerkungen

1) „Der Fetialenmythos der augusteischen Zeit, der auf der Überzeugung beruht, daß die Römer nie andere als iusta et pia bella geführt hätten, findet sich schon bei Varro … und Cicero …; 150 Jahre früher (Liv. 36,3,7) handelt es sich nur um die formelle Korrektheit der Kriegserklärung.“ (Kurt Latte „Römische Religionsgeschichte“, 2. Aufl., München 1967, S. 121)

Anders dagegen Franz Hampl: „In der Tat haben die äußeren Formen von Anbeginn eine äußerst wichtige Rolle gespielt, und doch trifft … diese Theorie nicht das Wesen der Sache. Es geht primär um das ,Unrecht‘, das vor allem darin gegeben war, daß Angehörige einer fremden Gemeinde auf eigenem Gebiet erschienen und hier plünderten und Vieh raubten und vielleicht auch Frauen und Kinder mit sich fortschleppten.“ („,Stoische Staatsethik‘ und frühes Rom“, in: Richard Klein [Hrsg.] „Das Staatsdenken der Römer“ Darmstadt 1966.)

Hampl weist a. a. O., S. 131 im Übrigen anhand der Verträge der Römer mit Karthago nach, dass auch die Römer solche Beutezüge machten und sie nicht etwa aus moralischen Gründen ablehnten.
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2) Siehe den Abschnitt Karneades über die Kriege der Römer
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3) Siehe den Abschnitt Cicero über die Kriege der Römer
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4) Latte, a. a. O., S. 121 (ohne Anmerkung)
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5) Latte, a. a. O. S., 122 (ohne Anmerkungen)
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6) griechischer Philosoph; ca. 214-129 v. Chr.
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7) Anders Hampl (siehe oben)
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8) In einer Anmerkung verweist Siebenborn (bibliographische Angaben siehe unten) auf Cicero De re publica III 20: „quantum autem ab iustitia recedat utilitas, populus ipse Romanus docet, qui per fetiales bella indicendo et legitime iniurias faciendo … possessionem sibi totius orbis comparavit.“ („Wieviel aber der Nutzen sich von der Gerechtigkeit entfernt, lehrt das römische Volk selbst, das sich, indem es durch die Fetialen Kriege ankündigte und auf gesetzliche Weise Unrecht beging, den Besitz des ganzen Erdkreises verschafft hat.“)
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9) Elmar Siebenborn, „BELLUM IUSTUM. Caesar in der abendländischen Theorie des Gerechten Krieges“, Der Altsprachliche Unterricht, 5/90, S. 41 (ohne Anmerkungen).

(Es ist also nur zu verständlich, dass Cato der Ältere auf eine rasche Verabschiedung der Philosophengesandtschaft drang.)
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10) Diese Abbildung ist einer Seite des Virtuellen AntikenMuseums Goettingen zu Karneades entnommen.
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11) Wie wenig dies für den 2. Punischen Krieg gilt, macht Bleicken deutlich.
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12) Meiner Meinung nach hat die nd-Form + esse an dieser (confugiendum est) und der darauffolgenden Stelle (suscipienda … bella sunt) nicht die Bedeutung „müssen“, sondern „dürfen". Schließlich geht es in diesem Text nicht darum, wann man Gewalt anwenden muss, sondern unter welchen Umständen man dazu berechtigt ist.

Interessanterweise übersetzen Karl Büchner („Marcus Tullius Cicero, Vom rechten Handeln“, 3. Aufl., München/Zürich 1987) und Heinz Gunermann („Marcus Tullius Cicero, De officiis – Vom pflichtgemäßen Handeln“, Stuttgart 1984) die beiden Passagen gegensinnig:

Hat Gunermann bei confugiendum est „ist … Zuflucht zu nehmen“ und Büchner „darf man … seine Zuflucht nehmen“, so entscheiden sie sich bei suscipienda … bella sunt genau umgekehrt: Gunermann übersetzt es mit „darf man Kriege … auf sich nehmen“, Büchner mit „sind Kriege … zu unternehmen".
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13) Mit der „günstigen Lage“ ist wohl gemeint, dass Korinth an zwei Meeren lag, dem Ionischen und dem Ägäischen. Cicero scheint hier verhaltene Kritik am römischen Vorgehen zu üben.

Die Zerstörung Korinths fällt – wie die Karthagos (146 v. Chr.) und Numantias (133 v. Chr.) – in die sogenannte Reichskrise (siehe dazu Bleicken).
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14) „Nur nebenbei sei vermerkt, daß durch das korrespondierende aut – aut in den Satz ein Sinn kommt, den Cicero selbst in diesem Zusammenhang eigentlich nicht für richtig halten konnte und der auch den tatsächlichen im Fetialrecht gegebenen Verhältnissen nicht entsprach …“ (Hampl, a. a. O., S. 117)
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15) Hampl, a. a. O., S. 140-141
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URI dieser Seite: <http://www.ewetel.net/~martin.bode/belliust.htm>, zuletzt geändert: 2006-03-02

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